Die richtige Wahl getroffen
Ein Gespräch mit Prof. Regine Leibinger, Architektin bei Barkow Leibinger mit Sitz in Berlin über die weibliche Intuition in der Architektur, warum Zaha Hadid so wichtig für Frauen in der Architektur war, wie das Bauhaus sie beeinflusst hat, und warum die Architektur die richtige Berufswahl für sie war.
Wie sind Sie zur Architektur gekommen?
Regine Leibinger: Ich glaube, das hat viel mit der Prägung durch mein Elternhaus zu tun, durch die Familie, die sich bei Weitem nicht nur für Maschinenbau interessiert. Mein Großvater war Kunsthändler für Ostasiatica, meine Eltern ließen sich, als ich klein war, ein bescheidenes, aber sehr modernes Haus von Helmut Erdle bauen und liebten zeitgenössi-che Möbel von Florence Knoll, Eero Saarinen und anderen. Vor allem meine Mutter hat ein sehr feines Gespür für diese Themen, ich war also zu Hause schon immer von schönen Dingen umgeben. Nach einem Praktikum bei der Innenarchitektin Herta-Maria Witzemann stand mein Beschluss endgültig fest, selbst schöne Räume gestalten zu wollen. Da ich damals parallel mit der Schauspielerei geliebäugelt hatte, die meine Eltern natürlich für vollkommen unseriös hielten, haben sie mich in der Entscheidung für die Architektur sehr bestärkt.
Gibt es eine weibliche Intuition in der Architektur?
Regine Leibinger: Das ist eine sehr kluge Frage! Ob ein Haus von einem Mann oder von einer Frau entworfen wurde, kann man von außen nicht sehen, diese oft angestellte Überlegung halte ich für müßig. Aber es gibt etwas spezifisch Weibliches, das finde ich schon. Frauen arbeiten anders als Männer, auch in der Architektur. Dieses Geschäft hat so viel mit Kommunikation zu tun, mit Strategie und Kompromissfähigkeit, mit Geduld – gerade in der Anbahnung und im Entstehungsprozess von Projekten. Alles Felder, in denen Frauen definitiv besser sind als Männer. Bautechnik und Bauleitung sind meist nicht so unsere Sache. Vielleicht bediene ich hier ein ganz plattes Klischee, aber mich interessieren Materialien, Oberflächen, Stimmungen und räumliche Qualitäten ehrlich gesagt auch mehr als Dichtungswannen und Dampfsperren.
Wo und wie ergänzen sich die Architektin Regine Leibinger und der Architekt Frank Barkow, mit dem Sie 1993 das Büro Barkow Leibinger gegründet haben, dass Sie seit so vielen Jahren so erfolgreich zusammenarbeiten?
Regine Leibinger: Es ist wohl eine gute Mischung aus Gegensätzen und Gemeinsamkeiten. Da ist Franks große künstlerische Begabung auf der einen und mein Unternehmer-Gen auf der anderen Seite. Er stammt aus Montana, ich aus dem Schwabenland. In aller Unterschiedlichkeit verbindet uns die „Droge“ Architektur, wir brennen für diesen Beruf, für die Chance, jeden Tag eine Vision Wirklichkeit werden zu lassen, gemeinsam etwas völlig neu zu denken. Daraus ergibt sich immer aufs Neue ein Dialog, ein Austausch, auch mal ein Streit, in dem es aber um die Sache geht und an dessen Ende etwas Besseres dasteht, als wir es jeweils allein hinbekommen hätten.
Es gibt mehr Architekturstudentinnen als Architekturstudenten! Und trotzdem liegt die Frauenquote im Bereich freischaffender Architektinnen und Architekten nur bei knapp über 20 %. Woran liegt es?
Regine Leibinger: Wie in so vielen anderen Berufen liegt es daran, dass sich Familie und Beruf nicht besonders gut vereinbaren lassen. Lange Arbeitstage, auch Wochenendarbeit, viele Reisen, spontane Meetings bestimmen unseren Alltag. Und nichts davon ist familienfreundlich. Wir versuchen in unserem Büro Strukturen zu schaffen, die Frauen trotzdem verantwortungsvolle Positionen ermöglichen. Homeoffice, Teilzeit, wichtige Besprechungen am Vormittag, wenn noch alle da sind. Wir halten unseren Mitarbeiterinnen ihre Stellen frei und fordern sie aktiv auf, nach dem Mutterschutz zurückzukommen.
Sie unterrichten an namhaften Universitäten in Deutschland, England und in den USA. Wie stärken Sie angehenden Architektinnen den Rücken, was geben Sie ihnen mit auf den Weg?
Regine Leibinger: Für die meisten ist allein schon mal das Vorbild wichtig, also zu sehen, dass es sie wirklich gibt, Professorinnen in Ingenieurstudiengängen und erfolgreiche Architektinnen. Wann immer es passt, nehmen wir talentierte Studentinnen oder Absolventinnen von den Unis mit in unser Büro, geben ihnen eine Chance.
„Viele Frauen sind gute Teamplayer, aber schlechte Egomanen“ hieß es in einer Studie. Was ist da dran?
Regine Leibinger: Schlicht und einfach: Das stimmt!
Wie wichtig war und ist Zaha Hadid für die Wahrnehmung und Akzeptanz von Frauen in der Architektur?
Regine Leibinger: Sie war ungeheuer wichtig. Es gab Frauen vor ihr, die sehr erfolgreich waren, Ray Eames zum Beispiel oder Lina Bo Bardi. Aber manche blieben ihr Leben lang im Schatten ihrer Männer und Büropartner. Und andere waren einfach nicht so schillernd und „laut“. Zaha Hadid hat es als erste Frau in den Kreis der sogenannten „Star-Architekten“ geschafft. Sie hat als erste Frau eine Marke aus sich und ihrem Büro gemacht. Sie war unbequem und härter als so manche männliche Kollegen, was ihr nicht nur Sympathien eingebracht hat. Mich hat sie am meisten in ihren frühen Jahren beeindruckt, mit diesen wunderbaren Zeichnungen, mit ihren ersten Entwürfen, von denen niemand wusste, ob man sie überhaupt bauen kann. Sie war unglaublich kreativ und fleißig, konnte sich durchsetzen, wusste, was sie wollte, und das hat zum Glück auch dazu geführt, dass sie Förderer wie Rolf Fehlbaum gefunden hat, der sie das berühmte Feuerwehrhaus für Vitra bauen ließ.
Künstlerinnen, Jazzmusikerinnen, Schriftstellerinnen oder auch Buchhändlerinnen sind organisiert. Ich habe keine Interessenvertretung von Architektinnen gefunden?
Regine Leibinger: Da haben Sie be- stimmt recht, so etwas gibt es wahrscheinlich nicht. Ich persönlich habe das nie vermisst, weil ich keine große Freundin von Gremien, Verbänden und Vereinen bin. Aber eines dürfen Sie nicht unterschätzen: Frauen können sich sehr gut informell organisieren. Viele von uns kennen sich untereinander und wir unterstützen uns, weil wir alle wissen, wie es sich anfühlt, wenn man als „dekoratives Element“ oder Quotenfrau allein in einer Männerrunde sitzt. Wenn wir uns untereinander auf dem Laufenden halten, wenn wir uns gegenseitig für eine Position vorschlagen, weil wir sie selbst nicht übernehmen können, dann ist das keineswegs weniger effektiv oder weniger machtvoll, als es eine offizielle Interessenvertretung sein könnte.
100 Jahre Bauhaus wird 2019 gefeiert. Was verbinden Sie mit dem Bauhaus?
Regine Leibinger: Kein einzelnes Haus oder ein Möbelstück – für mich ist es vor allem eine Freiheit im Denken, die ich damit verbinde. Architektur wurde viel mehr als heute als Gesamtkunstwerk verstanden. Und als eine Disziplin, die sich auf Augenhöhe mit anderen Künsten bewegt. Die Art der Ausbildung war einfach revolutionär.
Wie viel Bauhaus wirkt heute noch nach, ist in der heutigen Architektur noch Orientierung oder eine Art Leitfaden?
Regine Leibinger: Ich habe das Gefühl, vieles wirkt vor allem auf museale Weise nach, nicht so sehr im Hier und Jetzt. Natürlich gibt es die Stiftung Bauhaus Dessau, die mit ihren Sommerschulen und anderen Veranstaltungen an der Aktualisierung des großen Erbes arbeitet. Aber ich kann nicht sagen, wie breit das wahrgenommen wird und in den Alltag hineinwirkt. Die meisten fahren doch eher dorthin, um die gebauten Ikonen aus den Zwanzigern zu fotografieren. Vielleicht gelingt es durch das Jubiläum und die drei neuen Museen, Kerninhalte wieder bekannter zu machen und für unsere heutige Zeit zu erschließen, das würde mich freuen.
Gibt es heute noch Bewegungen, eine Art Bauhaus, Orte, Gruppen, wo „Magisches“, Wegweisendes entwickelt wird, auf das man in 100 Jahren ähnlich zurückblicken wird?
Regine Leibinger: Mir sind keine Gruppen von dieser durchschlagenden Kraft bekannt. Aber Hochschulen können immer wieder durch herausragende Lehrer-Persönlichkeiten zu solch „pulsierenden“ Zentren werden. Oswalt Mathias Ungers hat so etwas in den Siebzigern in Cornell geschafft, in den Achtzigern und Neunzigern gingen die wichtigsten Impulse von der Cooper Union in New York und der AA in London aus, in den letzten Jahren war sicher Rem Koolhaas mit seinen Studios an der Harvard University prägend.
Wie viel Neigung und persönliche Biografie spielen in Ihre Bauten hinein, wie z.B. in Bauten für das Unternehmen Trumpf, das Ihrer Familie gehört, oder in Kulturbauten?
Regine Leibinger: Erst einmal geht es darum, für wirklich jede Aufgabenstellung eine gute und angemessene Antwort zu finden. Aber es ist natürlich schön und bereichernd, wenn sich das Thema mit persönlichen Interessen und Leidenschaften deckt. Ich habe schon als Kind in Fabrikhallen gestanden, weil die Firma unser aller Leben war und ist. Deswegen interessiert mich die Geschichte des Industriebaus besonders, die ja herausragende Gebäude wie Mendelsohns Hutfabrik in Luckenwalde oder das Fagus-Werk von Gropius und Adolf Meyer hervorgebracht hat. Und es gibt so vieles, was wir aus dieser Disziplin für andere Bauaufgaben lernen können – vom Städtebau bis zur Haustechnik. In unvergleichlichen Kulturbauten wie Scharouns Philharmonie hier in Berlin oder in einem gu- ten Museum wie dem alten Whitney von Marcel Breuer in New York wird mir immer wieder klar, was für einen fantastischen Beruf wir haben.
Sie haben in diesem Jahr das Foyer der Schaubühne Berlin neu gestaltet. Schwang da ein wenig Wehmut mit, dass Sie doch nicht dem Jugendtraum, Schauspielerin zu werden, gefolgt sind?
Regine Leibinger: Es gab tatsächlich ein bisschen Wehmut, aber die hatte mit meinen Erinnerungen an die Studienzeit zu tun, die ich ja in den Achtzigern in Berlin verbracht habe. Ich war ständig in der Schaubühne. Peter Stein, Bruno Ganz, Jutta Lampe waren die Helden der Zeit. Aber dann überwog schnell das Gefühl, dass es eine Ehre ist, an einem Projekt von Erich Mendelsohn und Jürgen Sawade „weiterbauen“ zu dürfen. Und dass es ein Privileg ist, mit den nicht minder interessanten Theaterleuten von heute, also Thomas Ostermeier und seinen Kollegen, über Architektur zu diskutieren. Und Sie merken ja, dass ich am Ende die richtige Wahl getroffen habe und als Architektin sehr glücklich bin.
DAS GESPRÄCH FÜHRTE KAI GEIGER.