Grimmige Märchen, von Herbert Fritsch, Ensemble © Tanja Dorendorf | T T Fotogra e

Markus Scheumann startet mit Hamlet in die Saison

Es ist Mitte August, die Vorbereitungen auf die Spielzeit 2018/2019 beginnen am Schauspielhaus Zürich. Überall gespanntes, konzentriertes Arbeiten. Die ersten Stücke der neuen Spielzeit stehen auf dem Probeplan, in den Werkstätten wird emsig an den Bühnenbildern gearbeitet. Das Haus ist gerüstet für die nächste Spielzeit, die am 13. September mit Hamlet beginnt. Es ist die letzte Spielzeit für die Intendantin Barbara Frey und auch für Markus Scheumann, der mit Barbara Frey in der Spielzeit 2009/2010 ans Schau- spielhaus Zürich kam, und für den die Reise jetzt weitergeht.

INTERVIEW

Wir sprachen mit Markus Scheumann über den Beruf des Schauspielers, die Vorbereitung auf die Saison, Lieblingsrollen, das Scheitern und über das, was die Zukunft für ihn bereithält.

In welche Rolle lesen, arbeiten, bewegen sie sich gerade hinein?

Markus Scheumann: Nach 2004 in Köln zum zweiten Mal in die Rolle des Claudius in Shakespeares Hamlet in der Regie von Barbara Frey.

In welchen Rollen wird man Sie in der nächsten Spielzeit 2018/19 am Schauspielhaus Zürich erleben?
Markus Scheumann: In meinem letzten Jahr am Schauspielhaus Zürich außer als Claudius im „Hamlet“ nur in einer weiteren Neuinszenierung. Herbert Fritsch wird mit dem Ensemble ein Projekt zum Thema „Tatort“ entwickeln, der Titel des Abends wird „Totart“ lauten.

© Carolin Weinkopf
Markus Scheumann, Vera Flück © Tanja Dorendorf | T T Fotogra e

Wann und mit welchem Vorlauf erfährt man, was die jeweilig neue Spielzeit für einen an Rol- len hervorbringt? Wie und wer entscheidet über Stückwahl und Besetzung?

Markus Scheumann: Hier gibt es keine festgelegten Abläufe. Die Vorgehensweise hängt von der vertraglichen Situation der Spieler ab. Wird ein Schauspieler von außen dazugeholt, finden Gespräche über das Projekt naturgemäß früher statt, weil die Organisation in der Folge anspruchsvoller wird. Hier muss mit anderen Theatern oder wegen anderer Projekte koordiniert werden. Innerhalb des Ensembles bewegt sich die Kommunikation zwischen „Wie bringe ich ihm oder ihr bei ...“ und „Wie eröffne ich ihr oder ihm ...“

Kann man eine Rolle auch ablehnen?

Markus Scheumann: Sicher. Allerdings sollte das gut begründet sein. Hin und wieder sollte man ehrlich sein und anmerken, dass bestimmten künstlerischen Konstellationen eine Pause gute täte.

Wie lernt und erarbeitet man eine Rolle? Was fügt sich wann und wie zusammen?

Markus Scheumann: Große Teile der Probenarbeit sind Materialsammlung. Zu diesem Material gehört sicher auch der Text, speziell bei Klassikern, weniger innerhalb von Projektentwicklungen. Erst wenn man weiß, welche und wie viele Bälle man hat, kann und sollte man anfangen, damit zu jonglieren. Oft passiert das erst zur Premiere. Manchmal leider auch erst danach.

Wie lange brauchen Sie, um sich auf eine neue Rolle vorzubereiten? Fallen einem Komödien leichter als Dramen oder eine Groteske?

Markus Scheumann: Die Vorbereitungszeit ist von Rolle zu Rolle unterschiedlich, allein schon wegen des unterschiedlichen Textumfangs und setzt sich zwischen den Proben fort. Nicht alles, was einem wichtig erscheint für eine Figur, entwickelt sich auf der Probe. Häufig entsteht es schlicht durch Zufall. Ob Komödien leichter fallen als Tragödien, hängt damit zusammen, wie man sich als Schauspieler definiert. Die wenigsten wollen sich in eine Schublade pressen lassen. Dennoch: Der Tragöde wird in der Komödie immer die Tragödie finden. Und der Komödiant stets die Komödie in der Tragödie. Und beide haben recht.

Gibt es ein Scheitern in einer Rolle?

Markus Scheumann: Zunächst einmal gibt es ein Scheitern an einem bestimmten Abend, bei einer bestimmten Vorstellung. Die Nuancen sind für das Publikum nicht immer nachvollziehbar und schwer zu erklären. Sie sind aber real und wichtig für die Eigenwahrnehmung dessen, was man als Schauspieler an einem Abend erzählen möchte. Ob man komplett in einer Rolle gescheitert ist, ist oft schwer zu beurteilen nach sechs bis neun Wochen Proben, zumal man nicht immer für alles allein verantwortlich ist. Sicher aber gibt es nach Jahren des Abstands die Frage: Wie konnte ich um Himmelswillen dieses oder jenes nur so spielen? Das sollte man allerdings nicht zwangsläufig mit Scheitern verwechseln.

Grimmige Märchen, von Herbert Fritsch, Ensemble © Tanja Dorendorf | T T Fotogra e

Hat man den Kasimir aus „Kasimir und Karoline“ in der Regie von Karin Neuhäuser aus dem Jahr 2009 am Düsseldorfer Schauspielhaus noch im Kopf? Fällt einem das Textlernen dadurch leichter, wenn das Stück 2019 in anderer Regie wieder auf dem Spielplan stehen würde?

Markus Scheumann: Ja, das könnte ich aus dem Stand in der Tat nicht herunterbeten, aber die Zeit, die ein Wiederlernen in Anspruch nähme, wäre deutlich kürzer. Das Hirn ist ein erstaunliches Ding. Ob es allerdings wünschenswert wäre, dass parallel zum Text in einer neuen Inszenierung unter anderen Voraussetzungen und möglicherweise Zielsetzungen auch die Bilder der Vergangenheit wieder vor dem geistigen Auge auftauchen – so erstaunlich ist das Hirn ja auch sei dahingestellt.

Unterscheidet sich das Rollenlernen, das Leicht oder Schwer von Regisseur zu Regisseur, von weiblichen zu männlichen Regiearbeiten?

Markus Scheumann: Ob etwas als schwer oder leicht empfunden wird, hängt selbstverständlich auch mit Menschen zusammen. Ob männlich oder weiblich, spielt dabei keine Rolle. Wichtiger aber ist die Frage, ob sich etwas lohnt oder nicht. Der steinige Weg kann wie überall auf der Welt auch der zielführendere sein. Oder anders ausgedrückt: Erstrebenswert scheint mir zu sein, schwierige Prozesse mit einer gewissen Leichtigkeit zu bewältigen. Schwierig, schwierig.

Ist jede Rolle eine neue Herausforderung, auch mit sich selbst, oder stellt sich nach mehr als 20 Jahren Bühnenerfahrung Routine ein?

Markus Scheumann: Der immer wieder beeindruckende Vorgang, zu einer vorgegebenen Uhrzeit vor eine gewisse Menge von Menschen zu treten, hält die Routine einigermaßen in Schach. Wenn Routine aber bedeutet, bestimmte Erfahrungen gemacht und daraus Schlüsse gezogen zu haben, bin ich auch gerne bereit, Routine als etwas Positives anzuerkennen.

Sie kamen in der Spielzeit 2009/10 zusammen mit der Intendantin Barbara Frey ans Schauspielhaus Zürich. Zum Ende der Spielzeit 2018/19 verlässt Barbara Frey das Haus. Bleiben Sie, ziehen Sie mit Barbara Frey weiter, oder wohin geht die Reise für Sie?

Markus Scheumann: Da ist noch nichts unterschrieben. Sicher ist, dass es woanders und im Festengagement weitergehen wird. Das ist der Arbeitszusammenhang, den ich über die Jahre zu schätzen gelernt habe. Gut ist sicher, zu einer Stadt und zu bestimmten Konstellationen auch einmal Abstand zu gewinnen.

Woraus erwächst das „never change a winning team“, der Umstand, dass Intendanten/Intendantinnen gern mit ihren Schauspielerinnen/Schauspielern an ein neues Haus kommen? Aus einem Sicherheitsbedürfnis, einer Komfortzone heraus?

Markus Scheumann: Das eine bedingt das andere. Neue Menschen, mit denen man intim zusammenarbeiten wird, können einem ja auch erst einmal Furcht einflößen. Gegenseitig Vertrauen zu gewinnen, braucht natürlich Zeit und vor allem Neugier von allen Seiten. Aus gutem Grund wollen viele künstlerische Leiter das Risiko, auf dem Weg auch mal enttäuscht zu werden, so gering wie möglich halten. Wenn daraus eine Komfortzone wird, sind wir wieder beim Thema Routine und die Alarmglocken sollten schrillen. Da ist es im Theater nicht anders als in eingespielten Fußballmannschaften.

Sie werden in diesem Jahr 50. Steht man da fest im „Bühnensaft“ oder rüttelt der eine oder andere Ge- danke auch ans Älterwerden, an die Konkurrenz der Jüngeren, dem Wissen über die nicht unendlich vorhandenen Rollen für ältere Schauspieler an einem?

Markus Scheumann: Spielen ist keine Altersfrage.