SYNAESTHESIA
RDW TRIO + ÉMILE V. SCHLESSER Immersive Jazz Esch2022
Im November werden der Multimediakünstler Émile V. Schlesser und das Jazz-Trio Reis-Demuth-Wiltgen ein einzigartiges, immersives Jazz-Event präsentieren. Auf einer 360-Grad-Bühne inmitten des Publikums werden der Pianist, der Kontrabassist und der Schlagzeuger das Phänomen der „Synästhesie“ untersuchen, indem sie ihre speziell zu diesem Zweck konzipierten Jazzkompositionen mit den 3D-Klanglandschaften des bildenden Künstlers verschmelzen lassen. Wir sprachen mit dem in Luxemburg geborenen Émile Schlesser, der an der Kunstakademie Düsseldorf studierte, von 2007 bis 2009 Malerei bei Markus Lüpertz, anschließend Video & Film bei Marcel Odenbach. 2018 schloss er sein Kunststudium mit dem Titel „Meisterschüler“ ab und schlug den Weg des Films ein. Sein Film „Superhero“, mit Maria Dragus und Jannik Schümann in den Hauptrollen, gewann 2020 den 13th Street Shocking Short Award, der jedes Jahr von NBC Universal beim Filmfest München verliehen wird. Sein künstlerisches Schaffen erstreckt sich vom narrativen Kurzfilm über Installation und kinetische Skulptur bis hin zur Malerei.
Wir sprachen mit Émile Schlesser über das Projekt.
Wie kamen Sie von der Kunst über den Film zur Immersive Art und jetzt zum Immersive Jazz?
Wenn man die Frage so stellt, würde man annehmen, es hätte in der Verggenheit klare Abschnitte gegeben. So war es nicht. Die verschiedenen Künste gingen für mich immer Hand in Hand. Ich habe nie den Unterschied gemacht zwischen visueller Kunst, Film oder Musik. Im Gegenteil, der Wunsch war immer, einen Weg zu finden, diese Musen miteinander zu vereinen, mich sowohl in der bildenden Kunst als auch im narrativen Film auszutoben. Musik spielt auch eine besonders große Rolle, jedoch habe ich nie ernsthaft in diesem Feld eine Karriere angestrebt. Mit SYNAESTHESIA bietet sich die Chance, all meine Leidenschaften zu einer perfekten Symbiose zu verschmelzen.
Was war der Impuls, sich von der Kunst ab- und zum Film hinzuwenden?
Von einem pragmatischen Aspekt her hat es natürlich mit Zeitmanagement zu tun. 24 Stunden am Tag reichen nicht aus, um in mehreren Feldern gleichzeitig produktiv zu sein und eine Disziplin wirklich zu beherrschen. Alleine der Zeitaufwand für die Entstehung eines Films ist viel größer, als man vermutet, und verlangt vollste Aufmerksamkeit und Hingabe. Jedoch würde ich behaupten, dass man sich nie gänzlich der Kunst abwenden kann, wenn man so lange in dieser Welt mit ihren besonderen Denkmustern gelebt hat. Vom Kunstmarkt, ja. Aber der Kunst an sich? Kaum.
"RDW Videos" Bilder: Émile V. Schlesser/ Reis-Demuth-Wiltgen Trio
Was kann der Film, was die Kunst nicht kann, und filmt Émile Schlesser anders als er malt?
Was mich besonders am Film reizt, ist die Möglichkeit, die Welt für kurze Zeit durch fremde Augen zu erfahren. Man wird in das Leben eines anderen Menschen versetzt, fühlt, sieht und versteht Dinge plötzlich anders, als das, was man durch die eigene Subjektivität erfährt. Wie ein wacher Traum, oder eine Art „out-of-body-experience“. Das stärkt das Empathie-Empfinden unter den Menschen ungemein und ist daher nicht unbedeutend für das Funktionieren einer Gesellschaft. Das kann der Film besser als alle anderen Kunstformen.
Meine Zeit als reiner Maler liegt schon etwas zurück. Im Laufe meines Studiums an der Düsseldorfer Kunstakademie hat sich die Malerei in andere Medien verwandelt, insbesondere Installation. Ich habe mich damals auch schon weniger als „Maler“ und eher als „Bilderproduzent“ verstanden. Egal bei welcher Kunstform, mein Ziel ist immer, etwas zu erschaffen, das etwas in einem auslöst, etwas in Bewegung setzt. Sowohl emotional als auch auf einer intellektuellen Ebene. Es muss Fragen aufwerfen, Interpretationsebenen schaffen, darf aber gleichzeitig unterhalten. Eine Arbeit muss uns träumen und fühlen lassen, zum Grübeln und Schmunzeln anregen. Das Faszinierende ist für mich letztendlich das Spiel mit der Illusion – ob das nun Farbpigmente auf Stofflappen oder Pixel auf einem Bildschirm sind. Das Magische besteht darin, aus Künstlichkeit reale Emotionen entstehen zu lassen.
Wie kam es zur Zusammenarbeit mit dem Jazz-Trio Reis-Demuth-Wiltgen?
Ich arbeite seit ungefähr elf Jahren mit dem Trio. Besonders mit Pianist Michel Reis, den ich schon etwas länger kenne. Ich bewunderte ihn schon als Kind, als er (nur wenig älter als ich) schon als „Wunderkind“ am Klavier galt. Irgendwann habe ich ihn nach einem seiner Konzerte angesprochen und meinte – rotzfrech –, ich würde später mal Filme drehen, für die er die Musik schreiben würde. Ein paar Jahre später hat das Trio mich gefragt, Musik-Videos für sie zu drehen. Mittlerweile ist eine echte Freundschaft zu den dreien entstanden, und es ist immer ein großer Spaß, zusammen neue Projekte anzugehen. Ich habe nichts als Bewunderung für ihr Talent, dem Jazz eine neue Seite abzugewinnen, musikalische Welten und Geschichten aus Holz und Metall herauszuholen. Das Spiel mit der Illusion wieder einmal!
Anlässlich der Kulturhauptstadt Esch2022 entwickeln Sie zusammen das Immersive Jazz Projekt „SYNAESTHESIA“. Was verbirgt sich dahinter?
Das Trio und ich haben für Esch2022 ein Konzept entwickelt, das den Spagat zwischen mehreren Kunstformen schlägt. Für Ende November planen wir im luxemburgischen Dudelange, nahe Esch, ein audiovisuelles, immersives Spektakel, das wie eine Mischung aus Konzert, Kunstinstallation und Filmprojektion scheint, aber in Wirklichkeit weder noch ist.
In was taucht das Publikum ein, welche Sinne sprechen Sie mit Ihrem Projekt an?
SYNAESTHESIA lässt sich als eine multisensorische Erfahrung beschreiben. Eine begehbare Rauminstallation mit 360-Grad-Video-Projektion auf mehreren Ebenen, umgeben von musikalischen Klangwelten, die in Bilder, Farben und Bewegung übersetzt werden. Audio und Video sind perfekt aufeinander abgestimmt, gehen Hand in Hand und werden zu einer symbiotischen Einheit verflochten. Das Ganze wird, ähnlich einer Oper, als kontinuierliche Narrative durchkomponiert, sodass es uns auf eine völlig immersive Reise mitnimmt.
Die Idee dazu entstand aus dem Wunsch, Synästhesie auf spektakuläre Art greifbar zu machen. Synästhesie ist das neurologische Phänomen, bei dem mehrere Sinneswahrnehmungen untrennbar miteinander verschmolzen sind. Ich selbst bin Synästhetiker, war mir dessen aber lange Zeit nicht bewusst, da es für mich alltägliche Normalität ist. Bis zu einem gewissen Grad hat jeder Mensch eine synästhetische Tendenz. Ich glaube vor allem im Schlaf, wenn sich im Gehirn neue Synapsen bilden und die eigene Imagination zügellos draufloskonstruiert, kommt das Zusammenspiel von Sinnen besonders zum Vorschein. Man sieht Dinge, die man eigentlich hören sollte, schmeckt, was man fühlt, hört, was man berührt, usw. Dies versuchen wir mit SYNAESTHESIA erfahrbar zu machen. Wie ein großer, gemeinsamer Trip. Man soll völlig darin aufgehen können.
Welche Technik kommt zum Einsatz?
Es wird hier keine klassische Kino- oder Konzertsituation geben, wo Musiker vor einem Publikum stehen und alles in einer Achse stattfindet. Das genaue Gegenteil trifft es eher: Die Performer sind größtenteils unsichtbar, ziehen sozusagen hinter den Kulissen die Fäden, um die Illusion in den Vordergrund zu stellen. Es geht vor allem um die sensorische Erfahrung. Die Zuschauer befinden sich in einer frei begehbaren „Arena“, wo um sie herum ständig etwas passiert. So kann die Erfahrung beim zweiten Mal eine völlig andere sein.
Wie die technische Umsetzung im Detail nachher aussieht, wird natürlich vom Inhalt diktiert, und dieser befindet sich momentan noch im Fluss. Fest steht, es ist ein begehbarer Raum, der von Projektionsfläche umkreist ist. Wir werden mit semi-transparenten Leinwänden arbeiten, um an bestimmten Punkten den Blick durch das projizierte Bild hindurch zu ermöglichen. So werden die Performer im Hintergrund sichtbar und in das Geschehen mit eingebunden.
Immersive Produktionen werden für Räume geplant und zugeschnitten, was eine gewisse Exklusivität und Einmaligkeit darstellt. Es sei denn, es ist eine der boomenden Blockbuster Immersive Art Shows wie Van Gogh, Monet oder Frida Kahlo, die durch die ganze Welt geschickt wden. Was passiert mit „SYNAESTHESIA“ nach Esch2022?
Das ist noch völlig offen und hängt natürlich von der Rezeption letztendlich ab. Wichtig wäre zumindest eine gute Dokumentierung des Projektes, was sich auch als eine Herausforderung darstellt. Das ginge eigentlich nur mit virtual reality. Momentan wollen wir uns noch nicht zu sehr mit dem, was folgt, beschäftigen. Erst müssen wir uns völlig auf die eigentliche Kreation konzentrieren.
DAS GESPRÄCH FÜHRTE KAI GEIGER