HfG-Archiv
In der Zeit des Bestehens zwischen 1953 und 1968 entwickelte sich die HfG Ulm zu einer der einflussreichsten Hochschulen für Gestalter weltweit. In der HfG Ulm entstanden so ikonische Entwürfe wie der 'Ulmer Hocker', das Stapelgeschirr 'TC 100' und die als 'Schneewittchensarg' berühmt gewordene Radio-Phono-Kombination 'SK 4' der Firma Braun. Das an der HfG entwickelte 'ulmer modell', ein auf Wissenschaft und Technik basierendes Konzept des Designs, setzt bis heute Maßstäbe.
In seiner Doppelfunktion als Museum und Archiv hat das HfG-Archiv die Aufgabe, Inhalte und Bedeutung der Hochschule einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dies geschieht durch Wechselausstellungen, Publikationen und Symposien.
Ständige Ausstellung im HfG-Archiv Ulm
Unter dem Titel "Hochschule für Gestaltung Ulm: Von der Stunde Null bis 1968" zeigt das HfG-Archiv, eine Abteilung des Ulmer Museums, eine ständige Ausstellung zur Geschichte der legendären Ausbildungsstätte. In der Zeit ihres Bestehens zwischen 1953 und 1968 entwickelte sich die HfG Ulm zu einer der einflussreichsten Hochschulen für Gestalter weltweit. In Ulm entstanden so ikonische Entwürfe wie der "Ulmer Hocker", das Stapelgeschirr "TC 100" und die als "Schneewittchensarg" berühmt gewordene Radio-Phono-Kombination "SK 4" der Firma Braun. Das an der HfG entwickelte "ulmer modell", ein auf Wissenschaft und Technik basierendes Konzept des Designs, setzt bis heute Maßstäbe.
Die Präsentation erstreckt sich auf rund 275 Quadratmeter und zeigt mehr als 200 Exponate und zahlreiche Fotografien aus den umfangreichen Beständen des HfG-Archivs Ulm. In dieser dichten Auswahl und in dem besonders ansprechenden Zusammenhang des historischen Hochschulgebäudes kann die Geschichte der HfG so nur in Ulm erfahren werden.
Für die Ausstellungsgestaltung zeichnen Ruedi Baur und sein Team vom Laboratoire Irb Paris verantwortlich. Ihrem Gestaltungskonzept liegt die Idee zugrunde, das Archiv erlebbar zu machen.
Die Ausstellung gliedert sich in drei große Themenbereiche. Die Stunde Null und die Jahre vor der Gründung der HfG werden schlaglichtartig beleuchtet. Das Kernstück der räumlichen Inszenierung bilden zwei große Regalstrukturen. Das eine Regal stellt die Geschichte der HfG in chronologischer Abfolge dar, gemeinsam mit den in diesen Jahren entstandenen Entwürfen, Modellen und Projekten. Das zweite Regal führt von A bis Z ausgewählte Begriffe und Themen vor, die ganz unterschiedliche Aspekte der HfG Ulm beleuchten helfen. Ergänzend werden die Gründer der HfG, Inge Aicher-Scholl, Otl Aicher und Max Bill, dem Besucher nahegebracht. Zwei große Tische sind für wechselnde Präsentationen vorgesehen. Zur Eröffnung verwandeln sie sich in eine große Zeitung und präsentieren die Presseberichterstattung über die HfG Ulm an prägnanten Beispielen.
Die Ausstellung wurde unterstützt von der Abteilung für Kultur und Medien der Bundesregierung, dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg und der Stadt Ulm.
Öffnungszeiten der Ausstellung
Di–So, feiertags 11–17 Uhr, Do 11–20 Uhr
weitere Informationen www.hfg-archiv.ulm.de
Utopisches, stapelbar
In Ulm feierte eine denkwürdige Ausstellung die Hochschule für
Gestaltung als Ort der Erneuerung
Was für eine Leichtigkeit! Wie hingetupft wirkt das Gebäude der Ulmer Hochschule für Gestaltung, derart sanft wurden die einzelnen Baukörper in das leicht abfallende Gelände einmassiert. Wer sich darin bewegt, fühlt sich wie befreit. So licht und leer umfängt einen das Gebäude, wie eine grandiose Einladung, nun bitte selbst zu denken und den Raum mit Inhalten zu füllen. Stilvoll versteht sich, denn der architektonische Rahmen aus einfachem Sichtbeton, Fichtenholz und schlichten wei- ßen Wänden gibt eine gewisse Richtung vor. „Es ist entscheidend, dass die äußere Form der Schule ihrem Geist entspricht und die Schüler mitformen hilft. (...) Das Schulgebäude wie auch das Internat müssten rein äusserlich den Geist der Schule atmen, den Geist der Weloffenheit, der Freiheit und schlichten Schönheit, nicht den des Zwanges und der Furcht“, heißt es in einem frühen Programmentwurf zur 1953 gegründeten Hochschule für Gestaltung (HfG). Den Wunsch, zum Guten zu formen durch die gute Form, mag man für so idealistisch, ja naiv halten, wie er von Anfang an vielleicht auch war. Doch bevor man sich mitten hinein begibt in die großen Konfliktlinien einer der legendärsten Designschulen der Welt, lässt sich aus heutiger Sicht konstatieren: So viel Nachkriegshässlichkeit und lieblose Gebäudegerümpel, wie man zwischen Ulmer Hauptbahnhof und dem Kuhberg, dem Standort der HfG, gesehen hat, hätte man einer Stadt mit einem so prächtigen Münster nicht zugetraut.
Nach nur 15 Jahren wurde die Schule wieder geschlossen.
Der Mythos HfG entstand
Ob ein längeres Bestehen der Hochschule für Gestaltung, die bereits nach 15 Jahren wieder geschlossen wurde, daran etwas geändert hätte? Vielleicht hätte ja dann nicht nur eine kleine Elite hoch oben auf einem Berg, sondern die Breiten der deutschen Gesellschaft ein Stilbewusstsein entwickeln können. Und wenn das der Fall gewesen wäre, würde man dann heute gegen die vermeintlichen Notwendigkeiten der Gegenwart protestieren? Würde man Protestplakate malen gegen die geschichtslosen Gewerbegebiete, die ständig neu entstehen? Würde man zum Boykott aufrufen von Produkten, deren Ablaufdatum immer schneller eintritt? Es mag hippe Repair-Cafés geben, wer heute elektronische Geräte versucht zu reparieren, dürfte sich dabei sehr nostalgisch fühlen. Wegwerfen statt Bewahren heißt schließlich die Losung der Konsum- gesellschaft.
Statt derartiges Kaffeesatzlesen zum deutschen Stil-(Un-)Bewusstsein zu betreiben, reflektiert das HfG-Archiv lieber in seiner aktuellen Ausstellung „wir demonstrieren! linksbündig bis zum schluss“ darüber, wie es zur Schließung der Schule auf dem Kuhberg 1968 überhaupt kommen konnte. Das ist aus zwei Gründen interessant. Erstens, weil ja gerade dieses abrupte und so schnelle Ende wichtiger Baustein ist für den Mythos der HfG, der bis heute wirkt. Und zweitens, weil die Schließung der so behänd hinmodellierten Schule in gewisser Weise an ihren Beginn anknüpft. Denn was Inge Scholl gemeinsam mit dem Gestalter und späteren Ehemann Otl Aicher dort hoch über Ulm von Anfang an vorhatte, dieses „Stück unserer eigenen Welt“, wie Scholl es einmal formuliert hat, war anfangs ja gar nicht als Designschmiede konzipiert, sondern als modellhafter Ort, wo die Ideale einer neuen Gesellschaft verwirklicht werden sollten. Antifaschistisch. Basis- demokratisch. Das war man den beiden jüngeren Geschwistern von Inge Scholl, den von den Nationalsozialisten ermordeten Hans und Sophie Scholl, schuldig. Genau an die- sen politischen Anspruch knüpften die Studenten Ende der Sechziger wieder an.
Dem Architekten Max Bill verdankte man den Bau und den Glauben an die gute Form
Die Ausstellung, klug kuratiert von Chris- tiane Wachsmann, nimmt deswegen das 50-jährige Jubiläum der Schließung zum An- lass, die Utopie der HfG und was sie ganz praktisch in ihren 15 Jahren erreicht hat – allen voran die Avantgarde für einige Jahre nach Ulm zu führen – anhand von großartigen Funden aus dem Archiv, Briefen, Fotografien und Zeitungsartikeln, auseinanderzunehmen. Den Beginn macht eine kleine Schwarz-Weiß-Fotografie, geschossen vom jungen Aicher, die das zerbombte Ulm zeigt. Nach dem Desaster glaubte man an die Stun- de null, den vollständigen Neuanfang und die Möglichkeit, endlich den großen Traum der Moderne zu verwirklichen: ein gutes Leben für alle, ohne Hunger, in guter Behausung und mit gut gestalteten Gebrauchsgegenständen.
Um das zu erreichen, sollte auf dem Kuhberg eine Elite herangezogen werden, anfangs handverlesen von Max Bill. Dem Schweizer Architekten und ehemaligen Bauhaus-Schü- ler verdankt die HfG nicht nur ihr lichtes Gebäude, sondern auch den fast schon re- ligiösen Glauben an die gute, weil schlichte und einfache Form. Nicht bedenkend, dass darin auch eine moralische Komponente lie- gen kann. Die Unterscheidung zwischen gut und schlecht landet zügig beim Bösen, und plötzlich verkörpern verzierte Teetassen das reine Böse, weil sie nicht schnörkellos und stapelbar sind.
Gerade dieser strenge Funktionalismus, der in den unterschiedlichen Werkstätten der HfG mit großem Ernst betrieben wur- de, geriet über die Jahre zunehmend in die Kritik. Zum einen, weil er selbst zum Stil zu verkommen drohte. So schrieb der Schweizer Soziologe und Nationalökonom Lucius Burckhardt, der 1959 an der HfG lehrte, im hauseigenen Magazin: „So vergänglich wie die Mode ist auch der Ulmer Formenvorrat: Akzidenzgrotesk, Grautöne, Orthogonalität und technisches Äußeres sind nun einmal der Luxusstil von 1960. Im Warenhaus der Menschheit ist Ulm in der Abteilung für Moderneres zur Miete mit ihrem kleinen und immer gleichen Kundenkreis aus nicht-sehr-zornigen jungen Männern und Heideschullehrerinnen. Dies hält man für die Stellvertreter der Zukunft und schweigt von den übrigen 97 Prozent der Menschen, die mit ihrem natürlichen Bedürfnis nach wechselnden Zier- und Renommierformen das Getriebe der Wirtschaft in Gang halten.“
Burckhardts Hinweis auf den Wechsel der Geschmäcker zeigt, wie quer der elitäre HfG-Anspruch, Dinge für die Ewigkeit zu entwerfen, zu den Wünschen der aufkommenden Überflussgesell- schaft stand. So schrieb auch Werner Nehls 1968 unter dem Titel „Die heiligen Kühe des Funktionalismus müssen geopfert werden“ im Magazin form: „Nur die Rationalisten glauben ja, dass sich eine für alle Zeit gültige ‚zeitlose‘ Form finden ließe. (...) Designer, die nach wie vor für das sachliche Design einstehen, haben keinerlei Moral dem Menschen und der Gesellschaft gegenüber.“ Was heute übertrieben klingt, passte zur Funktionalismuskritik der Zeit. 1965 erschien Alexander Mitscherlichs „Die Unwirtlichkeit unserer Städte“, kurz darauf hielt Theodor W. Adorno seinen Vortrag über „Funktionalismus heute“.
Auch am Kuhberg wuchsen die Zweifel am eigenen Tun. Bei einer Moskaureise 1964 hielten die Plattenbauten der Chruschtschow-Ära und vor allem ihre für die Arbeiter so mühsame Herstellung absolut nicht dem stand, was sich die HfGler vom industrialisierten Bauen versprachen. Ihr damaliger Rektor Tomás Maldonado äußerste zwei Jahre später dann auch den Zweifel, „ob die Summe der gut gestalteten Gegenstände notwendig in eine gut gestaltete Umwelt mündet“. Die Schule sollte den Problemen ganzheitlicher begegnen.
Viel Zeit blieb ihr dafür nicht. Ende 1968 wurde die HfG geschlossen. Aus Gründen, die heute, wie Kuratorin Wachsmann es formuliert, ein „fürchterliches Konglomerat“ ergeben, „bei dem man nicht sagen kann, wie es wirklich war“. Zunehmend schwierig muss die finanzielle Lage gewesen sein. Die Schule war mit Schulden gestartet, weil Bills Bau sehr viel teurer ge- worden war als geplant. Das war umso problematischer, weil man staatlich unabhängig bleiben wollte. Außerdem stand nach 15 Jahren ein Generationswechsel an. Doch die Gründergeneration verstand sich offenbar wenig mit den nachrückenden Akademikern und kaum mit den sich immer stärker politisierenden Studenten. Gerade im Streit, wie man mit der Industrie umzugehen habe, stand man sich unversöhnlich gegenüber. Was den Jungen Ende der Sechziger der kapitalistische Feind war, den es zu bekämpfen galt, war den Älteren ein notwendiger Unterstützer, um Industrieprodukte überhaupt entwickeln zu können. Kein ikonisches Erscheinungsbild wie das der Lufthansa ohne die Fluggesellschaft. Kein Stapelgeschirr TC 100 ohne Rosenthal. Auch keine visionären Radiogeräte ohne Braun. Die Utopie der Jungen, die sich auf das Erbe der Geschwister Scholl beriefen, ließ sich nicht mit der Realität der Produktgestaltung vereinbaren. Akzidenzgrotesk auf beiden Seiten hin oder her.
Die Politik hatte wenig Verständnis für das, was auf dem Kuhberg ablief
Die Landesregierung von Baden-Württemberg hatte wenig Sinn für das, was an der HfG ablief. Nach einigem Lavieren verkündete der damalige Mi- nisterpräsident Hans Filbinger: „Wir wollen etwas Neues machen, und dazu bedarf es der Liquidation des Alten.“ Das Land beendete die Förderung. Die HfG musste geschlossen werden, andere Nutzer zogen in den Bau. Was aber nicht bedeutete, dass der Geist der HfG aus der Welt verschwand. Im Gegenteil. In Indien, Südamerika und Japan wurden Ableger gegründet. Vor allem aber bleibt der Anspruch aktuell, die Welt mit gut gestalteten Dingen zu einem besseren Ort zu machen. Etwas mehr Utopie á la Kuhberg wäre dabei wichtig. Damit es nicht immer nur um die geht, die sich das neue iPhone leisten können, sondern tatsächlich um alle Menschen auf diesem Planeten.
von Laura Weissmüller, SZ vom 20.7.2018