
Wir sprachen mit Beate Sampson, Sprecherin des Beirats des Deutschen Jazzpreises.
Wie muss man sich den Prozess von der Ausschreibung über die Einreichungen bis zur Preisverleihung vorstellen und in welcher Funktion sind Sie in diesen Prozess involviert? Beate Sampson: Die Jury des Deutschen Jazzpreises bestimmt in einem transparenten und unabhängigen Prozess die Preisträgerinnen und Preisträger. Die Auswahl der Preisträger:innen erfolgt in einem zweistufigen Prozess. Zunächst werden aus allen Vorschlä- gen der jeweiligen Jurys einer Preiskategorie jeweils drei auszeichnungswürdige Künstler:innen nominiert. Dies geschieht, sofern für die Preiskategorie nicht gesondert bestimmt, durch eine Fachjury. In einem zweiten Schritt wählt die Hauptjury die Preisträger:innen für jede Preiskategorie aus den drei Nominierten.
Es gibt eine Hauptjury und eine Fachjury. Wie sind deren Zusam- mensetzung und Aufgaben?
Beate Sampson: Die Fachjury wählt aus und beruft drei Nominierte pro Kategorie, die Hauptjury entscheidet. Die Jurys setzen sich aus Persönlichkeiten der Jazzszene aus verschiedenen Bereichen (Journalismus, Medien, Künstler:innen, Programmgestaltung, Label, Agenten, Jazzverbände und Jazzeinrichtungen) zusammen, was ein multiperspektivisches Vorgehen bei der Nominierung und der Ermittlung der Preisträger:innen sicherstellt. Die Jurys werden geschlechterparitätisch und unter Diversitätskriterien besetzt.
Es gibt fünf Fachjurys, die mit jeweils fünf Jurymitgliedern begrenzt sind. Die Mitglieder der Fachjurys wählen aus ihrer Mitte jeweils zwei Sprecher:innen zur Entsendung in die Hauptjury.
Die Jurys werden durch die Beauftragte des Bundes für Kultur und Medien (BKM) auf Basis eines Vorschlags des Beirats berufen.
Was sind die Voraussetzungen und Erwartungen an Sie als Jurorinnen? Beate Sampson: Die Mitglieder der Jurys sollten über eine entsprechende fachliche Expertise verfügen, unabhängig und neutral in ihrer Entscheidung sein und sich an alle Anforderungen und Grundlagen der Statuten, Vertraulichkeit und Verschwiegenheit im Rahmen der Entscheidungsfindung und Verleihung des Deutschen Jazzpreises halten.
Nach welchen Kriterien gehen Sie an Ihre Aufgabe und Entscheidung heran? Gibt es einen Leitfaden oder eine Art Entscheidungskriterien? Beate Sampson: Einen Leitfaden gibt es nicht. Die Regeln finden sich in den Jurystatuten des Deutschen Jazzpreises. Jedes Jurymitglied erhält alle Unterlagen der eingereichten Bewerbungen um den Deutschen Jazzpreis, die im Anschluss geprüft werden. In den entsprechenden Fachjurysitzungen werden dann die einzelnen Vorschläge der Jurymitglieder diskutiert.. Die Fachjurys bestimmen in ihrer jeweiligen Preiskategorie drei auszeichnungswürdige Künstler:innen bzw. Leistungen und begründen ihre Entscheidung schriftlich. Die Auswahlentscheidung der Fachjury erfolgt ohne Angabe einer Reihung, jedoch kann die Fachjury gegenüber der Hauptjury eine Empfehlung für die Preiskategorie ausprechen.
Mit dem Deutschen Jazzpreis werden gemäß der Präambel Künstler:innen, Akteur:innen und Projekte ausgezeichnet, die wesentlich zur Strahlkraft des Jazz in Deutschland in allen seinen Spielarten beitragen. Dabei ist die Gewichtung von Vielfalt in der Gesamtzusammensetzung der Preisträger:innen und kreativer Schaffenskraft der einzel- nen Künstler:innen von der jeweiligen Jury individuell zueinander in Beziehung zu setzen.
Gibt es persönliche Interessenkonflikte? Und wenn ja, wie stellt man sich dieser Situation?
Beate Sampson: Ja das kann es geben. Interessenkonflikte bestehen u.a., wenn die Juror:innen an einem vorgeschlagenen Projekt beteiligt waren/sind bzw. persönlich nominiert wurden, Gremienmitgliedschaft oder Berater:innentätigkeit in einem vorgeschlagenen Projekt/Unternehmen besteht, es ein direktes finanzielles Interesse am Erfolg oder Misserfolg eines Antrages gibt oder familiäre Verquickungen. Jeder tatsächlich vorhandene oder subjektiv empfundene Interessenkonflikt sollte im Sinne der Integrität und der Objektivität des Auswahlverfahrens vermieden werden. Sollte es zu einer Befangenheit eines Jurymitglieds kommen, darf das entsprechende Jurymitglied nicht an der jeweiligen Diskus- sion und Abstimmung teilhaben, bis die Befangenheit möglicherweise entfällt.
Wie wird die Entscheidung für den:die Preisträger:in pro Kategorie herbeigeführt?
Beate Sampson: Die beiden in der Hauptjury vertretenen Fachjurymitglieder stellen der Hauptjury die von ihnen nominierten Künstler:innen bzw. Leistungen vor und begründen sowohl die Nominierungsentscheidung als auch eine mögliche Vergabeempfehlung der Fachjury. Im Anschluss findet eine Aussprache zu den nominierten Künstler:innen statt. Nach der Aussprache bestimmt die Hauptjury die Preisträger:innen in der jeweiligen Preis- kategorie. Für die Nachvollziehbarkeit der Entscheidung legt die Jury eine Begründung ihrer Auswahl fest.
Wie wichtig war es, dass nach der skandalbedingten Einstellung des Echo Jazz im Jahr 2018 kein Vakuum entstand und schnell eine neue Form, ein neuer Preis installiert wurde?
Beate Sampson: Es war enorm wichtig! Vorweg sei betont, dass an dem damaligen Skandal, der zur Einstellung aller Sparten des Echo Musikpreises führte, weder der Echo Jazz noch der Echo Klassik einen Anteil trugen. Diese beiden Preise haben den Genres Jazz und Klassik ein hohes Maß an breiter, öffentlicher Aufmerksamkeit eingebracht und damit – so meine persönliche Einschätzung – auch den Weg zu der kulturpolitischen Entscheidung geebnet, einen neu aufgestellten „Deutschen Jazzpreis“ mit internationaler Strahlkraft einzurichten und zu finanzieren. Mit ihm geht es darum, die enorme, kreative Schaffenskraft und Vielfalt der Jazzszene widerzuspiegeln und sie zu- gleich zu würdigen und zu stärken. Um das zu erreichen, erhielt der Preis eine neue Organisationsstruktur und wurde auch – im Unterschied zum Echo Jazz – mit einem Preisgeld von 10.000 € pro Kategorie und Preisträger:in ausgestattet. Ab diesem Jahr erhalten außerdem alle Nominierten, die nicht mit einem Preis ausgezeichnet werden, ein Nominierungsgeld von 1000€.
Warum ist der Deutsche Jazzpreis so wichtig für die Branche und welchen Effekt und Nachhaltigkeit hat dieser für die Künstler:innen?
Beate Sampson: Ich verstehe den Begriff „Branche“ als Gesamtheit der Akteur:innen des Jazz, also Musiker:innen, Labels, Clubs, Festivals, Konzertveranstalter:innen, Agenturen, Musikjournalist:innen und Autor:innen in Printmedien, Privatsendern und öffentlich-rechtlichen Sendern, Musikhochschulen mit Jazzabteilungen, freie Musikschulen, Musikverlage, Forschungsstätten wie etwa das Jazzinstitut in Darmstadt und Jazzverbände wie etwa die Deutsche Jazzunion, diverse Kulturinstitute und Kulturreferate der Städte und Kommunen, bis hin zum Deutschen Musikrat mit seinen Jazzprojekten. Alle sind miteinander verbunden und bauen aufeinander auf. Die Musiker:innen sind diejenigen, die mit ihrer künstlerischen Leistung das Herzstück dieser „Branche“ darstellen. Deswegen ist es besonders wichtig, ihre Sichtbarkeit und Hörbarkeit zu erhöhen und damit den Jazz in all seiner Vielfalt einem größeren und, meiner Erfahrung nach, potenziell schon längst vorhan- denen Publikum bekannt und vertraut zu machen. Der „Deutsche Jazzpreis“ spielt, indem er Künstler:innen und Ensembles, Spielstätten und Festivals aus- zeichnet, dabei eine ganz wichtige Rolle. Er bringt diese facettenreiche, ebenso zeitgenössische wie traditionsbewusste, komponierte und improvisierte Musik, die sich sowohl aus der afroamerikanischen als auch anderen globalen Kunstmusik- und ethnischen Musiktraditionen nährt, noch viel mehr Menschen nahe mit dem Ziel, sie als Kunstform in der Gesellschaft noch stärker zu ver- ankern. Das finde ich außerordentlich nachhaltig für alle Beteiligten.
Es gibt nur jeweils ein:e Gewinner:in, aber ist nicht die Nominierung, ein Platz auf der Top3-Liste auch schon eine Auszeichnung, ähnlich der Umwerbung einer Oscar Nominierung im Bereich Film?
Beate Sampson: Ich bin davon überzeugt, dass die meisten ihre Nominierung zum „Deutschen Jazzpreis“ schon als einen Gewinn empfinden. So habe ich das auf jeden Fall bei den Preisverleihungs-Feierlichkeiten und in den sozialen Kanälen der Nominierten in 2021 und 2022 erlebt. Aber ich möchte an dieser Stelle auch sagen, dass es bei aller Bedeutung von Preisvergaben und Nominierungen ganz wichtig ist, im Blick zu behalten, dass preiswürdiger Jazz permanent auf Bühnen, Tonträgern und im Netz stattfindet ohne zunächst ein- mal oder auch je eine Auszeichnung zu erhalten. Wobei gerade der „Deutsche Jazzpreis“ mit seiner Vorgehensweise und Organisationsstruktur sehr gute Voraussetzungen dafür schafft, den großen kreativen Reichtum der Jazzszene durch seine Preisvergabe-Praxis umfänglich abzubilden: Elf der 31 Preiskategorien stehen zur öffentlichen Bewerbung, die 25 Personen in den geschlechter-paritätisch besetzten Fachjurys bringen ihr geballtes Jazzwissen und die Kenntnis der Jazzszene mit ihren Kuratierungen ein, und auch der Blick der potenziellen Jazzhörerschaft wird eingebracht, denn zur siebenköpfigen Hauptjury gehören dazu noch Menschen, die nicht unbe- dingt Expert:innen sind, sich aber für Jazz interessieren. Die Jurys arbeiten anhand von klaren Statuten und ihre Besetzungen rotieren im Zweijahresrhythmus. Anregungen von innen und außen werden in die Weiterentwicklung des Preises aufgenommen, womit eine permanente Weiterentwicklung des Deutschen Jazzpreises stattfinden kann. Die- se Beweglichkeit schätze ich besonders. Jetzt bin ich ein wenig abgeschweift. Ich hoffe, Sie verzeihen mir den Exkurs ...
Die Tendenz zum genreübergreifenden Arbeiten unter den Künstler:innen ist unübersehbar und nicht mehr von der Hand zu weisen. Wie stellt sich die Initiative Musik zu dieser Entwicklung? Thema für eine zukünftige „Crossover- Rubrik“?
Beate Sampson: Ein Blick auf die Nominierungen zeigt, dass in allen Kategorien ein „Cross-over“ stattfindet. Die Verbindung und Verschmelzung von Stilen und Klangsprachen ist ja neben der Improvisation eines der wichtigsten Entwicklungs- und Stilmerkmale des Jazz. Das findet permanent und in jeweils ganz individueller Ausprägung in Kompositionen und Spielweisen statt. Deswegen halte ich persönlich die Einführung dieses Begriffs in einer gesonderten Kategorie nicht für nötig.
Seit letztem Jahr findet die Preisverleihung im Rahmen der jazzahead! statt. Wie wichtig ist diese Symbiose und welche Win-Win-Situation ergibt sich hierbei?
Beate Sampson: Das Partnerland bei der diesjährigen jazzahead!-Messe in Bremen ist Deutschland. Die Projektleiterin der jazzahead!, Sybille Kornitschky, möchte damit die internationale Sichtbarkeit der deutschen Szene besonders stärken und in einem Artikel in der „Jazzthing“ merkte sie dazu im Januar an, dass der „Deutsche Jazzpreis“ ein wichtiger Grund für sie gewesen sei, diese Partnerlandwahl ins Jahr 2023 zu legen. Im Umkehrschluss ist es für den „Deutschen Jazzpreis“ wirklich großartig, am 27. April 2023, dem Eröffnungstag der jazzahead! zum zweiten Mal die Preisverleihungsfeier und dann auch im Anschluss ab 20.30 Uhr das Konzert im wunderschönen Metropol Theater in Bremen mit den Headlinern Michael Mayo (Künstler des Jahres International 2022) sowie Natalie Greffel und Annika Nilles, die beide in diesem Jahr nominiert sind, veranstalten zu können. Das empfinde ich als eine groß- artige Kooperation mit gegenseitigem Zugewinn, würde es aber nicht als Symbiose bezeichnen. Denn auch wenn es Künstler*innen gibt, die einen Showcase auf der jazzahead! haben und gleichzeitig für den „Deutschen Jazzpreis“ nominiert sind – wie etwa die Pianistin Olga Reznichenko mit ihrem Trio – ist das Line-up der beiden Veranstaltungen vollkommen unabhängig voneinander entstanden. Aber auch ohne Symbiose ist es ein Gewinn für die jazzahead! und den „Deutschen Jazzpreis“, in Bremen gemeinsam zu agieren.
DAS GESPRÄCH FÜHRTE KAI GEIGER.