INTERVIEW MIT PETER KIEFER
Was ist Ihr liebster Klang, der für Sie persönlich ein Kunstwerk ist?
Eigentlich ist es jeder Klang, den ich im Moment höre!
Noch vor zehn Jahren fuhr ich von Mainz nach Aachen und hörte Radio – da gab es im Hunsrück eine Strecke, wo sich im analogen Radio die Sender vermischten und zwischen Rauschen immer mal wieder Musik, Sprache und eben Noise erklangen – das fand ich unglaublich spannend. (Heute beim digitalen Radio gibt’s diese Überlagerungen nicht mehr.)
Mir geht es bei der Klangkunst nicht nur um das Produzieren von Klängen, sondern vor allem ums Hören und Lauschen. Das Hören ist ein vernachlässigter Sinn, und wenn wir uns nur be- wusst machen, wie viele faszinierende Sachen wir hören können, wird unsere Welt auf einmal weitaus spannender. Es geht um das Neuentdecken des auditiven Sinnes – ob es sich dann dabei um Kunst handelt oder nicht, steht für mich nicht im Vordergrund.
Der Naturphilosoph und -forscher Lorenz Oken hat es so ausgedrückt: „Das Auge führt den Menschen in die Welt, das Ohr führt die Welt in den Menschen ein.“
Wie kamen Sie zum Klang und was fasziniert Sie am Klang, an der Erforschung des Klangs?
Ursprünglich habe ich Schlagzeug studiert, und da befasst man sich sehr mit Geräuschen und Klängen; einer Triangel kann man zum Beispiel mindestens sieben unterschiedliche Klangfarben entlocken. Wir hatten an der Musikschule Düren ein Schlagzeugensemble und nicht so viel Geld, da haben wir dann Instrumente selber gebaut: ein Kuhglockenspiel oder einen riesigen Bambusschrapper. Das waren dann schon reine Klangobjekte im Sinne von Luigi Russolos „Intonarumori“ aus den 1910er/20er-Jahren. Später habe ich mich dann in der Welt der Medien mit Sampling und Soundscapes auseinandergesetzt.
Mein jetziges Projekt ist die Klangforschung – es gibt unglaublich viele Aspekte, wo und wie Klang in unserer Gesellschaft eine wichtige Rolle spielt.
Aber es gibt keinen Überblick oder kaum Forschung über all diese Klangerfahrung, und das möchte ich jetzt mit dem Projekt ARS erreichen.
Gerade jetzt bei der Ausgangssperre wegen Corona erleben wir unsere Klangumwelt komplett neu: In Italien gibt es Balkonkonzerte. Die Menschen verbinden sich durch Klänge und Musik und schaffen damit einen sozialen Raum – ich finde diese Kulturpraxis des Klanges etwas ganz Besonderes.
Was ist Klangkunst, wann ist Klang Kunst und Kunst Klang? Und wann ist Kunst Kunst?
Diese Frage ist natürlich letztendlich unmöglich zu beantworten ... Tatsächlich funktioniert der Begriff Klangkunst sehr gut, weil jeder versteht, was gemeint ist, auch wenn eine wissen- schaftliche Definition recht problematisch ist und es viele Diskussionen darüber gibt. Mich interessieren hier mehr die künstlerischen Ergebnisse.
Und Kunst, die das Material Klang benutzt, bleibt ja Kunst – wir sprechen bei Malerei ja auch nicht von Pinselkunst oder bei den Skulpturen von A. Calder nicht von Eisenkunst ...
Gute Klangkunst addiert auf jeden Fall nicht einfach Klang zu einem Bild oder umgekehrt, sondern schöpft aus den Möglichkeiten einer echten Verbindung etwas Neues.
Macht es einen Unterschied, von welcher Seite sich der Klangkunst genähert wird – ein Musiker hin zur Kunst oder ein Bildender Künstler hin zur Musik?
Ja, das ist sehr spannend – viele Musiker haben ein sehr trainiertes Ohr und sind geschulte Zuhörer. Allerdings sind sie oft in musikalischen und kompositori- schen Traditionen verhaftet, und ihnen fällt das Loslassen schwer. Künstler sind da oft viel offener für das Experi- ment und hinterfragen ihre eigene Position intensiver. Hier muss allerdings das Hineinhören in die Klänge trainiert werden. Optimal ist es, wenn sich im Studiengang die Kommiliton:innen treffen und sich durch die unterschied- lichen Ansätze zwischen Kunst, Musik und Technik gegenseitig inspirieren. Klangkunst ist immer intermedial und in dieser „Lücke“ zwischen den Küns- ten ist viel Raum für das Entstehen ...
Sie haben 2011 den deutschlandweit einmaligen Studiengang „Klangkunst-Komposition“ an der Hochschule für Musik der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz gegründet. Wie muss man sich ein Klangkunst-Studium vorstellen?
Das Studium ist sehr individuell, eigentlich wie ein Kunststudium, dessen Materialien eben Klang und Raum sind. Neben den historischen und auch technischen Grundlagen wird auf sehr persönlicher Ebene über Ideen und Konzepte gesprochen oder diese modellhaft ausprobiert. Da das Entstehen von künstlerischen Ideen ein sehr zartes Pflänzchen ist, ist das nur durch viel Vertrauen und Respekt untereinander möglich. In der Gruppe werden dann schon weiter ausgearbeitete Ideen besprochen, und durch ein Feedback der Kommiliton:innen wird erprobt, wie man die eigenen Positionen argumentativ untermauern kann.
Wir legen Wert darauf, dass sehr projektorientiert gearbeitet wird und Konzepte auch umgesetzt werden können. Die Studierenden haben auch viele internationale Preise und Stipendien gewonnen, waren in New York, Japan und Basel und haben im Studium inte- ressante Ausstellungen und Kooperationen realisiert, unter anderem in New Orleans, in Luxembourg, beim Netzwerk Neue Musik, in der Kammeroper Schloss Rheinsberg, der Filmhochschule Babelsberg, bei ARD online.
Was sind Beispiele für praktische Umsetzungen?
Trotz Corona konnten wir im Sommer 2021 große Ausstellungprojekte und ein CREATIVE CAMP SOUND ART realisieren. In der Klangforschung befassen wir uns mit dem Thema „Klopfen“. Das erscheint erst einmal sehr simpel – eröffnet aber einen ganzen Kosmos: Wir klopfen an Türen, auf Käse, auf rot, auf Melonen, auf Bäume, um Auskunft über das Innere zu erlangen. Wir klopfen an Porzellan, ob es nicht sichtbare Sprünge hat, und in der Medi- zin wird der Körper abgeklopft, und sogar Brücken werden durch Klopfen auf Stabilität überprüft. In der Altstadt von Barcelona gibt es eine eigene Klopfsprache für Türklopfer. Klopfen begleitet uns durch den Alltag und das Hören gibt uns Aufschluss.
Und im vergangenen Jahr haben wir über ein halbes Jahr Rieslingwein während der Reife mit unterschiedlichen Kompositionen von Beethoven in Schwingung versetzt. Zum 250. Geburtstag von Beethoven ist in einer streng limitierten Auflage ein Klangwein entstanden, der tatsächlich unterschiedlich schmeckt und im Beethovenhaus in Bonn präsentiert wurde (soundart.uni-mainz.de).
Für die „Gutenberg Sound Academy“ GUSAC haben wir vor zwei Jahren zwanzig junge Künstler:innen aus aller Welt nach Mainz geholt – aus Mexiko, Kanada, Weißrussland, Island, USA etc. kamen sie, um mit den Klangkünstlern Bernhard Leitner (Wien), Miya Masaoka (New York) und mir zu arbeiten und zu experimentieren. Zum Abschluss gab es das Symposium „Ex- hibiting Sound Art“, bei dem internationale Wissenschaftler, Museumsleute, Kuratoren und Künstler über die speziellen Herausforderungen und Aspekte diskutiert haben, die sich bei der Ausstellung von Klangkunst ergeben. Hier erscheint im Frühjahr eine Publikation im Wolke Verlag.
Welchen Stellenwert hat Klangkunst in der Neuen Musik, in der Kunst und in der Öffentlichkeit?
Ein freches Statement lautete einmal, die Klangkunst sei wie „eine Kirsche auf der Sahne der Neuen Musik“. Tatsächlich nutzen zahlreiche Musik- Festivals Klangkunst als zusätzliche Attraktion zu dem üblichen Konzertformat, und nicht überall wird genügend kuratorische Sorgfalt für diese spezielle Kunstform aufgebracht.
Andererseits zeigen viele reine Klang- kunst Festivals, dass Klangkunst für viele Menschen leicht zugänglich ist und unterschiedlichste Publikumskreise anzusprechen vermag. Viele Menschen vermögen sich Klängen und Klangräumen leichter und ohne Vorurteile zu öff- nen. Meinen Klangpark auf der BuGa in Koblenz haben mehrere Millionen Menschen erlebt, und ich habe mich mit vierjährigen Kindern genauso über Klänge austauschen können wie mit Familien und Rentnern.
Wenn Klangkunst zum Zuhören anregt, dann ist das Interesse der Öffentlichkeit extrem groß. Das ist ein Potenzial, das noch gar nicht richtig genutzt wird; zum Beispiel bietet Klangkunst im öffentlichen Raum noch ungeahnte Möglichkeiten – auch unter Aspekten von Ökologie und Nachhaltigkeit.
Viele Kompositionen der Neuen Musik haben eine Uraufführung, werden danach archiviert und kommen nie mehr zur Aufführung. Wie sieht es mit der Klangkunst aus? Wie wird diese bewahrt, wie bleibt sie der Öffentlichkeit zugänglich?
Jede Dokumentation von Kunst ist nur ein Verweis auf deren Realität – auch das Foto eines Bildes ist nicht das Kunstwerk selbst. Bei Klangkunst ist die Herausforderung besonders groß: Wir behelfen uns mit Videos und Tonaufnahmen, falls möglich in Mehrkanal. Die neue 3D-Videotechnik verspricht eine viel bessere Dokumentation, weil man auch Installationen interaktiver erfahren kann. Hierzu bräuchte es aber eigentlich eine Art 4D-virtuellen Klang/ Bild-Raum, der zurzeit weder über das Netz noch über Datenbrillen realisiert werden kann. Ein solcher Raum in Museen wäre sehr gut geeignet, zumindest einen Eindruck von manchen spannen- den Klangkunstwerken zu erhalten – z.B. von der Installation „Time Square“ in New York von Max Neuhaus, eine der ersten Klanginstallationen überhaupt (1977).
Auf jeden Fall benötigt eine sinnvolle Dokumentation von Klangkunst auch einen eigenen Raum, wie in einem Museum.
Da Klangkunst oft ortsbezogen ist, ist sie auch schwer zu verkaufen und tut sich auf dem etablierten Kunstmarkt noch recht schwer. Die Anfänge sind nicht leicht, wie es auch bei der Videokunst war, das wird sich aber zukünftig ändern.
In Unna gibt es ein Zentrum für Internationale Lichtkunst. Ist ein Museum für Klangkunst nicht schon lange überfällig?
Bereits im Jahr 2003 habe ich an der Kunsthochschule für Medien in Köln ein Symposium veranstaltet mit dem Titel „Das (un)mögliche Museum der Klänge“. Es waren fast 75 Expert:innen dort und haben diskutiert. Die Herausforderung ist die, dass jeder Klang sich im Raum ausbreitet und diesen Raum auch als Erfahrungsraum braucht. In „normalen“ Museen ist es keine Schwierigkeit, Bilder nebeneinander zu hängen – es mag ästhetisch passen oder nicht – aber bei Klang ist es ein physikalisches Problem. Man kann nicht einfach mal ein Stück Stoff hinhängen und denken, das würde akustisch abschotten. Hier denken die meisten Kuratoren noch zu sehr visuell oder meinen, man könne das Problem der akustischen Überlagerung durch Kopfhörer lösen – und das ist für eine raumbezogene Klangkunst nicht sinnvoll.
Tatsächlich hat ein Klangkunstmuseum also noch ganz andere Herausforderungen zu meistern als ein Lichtkunstmuseum.
Es braucht vom akustischen abgeschotteten White Cube über eine Black Box einfach zahlreiche Räume mit einem gewissen Abstand voneinander. Für die Ausstellung „KlangRaum – RaumKlang“ waren wir deshalb an 17 Orten in Köln – vom alten Ladenlokal über den Rathausplatz bis ins Museum und in Galerien.
Also – ein Museum für Klangkunst wäre super und unbedingt erforderlich, es benötigt aber voneinander unabhängige Räume. Eine Konstruktion von mehreren „Klangräumen“ in einem Park ähnlich wie auf der Museumsinsel Hombroich wäre optimal. Mal sehen, was die Zukunft bringt – ich würde mich freuen, in einem Museum für Klangkunst eine Ausstellung zu kuratieren oder zu erleben.
DAS GESPRÄCH FÜHRTE KAI GEIGER