© Helmuth Scham, www.schampus.com

Christoph Keller hört auf!

In diesen Tagen muss Christoph Keller viel reden, sich „erklären“. Warum? Nur weil er aus freien Stücken zum zweiten Mal eine erfolgreiche Un- ternehmung aufhört, zu einem Ende bringt. Be- greifen will es so recht keiner. Aber setzt sich einer mit dem Menschen Christoph Keller auseinander? Oder nur mit dem erfolgreichen Geschäftsmann, der landläufig gedacht „alles zu Gold macht“, was er anlangt? Ich treffe Christoph Keller im Frühjahr letzten Jahres zum ersten Mal. Da war die Entscheidung, mit dem Schnapsbrennen aufzuhören, die Stählemühle zu schließen, noch ganz frisch. Er wirkte erleichtert. Wir sprachen über das Sehnen nach Langsamkeit, den achtsamen Umgang mit Körper und Geist, über Familie und Freundschaften, die auf der Strecke bleiben oder irgendwann nicht mehr da sind. Wie heilsam die langen Spaziergänge mit einem guten Freund in den Schweizer Bergen sind, das Besteigen und Überqueren von Bergen, auch der inneren. Wie schön es wäre, einfach mal wieder Zeit für ein schönes Jazzkonzert zu haben. Für ein Sich-fallen-Lassen in einer Stadt, ohne Termindruck, ohne das Geschäft, das Business auf Schritt und Tritt zu wittern und zu begeg- nen, Ideen und Gedanken zu entwickeln, nicht zur Ruhe zu kommen. „Einfach mal nichts machen.“ Es ist nicht einfach so daher gesagt. Es ist die Sehnsucht, sich selbst wieder nahe zu sein. Ich glaube ihm.

Wir haben uns in der Vorweihnachtszeit erneut zum Reden getroffen, in einer Zeit, in der zum ersten Mal seit Jahren Ruhe und keine Hektik die Stählemühle bestimmt. Jetzt ist zwar nicht alles gut, aber vieles besser.

 
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Seit einem Jahr schließen Sie den Betrieb der Stählemühle. Ende 2018 soll Schluss sein. Wie geht es Ihnen dabei, wo stehen Sie? Sind Sie ab und an wehmütig, rückfallgefährdet?

Christoph Keller: Nein, auf keinen Fall besteht die Gefahr eines Rückfalls. Ich habe mich 12 Jahre lang intensivst mit der Destillation von Alkohol beschäftigt und dabei alles erlebt und vieles erreicht. Die Sportler sagen immer, „Man soll aufhören, wenn es am Schönsten ist“ – und genau das will ich tun.

Ich habe das Gefühl, den Zenit überschritten zu haben, es geht einfach nicht mehr besser – und die Gefahr besteht durchaus, dass es schlechter wird, dass ich nicht mehr diese 120%ige Energie aufbringe, die allerbesten Destillate herzustellen, dass ich schlampig werde, dass die Routine die Qualität bedroht.

Ich habe über 700 Rohstoffe destilliert, einen Gin von Weltruhm entwickelt, dazu fast 300 Sorten von Obstbränden, Absinth, Aquavit, Whisky, Rum, Korn – allesamt mit höchsten Auszeichnungen dekoriert und von Liebhabern, Conaisseuren, Spitzengastronomen und Chefköchen auf der ganzen Welt begehrt. Spitzenpolitiker verschenken unsere Brände als Staatsgeschenke, Popstars, Sportler, Literaten gehören zu unseren Stammkunden. Es kann einfach nicht mehr besser werden. Und jetzt einfach nur den Gewinn zu maximieren – das wäre natürliche der logische, aber stupide kapitalistische Schritt – ist überhaupt nicht mein Ding. Dann wäre ich ja Hedge-Fond-Manager geworden und nicht Destillateur.

Von daher: Keine Wehmut, keine Reue, kein Blick zurück!

Was waren und sind Ihre Beweggründe?
Christoph Keller: Abgesehen von dem gerade schon erwähnten, zählen hierzu auch private Gründe. In der Mitte des Lebens verändert sich ja auch vieles, die Kinder wachsen einem über den Kopf und verlassen das Haus, Partnerschaften müssen neu gedacht und weiterentwickelt werden, die Interessen verändern sich, die Neugier auf unerforschte Sehnsüchte wächst und dabei auch das Bedürfnis, sich selbst nochmal umzuschauen, was es so alles auf der Welt gibt! Und dann gibt es ja auch eine gewisse Desillusionierung, was das eigene Tun angeht. Vielleicht ist das ja doch gar nicht so wichtig? Vielleicht ist man gar nicht der Allergrößte? Und wenn schon, was bringt’s?

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Mit der Stählemühle schließen sie bereits zum zweiten Mal eine erfolgreiche Unternehmung nach +/-10Jahren.Überholt der Erfolg den Menschen, das Innenleben, dieWork-Life-Balance des Christoph Keller?
Christoph Keller: Erfolg bedeutet immer auch eine latente Hybris oder wenigstens: die Gefahr, dieser zu un- terliegen. Als ausgesprochener Narzisst bin ich da leider extrem anfällig. Und Hochmut ist für das direkte Umfeld ei- nes Menschen eine absolute Zumutung. Habe ich leider auch erlebt. Das muss jetzt einfach auch wieder in eine „Ba- lance“ gebracht werden. Ich bin sozusagen auf der Suche nach einem neuen „Maß“.

Dass dies in meinem Leben sozusagen schon zum zweiten Mal passiert, ist vielleicht Zufall, vielleicht hat es damit zu tun, dass ich nicht aus meinen Fehlern lerne, vielleicht aber auch mit meiner grundsätzlichen Persönlichkeitsstruktur, die eben zwischen Perfektionismus, Gestaltungswillen, Kreativität, Neugier, Ehrgeiz aber auch Hybris, Intoleranz, Team-Unfähigkeit, Sturheit und Unabhängigkeitssucht hin- und herpendelt. Da wird man zwangsläufig von den Geistern, die man ruft, überholt und muss diese wieder loswerden!

Für den Künstler und Musiker Dieter Meier, den selbsternannten Individual-Anarchisten, ist Scheitern keine Niederlage, sondern eine lebensnotwendige Erfahrung auf dem Weg zu einem erfüllten Leben. Wie ist das bei Ihnen? Sie hatten immer Erfolg, mit dem, was Sie angefangen haben, und irgendwann ist Ihnen dieser über den Kopf gewachsen. Scheitern oder erfülltes Leben?
ChristophKeller: Das Scheitern begleitet mich, wie die meisten Menschen, permanent und ist ein ständiger„Freund“. Ich würde das aber nie so plakativ formulieren wollen,wieder Meier das tut. Das ist mir zu sehr Küchen-Psychologie für Ratgeberliteratur. Scheitern kann sowohl Niederlage wie auch konstruktive Entwicklungshilfe sein – das hängt zum einen von der individuellen, psychologischen Struktur und dem jeweiligen Umgang mit diesem Scheitern ab, zum anderen aber natürlich auch von der Natur eben dieses Scheiterns. Beruflicher Erfolg ist ja nicht lebensnotwendig, sondern nur ein Luxusgut. Insofern muss ich Ihre Frage auch so beantworten: Sowohl Scheitern als auch erfülltes Leben – da gibt es eben kein Entweder-Oder!

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In der Schweiz gibt es ein erfolgreiches Programm, das sich „Seitenwechsel“ nennt, Kaderleute sind aufgefordert, einmal im Jahr für 14 Tage die Seiten zu wechseln, um Scheuklappen abzulegend,den Blick zu weiten und neue Impulse zu bekommen, sich neu zu sortieren. Welcher Seitenwechsel hätte Ihnen in den letzten 10 Jahren gutgetan, um aus dem eigenen Hamsterrad herauszukommen?
Christoph Keller: Nun ja, ich bin ja kein „Kadermensch“. Ich kann mich nicht mit solch einer speziellen Spezies von Manager-Söldnern vergleichen, deren Lebenssinn offensichtlich darin besteht „Führer“ zu sein, ohne sich mit dem Produkt, der Ideologie eines Unternehmens und dem eigenen Tun identifizieren zu müssen. Ich finde es ganz schlimm, dass junge Leute sich durch die Belohnungssysteme kapitalistischer Körperschaften so sehr verlocken lassen – um sich selbst zu verraten und sich durch Geschäftswagen, Business-Class-Flüge und Boni in eine Armee der Berufssoldaten zu verwandeln. Die Stählemühle war nie eine Marke und sollte dies auch nie sein, sondern ein Projekt von Individualisten, die sich selbst „spielen“ und tun, was immer sie wollen. Auch das ist natürlich eine Rolle, in der man sich ab und an mal ertappt fühlt. Aber ein „Seitenwechsel“ funktioniert hier nicht wirklich, weil man nur schwer aus der eigenen Haut herauskann und keinen Sold von einem Konzern bezieht.
Im privaten Bereich ist das durchaus anders, hier hätte mir ein wenig Abstand, Distanz, Pause, Einhalten, Verlangsamung etc. sehr gut getan. Da habe ich vielleicht manches verpasst.

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Haben Sie eine Strategie für die Zeit, die kommt, das nächste Projekt, den nächsten Lebensabschnitt?
Christoph Keller: Nein, das ist momentan ein Blindflug ins Ungewisse, für den es aber einige Parameter gibt, die sich am besten mit „Maß halten“ beschreiben lassen. Für mich geht es aber, bevor dieser Abschnitt beginnen kann, zunächst einmal um das „Aufhören“ an sich. Das klingt ja immer leichter, als es ist. Aufhören erfordert definitiv mehr Energie, Mühe und Anstrengung als das „Anfangen“. „Start Up“ kann jeder – „Shut Down“ dagegen ist eine echte Herausforderung! 

Sie waren vor der Stähelmühle einer der erfolgreichsten Kunstbuchverleger. Das Kunst und Alkohol zusammengehören, zeigt nicht nur eine Rundreise durch französische Weingüter, die ihre Besucher inzwischen mit Kunstsammlungen umschmeicheln. Hat es Sie nie gereizt, Ihr erstes Sein mit dem zweiten Sein zu verbinden? Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Tobias Rehberger?
Christoph Keller: Ja, ich habe tatsächlich in den ersten Jahren versucht, diese beiden Welten zu verbinden, in- dem ich Ausstellungen gemacht habe und Editionen mit Künstlern – unter anderem mit Jonathan Meese, David Shrigley, Jonathan Monk, Tim Lee, Stefan Marx, Tobias Rehberger usw. Ich fand diese gewollte Symbiose, basierend auf einem biografischen Zufall, aber nicht als logisch oder erfüllend. Tausende Künstler gestalten irgendwelche Etiketten für Weingüter etc. – aber wo ist die Verbindung? Und dann sind irgendwann immer wieder Künstler an mich herangetreten, die – als „Projekt“ oder als „Kunstwerk“ – irgendwas destillieren wollten. Das war noch viel affiger, weil die Destillation eben keine Technik der bildenden Kunst ist, sondern eine der sieben alchemistischen Künste, ein Handwerk mit großer Tradition, in dem man es eben auch zu Virtuosität und Meisterschaft bringen kann. Das hat aber nix mit einem Witzle für irgendein hochsubventioniertes Ausstellungsprojekt zu tun. In diesem Sinne habe ich die Verbindung zwischen Kunst und Alkohol abgelehnt. Die ist genauso an den Haaren herbeigezogen wie es die Verbindung zwischen Cola und Kunst wäre, oder veganem Essen und Bildhauerei, schnellen Motoren und Fotografie usw. Willkür. Konsum macht noch keine Kunst.

Über die Jahre haben sie ein immenses Wissen, Erfahrung, Kreativität und Erfolg angehäuft. Ist da nicht der Wunsch da, diese Erfahrungen weiterzugeben? Die Stählemühle wäre doch ein inspirativer Ort für ein noch zu
definierendes Camp, einen kreativen Seitenwechsel.
Christoph Keller: Ja, das ist durchaus möglich, wenn ich die richtigen Partner für solcherart Projekte finde. Ich denke immer mal wieder über eine andere Art der „Beratung“ nach oder eine Art „Think Tank“ etc. Aber das ist alles noch sehr unausgegoren!

Wann ist endgültig Schluss?
Christoph Keller: Am 31.12.2018 wird Bilanz gezogen, danach geht hier kein Tropfen mehr vom Hof. Also noch ein Jahr Zeit!

Was macht Christoph Keller am Tag, nachdem er die Brennerei zugeschlossen hat?
Christoph Keller: Das ist ganz einfach, hier sagen wir: „Trinka ma erschtmol oina!“

DAS GESPRÄCH FÜHRTE KAI GEIGER.

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