LARA STOLL
Eine Poetin, die der Welt mit Sarkasmus begegnet und trotzdem hochempfindlich ist.
So startet die Begründung der Jury zum Deutschen Kleinkunstpreis 2019, den Lara Stoll in diesem Jahr erhalten hat. Mit „Der charmante Poetry-Punk aus der Schweiz tobt, schäumt und schnarcht, spricht Kauderwelsch und formuliert messerscharf geschliffene Sätze. Schonungslos sich selbst gegenüber findet Lara Stoll das Politische im Privaten“ wird sie fortgesetzt. Geboren 1987 in Schaffhausen, aufgewachsen im Kanton Thurgau an der deutschen Grenze, Filmstudium in der Schweiz, Schweizer und Europameisterin im Poetry Slam und Mitglied der Punkband Pfiff. Lara Stoll ist ein Multitalent, das das Äußerste in Wort und Bild sucht und gibt, an Grenzen, auch an ihre eigenen, geht und an ihnen kratzt. Eine stimmgewaltige und ausdrucksstarke Wortakrobatin, die auch in ihrer zweiten Leidenschaft, dem Film, das Publikum nicht verschont und hart rannimmt. Die Lippen blutig, die Haare fettig und die Augen weit aufgerissen, ein Duschvorhang um den Kopf gewickelt, in der Badewanne in eigenem Urin sitzend und weinend – eine Sequenz aus ihrem ersten, im letzten Jahr erschienenen und durch Crowdfunding finanzierten, abendfüllenden Spielfilm „Das Höllentor von Zürich“. Lara Stoll macht es, wie es ihr gefällt. Themen in Worte und Bilder zu fassen, die ihren Kunstfiguren auf und „aus“ dem Leib ge- schrieben sind, diese zu transportieren und mit Leben, Kraft und Emotion auf die Bühne zu bringen, in der Kamera festzuhalten und auf die Leinwand, in die Welt zu werfen. Mit Erfolg!
Für uns gehört Lara Stoll zweifelsohne zu den span- nendsten jungen Künstlerinnen unserer Zeit. ELSE Lasker-Schüler wäre sicher gerne mit ihr befreundet gewesen. Wir haben sie zum Gespräch im Kulturzen- trum Kammgarn in Schaffhausen getroffen.
Was ist Lara Stoll? Wortakrobatin, Dichterin, Slam Poetin, Schauspielerin, Punksängerin, Autorin oder Filmemacherin?
Ich bezeichne mich mittlerweile ganz schamlos als „Künstlerin“, das hat eine Weile gebraucht, ist aber tatsächlich das Einzige, was sich irgendwie richtig anfühlt.
Ihre aktuelle Präferenz?
Aktuell arbeite ich mit dem Kollektiv „Bild mit Ton“ sehr intensiv an unserem 2. Langspielfilmprojekt. Wir befinden uns inmitten einer Drehphase. Auch sollte in den nächsten Wochen dann einmal das Album, welches ich mit dem Musiker Constant Hiatus unter dem Pseudonym „Stefanie Stauffacher“ produziert habe, erscheinen. Was ich aber eigentlich tun sollte, ist an meinem nächsten Bühnenprogramm schreiben, schließlich ist das mein Brotjob (!). Ich bin derzeit also lediglich Filmemacher-Sänger-Autorin, das geht ja noch.
Können Sie sich noch an Ihren ersten Text und ersten Auftritt erinnern?
Leider Gottes kann ich das noch. Es war in Schaffhausen bei einem Poetry Slam. Das Mikrofon musste vom Moderator auf meine 1.60 eingestellt werden, ich war 17 und habe mit zitternder Stimme einen Text über Montage vorgelesen. Furchtbar klischiert. Ich glaube ich wurde Zweitletzte. Ich habe mir geschworen, nie mehr so schlecht zu sein.
Wie haben Sie von Poetry Slam damals erfahren und was hat Sie dazu bewogen, selbst Texte zu schreiben und die Bühne für sich zu entdecken?
Ein Freund von mir hat damit angefangen, und ich wollte mir ansehen, was er da so treibt. Das Format hat mich total begeistert. Es war das richtige Ventil für einen unzufriedenen, adrenalin-hungrigen Teenie mit sonderbaren Ideen.
Was ist die Kunst, die Aufgabe von Slam Poetry?
Das Selbstverfasste hat die Aufgabe, das Publikum zu unterhalten. Wie auch immer man das als Auftretende/r anstellen will. Inhalt und Performance stehen in einer Wechselbeziehung.
Was soll/muss Slam Poetry mit dem Hörer machen?
Ihn/sie in irgendeiner Art berühren.
Und was muss ein Text mit Ihnen machen, dass Sie zufrieden sind?
Vermutlich dasselbe. Wenn ich beim Schreiben beispielsweise selber lachen muss, dann ist das tendenziell ein gutes Zeichen, es bedeutet, dass ich mich selber auf kaltem Fuß erwischt habe, eigentlich mache ich den ganzen Quatsch nur für diese Momente. In diesem Prozess entsteht aber auch viel Ausschuss, es kann sein, dass ich zu sehr ins Experimentelle abdrifte. Beim Ausprobieren muss ich auch damit rechnen, dass die Hälfte des Publikums den Kopf schüttelt.
Störfaktor Shitstorm? Das Fallen von Hemmschwellen und der Drang, alles und jedes zu kommentieren macht einen Künstler zur Zielscheibe von Shitstorms. Hat es Einfluss auf Ihr schreiben und das gesprochene Wort, wie schützen Sie sich?
Tatsächlich beschäftigt mich dieses Thema hin und wieder, auch wenn ich nicht möchte, dass es das tut, weil es mich nur unnötig Energie kostet und ich mich nicht in meiner Redefreiheit, in der Kunst, ja in meinem Denken zensieren sollte.
Kontext wird oft ignoriert, ein anderes Problem ist aber auch, dass gezielte Provokation viele Menschen einfach überfordert. Schützen kann man sich da nicht groß. Wer sich auf eine Bühne oder ins Internet stellt, ist dann halt einfach „selber Schuld“, wie es so oft heißt. Es ist schon mühsam, dass einige Konsumenten hinterm Bildschirm keine Zeit mehr aufwenden, für ein bisschen Respekt und Reflexion.
Und wie kamen Sie dann zum Film?
War das Filmstudium die logische Konsequenz aus dem Erfolg mit Poetry Slam? (Anm. d. Red.: Lara Stoll hat an der ZHdK Zürcher Hochschule der Künste ein Bachelorstudium „Film und Regie“ abgeschlossen.) Plötzlich konnte ich mein Leben mit Auftritten finanzieren, in so jungem Alter hat mich das fast ein bisschen überfordert bzw. eben unterfordert. Da war so viel übrige Zeit und da ich mich immer für Film interessiert habe, dachte ich, es wäre keine allzu blöde Idee, sich mal bei der Filmhochschule zu bewerben. Im Nachhinein eine der besten Entscheidungen, die ich für mein Seelenwohl treffen konnte, für meinen Finanzhaushalt allerdings die mit Abstand schlechteste! Alles, was ich einnehme, verschwindet augen- blicklich in den Mühlen von Bild mit Ton.
Hilft Ihnen das Talent zum Texten und auf der Bühne zu stehen beim Filmmachen?
Sagen wir mal beides bedingt eine große Vorstellungskraft.
Ich habe mir bei der Vorbereitung auf unser Interview viele Videos und Filmsequenzen von Ihnen angeschaut. Dabei habe ich mich immer wieder an die von mir sehr verehrte Pipilotti Rist und den großartigen viel zu früh verstorbenen Theater- und Filmemacher Christoph Schlingensief erinnert gefühlt. Wie viel Pipilotti Rist und Christoph Schlingensief stecken in Lara Stoll?
Uff, bei solchen Namen verspannen sich doch glatt meine Pobacken und mir wird ganz unbequem. Beides sind sehr getriebene und unfassbar talentierte Menschen, die wahnsinnig viel erreicht haben. Ich meine, vielleicht haben sie genauso schlecht gekocht wie ich, aber ansonsten möchte ich mich eigentlich lieber nicht mit ihnen vergleichen. Idole, Vorbilder, so etwas kann ermutigen und inspirieren, nacheifern möchte ich aber niemandem, da kann man nur verlieren.
Ihre Kreativität ist unerschöpflich. Sie sind mit Ihrem aktuellen Programm „Krisengebiet 2 – Electric Boogaloo“ unterwegs, produzieren regelmäßig Ihre eigene Filmkolumne „s’ Internet us de Dose“ und arbeiten an der Finanzierung und Re- alisierung Ihres ersten Alternativen Tatorts mit dem Titel „Wer hat die Konfitüre geklaut?“ Woher nehmen Sie die Kraft, Energie und vor allem die Inspiration für Ihre Arbeit?
Die künstlerische Entfaltung ist für mich gewissermaßen überlebensnotwendig, da bringt man die Energie auf eine sehr selbstverständliche Art und Weise auf. Vermutlich kommt sie aus einer Unzufriedenheit heraus, mir selbst und der Gesellschaft gegenüber. Aber ja, es gibt schon zähe und anstrengen- de Zeiten, wenn Dinge sich verzögern, plötzlich alles gleichzeitig stattfindet. Dazu kommt noch, dass man für ein Scheitern dann auch alleine die Verantwortung zu tragen hat. Aber das sind alles Sachen, über die es sich eigentlich nicht nachzudenken lohnt.
Und wann macht Lara Stoll mal nichts, wie und wo kommen Sie zur Ruhe?
Ich übe mich in transzendentaler Meditation, ironischerweise bin ich aber oft zu gestresst dafür (ha!), und versuche meinem Privatleben so viel Aufmerksamkeit zu schenken wie möglich. Gesunde Beziehungen zu Freunden und Familie bilden für mich die Basis für einen freien Kopf. Rotwein, dunkle Clubs und Badewannen haben sich auch bewährt.
Das Gespräch führte Kai Geiger.