
Wir sprachen mit Romano Zerbini, Gründer und Leiter der Photobastei Zürich
Wer oder was ist die Photobastei, was passiert alles bei Ihnen am Sihlquai im Zentrum von Zürich?
Romano Zerbini: Ich denke, das überraschende Element oder das Alleinstellungsmerkmal der Photobastei liegt darin, dass etablierte Kultur ganz selbstverständlich neben experimenteller Kunst, neben Alternativ- und Subkultur steht. Man nimmt uns wohl zunächst über die ausstrahlenden, großen Ausstellungen wie Vivian Maier, Arnold Odermatt, Miroslav Tichy oder H.R. Giger wahr.
Diese Ausstellungen generieren zum Teil internationale Aufmerksamkeit und ziehen ein großes Publikum an. Sie werden in den Medien regelmäßig und ausführlich besprochen und sind essenziell für die Eigenfinanzierung, aber auch für die Bekanntheit und die Ausstrahlung der Photobastei. Die Photobastei wird deshalb oft auch als ein Museum rezipiert.
Auf der anderen Seite sind wir ein Off-Space. Hier zeichnen wir uns durch eine große Offenheit und einen niederschwelligen Zugang aus. Wir brechen mit kuratorischen Sicherheiten und Gewissheiten und verzichten zu einem großen Teil auf kuratorische Kontrolle zugunsten von künstlerischer Freiheit, auf Exklusivität zugunsten von Teilhabe.
Das schafft Raum für kreative Freiheiten und Experimente, die andernorts kaum möglich sind.
So wird der größte Teil unseres Programms durch das Engagement externer Kunstschaffender geleistet, die sich günstig einmieten. Dies gilt sowohl für den Ausstellungsbereich wie auch für die Bühnen. Denn wir sind ein Mehrspartenhaus für Kunst, Fotografie, Musik, Literatur und Diskurs abseits des Mainstreams. Wir sind also auch, was man eine offene und niederschwellige Kulturinstitution nennt. Wir sind beides, ein Museum und ein Offspace, und damit ein wichtiger, unabhängiger Freiraum für die Stadt Zürich.

Wer kommt mit welchen Interessen und Erwartungen zu Ihnen ins Haus?
Romano Zerbini: Zu uns kommen für die großen Ausstellungen natürlich alle Fotografieliebhaber – im freien Bereich ist das dann aber so breit wie das Angebot. Da unsere Räume allen Kunstschaffenden, Kollektiven, Kunstschulen, Kunstvereinen, Museen, Galerien, NGOs, Behindertenwerken, Frauengruppen, Umweltorganisationen, kurz allen Menschen und allen künstlerischen und gesellschaftlichen Strömungen, für ihre eigenen Projekte offenstehen, bringen diese dann auch ihr jeweils eigenes Publikum mit. Die vielen Stimmen, die hier eine Bühne finden, machen das Haus zu einem sehr lebendigen, partizipativen, diversen und inklusiven Ort.

2020 war alles vorbei und doch nicht. Sie arbeiten seit vielen Jahren im Thema Fotografie in verschiedenen Funktionen. Was fasziniert Sie nach all den Jahren und trotz oder gerade wegen des permanenten Kampfs für die Sache, Projekte und Einrichtungen an der Fotografie?
Romano Zerbnini: Wie man wohl heraushört, interessiert mich zunehmend die Frage von Freiräumen in gentrifizierten Städten. Die Photobastei konnte nur in einer Zwischennutzung erprobt werden. Denn hier sind die Mieten günstig, die Räume und die Nutzung sind flexibel, nur hier ist alles schnell und unkompliziert anpassbar und skalierbar. Zwischennutzungen sind Orte des Experimentes und des Erprobens. Wir haben, ohne dass wir das mit Absicht taten, eine radikal offene und niederschwellige Kulturinstitution geschaffen, die dennoch international ausstrahlt und sich darüber hinaus in den letzten beiden Jahren zu 98% selbst finanziert. Das konnten wir nur unter den speziellen Voraussetzungen einer Zwischennutzung erproben. Mehr als für die Fotografie als solche setzen wir uns zunehmend für das Verständnis der Rolle und die Erhaltung von Freiräumen und Zwischennutzungen ein.

Was braucht es, um Einrichtungen wie die Photobastei und deren Betrieb langfristig zu erhalten und zu sichern?
Romano Zerbini: Was wir mit der Photobastei anstellten, hat anfangs viele überfordert! Gemischtwarenladen und Brockenhaus waren noch die nettesten Etiketten, die wir hörten. Man hat uns belächelt und wenig Chancen auf eine nachhaltige Entwicklung eingeräumt. Das hat in erster Linie mit unseren Vorstellungen zu tun, wie eine Kulturinstitution zu funktionieren hat. Doch wir sind einfach unseren Leidenschaften auf der einen Seite und den Bedürfnissen auf der anderen Seite gefolgt. Wir haben einfach „gemacht“. So entstand dieses ausstrahlende Kulturhaus, das zugleich ein Freiraum ist, dieses Top-down-Projekt, das zugleich ein Button-up-Projekt ist.
Was wir hier also brauchen, ist die Anerkennung durch die öffentliche Hand und Subventionen. Wir sind finanziell zwar sehr erfolgreich, aber wir erwirtschaften auf einen Umsatz von rund 900.000 CHF jährlich kleine Defizite von 10.000 CHF bis 50.000 CHF. Das zehrt an unserer Substanz und macht das Leben zunehmend schwierig.
Doch bis dato und aufgrund unserer Konstitution fallen wir durch alle Förderraster. Wir gehören überall und nirgends hin – und so werden wir etwas hin- und hergeschoben. Allerdings – seit einer Petition an die Stadtpräsidentin – genießen wir doch einige Anerkennung, und die tut gut!
Zurzeit aber kämpfen wir grad wieder mal ums Überleben.

Wie schaffen Sie den Spagat zwischen publikumswirksamen Ausstellungen wie „The Pulse of Techno“ im letzten Jahr oder „Raw Power“ im Jahr 2019 und den eher unbekannten, spannenden Künstler:innen und Themen, denen Sie sich widmen und ausstellen?
Romano Zerbini: Wir haben die Erfahrung gemacht: Wir kuratieren das eine. Und im nicht-kuratierten Bereich kommen die Projekte von alleine zu uns! Lassen Sie mich das erklären: Wir bewegen uns in einem Spannungsfeld zwischen kuratierten und unkuratierten Ausstellungsräumen und Veranstaltungen. Das Zusammenspiel zwischen diesen beiden Bereichen ist sehr wichtig und zentral. Sie bedingen und befruchten sich gegenseitig, denn die kuratierten Inhalte mit ihrer großen Ausstrahlungskraft definieren den Charakter der Institution. Dies wiederum hat Einfluss auf die Art und Weise, wie die geschaffenen Freiräume von den Nutzer:innen rezipiert werden und welche Inhalte sie dann hier zeigen wollen.

Fotografien sind oft Inszenierungen, die in heutiger Zeit über Social Media transportiert und schnell „wiederverwertet“ werden. Nicht ganz ohne Risiko und unterschiedliche Sichtweisen, was erlaubt und nicht gestattet ist. Wie wichtig ist Social Media für Fotografie und einen Kulturort wie die Photobastei und Ihre Ausstellung?
Romano Zerbini: Nichts gegen Social Media! Mit dem wenigen Geld, das uns für Kommunikation zur Verfügung steht, ist Social Media praktisch unser einziger Kanal, um das Publikum zu erreichen. Wir leben also davon!
Ich selber möchte nicht in eine Diskussion eintreten, was nun erlaubt oder nicht erlaubt ist, ob es gute oder schlechte Fotografie gibt. Diese Diskussion ist zwar wichtig, aber mehr als diese Auseinandersetzung interessiert mich die soziale Praxis: Wie setzen wir welche Fotografie in welchen Kanälen und mit welcher Absicht ein? Wenn es mir in der Vermittlung möglich ist, dann versuche ich hier die Bildkompetenz der Besuchenden zu stärken. Bilder sind immer missbraucht und instrumentalisiert worden, zum Guten und zum Hässlichen. Wir lernen zwar lesen – aber wir lernen nicht, Bilder zu lesen. Hier versuche ich mit den Möglichkeiten, die uns durch die Ausstellungen gegeben sind, etwas Gegensteuer zu geben. Werden Nutzer:innen von Social Media kompetenter, können sie Bilder besser einordnen und überlegen sich selbst, was ihre hochgeladenen Bilder bewirken. Mein Traum wäre, das Ganze wäre ein Schulfach wie Lesen!

Als ich die Ausstellungsankündigung des Schweizer Landesmuseums Zürich zur Ausstellung „Techno“ erhalten habe – war meine erste Reaktion: Das gab es doch gerade erst. Sind dies verpasste Win-win-Situationen, wo die staatlich geförderten Häuser private Träger wie Photobastei hätten unterstützen, Huckepack nehmen können?
Romano Zerbnini: Zunächst waren wir einfach diebisch stolz, die ersten gewesen zu sein, die in der Schweiz Techno ins Museum bringen. Heute denke ich, es wäre eine Chance gewesen, beides gleichzeitig zu machen. Denn die Ansätze des Landesmuseums sind derart anders als unser damaliger Ansatz, dass sich beide gut ergänzt hätten. Aber ich denke nicht, dass ein Landesmuseum das Vertrauen in eine kleine Photobastei aufgebracht hätte, um gemeinsame Sache zu machen. Vielleicht bin ich jetzt aber ungerecht … Aber Sie haben Recht mit Ihrer Frage. Da ist viel Konkurrenzdenken (auch von unserer Seite aus) und wenig sachliche Synergie.

Finden Sie Fotografie grundsätzlich in Zürich genügend gesehen?
Romano Zerbini: Wir erhalten auch deshalb keine Subventionen – auch nach 10 Jahren nicht –, weil es kein Fotografiehaus in Zürich braucht. Denn, so die Rückmeldung der Subventionsgeber, das Fotomuseum Winterthur sei nicht weit weg von der Stadt Zürich und der Bedarf sei durch das Fotomuseum gedeckt. Nun, was Winterthur macht, ist das eine, was wir machen, das andere. Wir sind im besten Fall eine Ergänzung, aber wohl nie eine Konkurrenz. Die Stadtbehörden dürften hier sicher mutiger – vielleicht differenzierter sein. Oder es fehlt der politische Wille, wir wissen es nicht.
Jedenfalls gibt es in Zürich wenige Orte der Fotografie. Ein Haus der Fotografie fehlt, zählt man die Photobastei nicht mit. Auch gibt es nur wenige rein fotografische Galerien. Damit verteilt sich das Engagement in Fotografie auf Kunsthaus, Museum für Gestaltung und andere Institutionen, die dann und wann Fotografie zeigen. Ein wirkliches Zentrum fehlt.

Was ist in der kuratorischen Ideenwelt von Romano Zerbini und dem Team der Photobastei noch nicht gezeigt?
Romano Zerbini: Oh, da gibt es wirklich vieles! Ich will mich mal auf zwei Aspekte beschränken, die entfernter voneinander nicht sein könnten. Zum einen gibt es die Schweizer Archive, wahre Schätze, die noch nicht gehoben sind. Kein Krieg hat hier Archive zerstört, alles ist erhalten. Hier gibt es einige fotografische Familiendynastien, die über mehrere Generationen das Leben dokumentiert haben. Solch eine Ausstellung würde ich gerne zeigen!
Auf der anderen Seite haben wir mit Techno und Punk erfolgreiche Eigenausstellungen produziert. Es liegt nahe, den Weg weiterzugehen, die Geschichte des Rap oder Hip-Hop in Bildern zu zeigen und zugleich auf unsere Bühne zu bringen.
Doch zunächst zeigen wir Ruth Orkin, Robert F. Kennedy und wenn es klappt Walter Schels.

Wenn Sie in die Zukunft blicken. Wie geht es weiter mit der Photobastei und der Fotografie?
Romano Zerbini: Wir bleiben dran. Es macht einfach zu viel Spaß und wir wissen, dass es geschätzt wird.

Romano Zerbini
Romano Zerbini (*3. Februar 1963 in Zürich) ist ein Schweizer Kulturunternehmer, Kurator und Kommunikator mit Schwerpunkt auf Fotografie und interdisziplinären Kunstformen. Er studierte Germanistik und Romanistik an der Universität Zürich und schloss mit dem Titel lic. phil. I ab. 1998 gründete er die Kommunikationsagentur d.o.k.-Zerbini und initiierte den Swiss Photo Award, den er bis 2018 leitete. Zerbini eröffnete 2010 die Off-Galerie Photogarage in Zürich, die als Plattform für professionelle Fotografen diente. 2014 gründete er die Photobastei, ein innovatives Kulturzentrum in Zürich, das Fotografie mit anderen Kunstformen wie Musik und Performance verbindet.