Rezepte für den Frieden

Der Verein „Cuisine sans frontières“ will Feinde in Krisengebieten zu Freunden machen – mit Hilfe von Essen und Trinken. Ein Treffen mit dem gastronomischen Sozialarbeiter David Höner.

Gemeinsame Mahlzeiten sind viel mehr als Nahrungsaufnahme. Beim Essen werden soziale Kontakte geknüpft und gepflegt, sei es in der Familie beim Sonntagsfrühstück, mit Freunden im Restaurant oder mit Kollegen in der Kantine. Wenn Menschen nicht mehr zusammen essen wollen, dann wird es sehr schwer, überhaupt noch eine Verständigung zu finden. Genau hier setzt der Verein „Cuisine sans frontières“ (CsF) an.

Die in der Schweiz gegründete Hilfsorganisation hat sich zum Ziel gesetzt, verfeindete Gruppen in Krisengebieten in Afrika, Südamerika oder Osteuropa wieder an einen Tisch zu bekommen – zum Essen und Trinken. Denn eine gemeinsame Mahlzeit kann verbinden. Staatschefs unterzeichnen bei Banketten Friedensverträge, Paare streiten und versöhnen sich beim Essen. Eine Tischgemeinschaft kann die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Parteien überhaupt wieder miteinander reden. Denn das Essen in einer Gruppe setzt ganz elementare Gefühle und Regeln in Gang. „Wenn einer nur sagt: ,Gib mir mal das Salz rüber’, dann kann das schon der Beginn von Kommunikation sein“, sagt David Höner.

David Höner ist ein Multitalent, ein Lebenskünstler, ein Idealist. Er stammt aus der Schweiz, lebt hauptsächlich in Ecuador und hat unter anderem als Koch, Choreograf, Tanzlehrer, Gastro-Journalist, Hörspielautor und Theaterregisseur gearbeitet. Vor zehn Jahren gründete er zusammen mit Freunden das Hilfswerk „Cuisine sans frontières“. Die Idee erklärt der 59-Jährige so: „Ich bin der festen Überzeugung, dass Essen und Trinken Menschen jeder Herkunft und Klasse verbindet. Gemeinschaft und Frieden manifestieren sich fast immer durch Gastfreundschaft.“ Die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln, Medikamenten und Notunterkünften ist nicht das primäre Ziel, dafür ist die Organisation zu klein. „Wir wollen Orte schaffen, an denen sich Menschen austauschen und wieder Gemeinsamkeiten finden“, sagt Höner. Für das Gespräch in Zürich hat er – wie könnte es anders sei – gleich mal ein Mittagessen vorgeschlagen.

Die Pasta mit Gorgonzola und Birne mag gut schmecken, aber um kulinarischen Hochgenuss geht es David Höner bei seiner Planung eher weniger. Gerade erst ist er aus Kenia zurückgekommen, wo er ein extrem einfaches Restaurant in einer extrem armen Gegend besucht hat. Zehn Tische unter freiem Himmel, drei, vier Gerichte auf der Karte, kalte und warme Getränke – das sei das Lokal Calabash, erzählt Höner. Man kann dort Ghiteri bestellen (Bohnen und Mais, gekocht), Ugari (Brei aus Wasser und Getreide) oder einen Teller Spaghetti. Sonntags wird manchmal eine Ziege gegrillt. Nichts Besonderes? Doch, denn das Calabash liegt mitten in einem Krisengebiet.

Das Restaurant ist eine einfache Wellblechhütte in der Nähe von Orwa, einem abgelegenen Dorf im Dreiländereck Uganda, Kenia und Südsudan. Eigentlich ein ziemlich unwirtlicher Ort für eine Wirtschaft. Doch das Calabash liegt günstig an der A1, der wichtigsten Fernstraße Afrikas, die den Kontinent von Kapstadt nach Tunis durchquert. Man kann das Restaurant sicher nicht mit einem Autogrill in Italien vergleichen, was die Qualität des Kaffees und die Vielfalt des Angebots angeht, aber es hat eine ähnliche Funktion: Fremde Menschen treffen sich dort zufällig, und wenn es gut läuft, reden sie ein paar Takte freundlich miteinander.

Der Verein hat in den vergangenen Jahren immer wieder Köche aus der Schweiz nach Kenia geschickt, die Fachleute arbeiteten ehrenamtlich vor Ort und schulten die Einheimischen. Es ging vor allem um Grundsätzliches wie Hygiene, keimfreies Wasser, Aufbewahrung von Lebensmitteln. Küchenpersonal, Putzkräfte, Sicherheitsleute und Gärtner kommen von beiden Stämmen, die in dem Gebiet leben, von den Turkana und den Pokot. Die Stämme mögen sich nicht besonders, um es einmal vorsichtig auszudrücken. „Wenn ein Pokot zum Essen einlädt, kommt kein Turkana und umgekehrt“, sagt David Höner, „als neutraler Gastgeber haben wir da aber eine andere Position.“

Das Projekt begann mit einem Rückschlag. Das Calabash befindet sich auf dem Territorium der Pokot. Als das Restaurant im Jahr 2010 aufmachte, kamen achthundert Gäste zur Eröffnungsparty. Höner hatte auch die Chefin der Turkana eingeladen. Sie kam zusammen mit ein paar Bewachern. Während der Feierlichkeiten nutzten die Pokot die Gelegenheit und überfielen ein Turkana-Dorf, um Vieh zu stehlen. Ein anderes Mal lud die Organisation zu einem Kindernachmittag ein, aus den umliegenden Dörfern wurden Hunderte Mütter mit ihren Kindern mit Bussen abgeholt. Die Männer der verfeindeten Stämme vertrieben sich die Zeit, indem sie sich gegenseitig angriffen.

Doch im Laufe der Jahre verbesserte sich die Zusammenarbeit. Zumal die Einheimischen nach und nach die Vorteile des Projekts schätzen lernten. Ein Problem des SubsaharaGebietes ist die fortschreitende Versteppung der Rinderweiden. Daher soll das Restaurant um ein Kamel-Zentrum erweitert werden, mit Seminaren zu Zucht und Haltung der Tiere oder zur Verarbeitung von Milch und Fleisch. Mit Kamelen könnte die lokale Hirtenkultur am Leben erhalten werden. Derzeit gibt es 28 Tiere im Calabash-Zentrum. Es scheint aufwärts zu gehen. Ähnliche Einrichtungen wie in Orwa hat Cuisine sans frontières in Kolumbien, Brasilien, Georgien und Ecuador gegründet. Höners Idee ist, die Lokale nur für einige Jahre zu betreiben und sie dann, wenn sie funktionieren, der lokalen Bevölkerung zu übergeben. Während dieser ersten Jahre werden die Projekte nur durch Spenden finanziert.

Ein Lokal aufmachen, und dann ist Friede? So einfach ist es sicher nicht. Ein Projekt in Brasilien mussten die Helfer wieder aufgeben. Das dortige Restaurant in einer Favela funktionierte zwar gastronomisch, aber die verfeindeten Drogenbanden setzten sich trotzdem nicht an einen Tisch. Die Frontlinien blieben bestehen, auch nahmen Schießereien und andere Gewalt überhand, so dass es für die Betreiber zu gefährlich wurde. Der Verein zog sich wieder zurück. In Kenia scheint es nun besser zu laufen. Lokale Chiefs und Politiker nutzen das Restaurant regelmäßig für ihre Treffen, es gibt eigene Veranstaltungen für die Konfliktparteien.

Ein festes Team von Mitarbeitern leitet das Zentrum, zehn Einheimische sind angestellt. Im Umfeld sind weitere Projekte entstanden: das ambulante Gesundheitszentrum einer holländischen NGO, das Kamelzentrum und eine Honigsammelstelle. Ende des Jahres wird das Restaurant an lokale Organisatoren übergeben, und David Höner zieht sich aus der Organisation des Projekts zurück. Ist das Ziel dort also erreicht, hat das Essen tatsächlich Frieden gestiftetzwischen den Turkana und den Pokot? Höner ist vorsichtig und sagt: „Ich bin kein Friedensstifter, ich bin einfach nur ein gastronomischer Sozialarbeiter.“

VON TITUS ARNU, ÜBERNOMMEN AUS SÜDDEUTSCHER ZEITUNG 3.1.2015

 

Infos zu weiteren Projekten und Spendenmöglichkeit: www.cuisinesansfrontieres.ch