Taconight, Mexiko © Salt & Silver

Wie schmeckt Lateinamerika und was macht die lateinamerikanische Küche aus?

Cozy: Lateinamerika schmeckt nach intensiven Aromen, es ist alles viel süßer, saurer und schärfer als in der mitteleuropäischen Küche. Die Grund- zutaten sind eigentlich dieselben wie bei uns: Fleisch, Fisch, Gemüse. Statt Getreide wird aber eher Mais in allen Formen verwendet und auch die Chili (ob getrocknet, geräuchert, frisch, süß oder scharf) spielt eine große Rolle. Die lateinamerikanische Küche ist selbstbewusst, lebensfroh und intensiv – so wie die Menschen dort. Wir lieben das!

Gibt es regionale Unterschiede und Besonderheiten?

Jo: Allein die Küche Mexikos hat schon so viele regionale Unterschiede und Besonderheiten, wie man sie sonst auf dem ganzen europäischen Kontinent findet. Auf Tacos können sich alle einigen, aber wer einmal die Seafood-Tostadas an der Pazifikküste in Ensenada probiert hat und dann die erdig-warmen Mole-Gerichte in Puebla, wird wissen, was wir meinen. Die peruanische Küche schmeckt wieder total anders, zum einen viel produktbasierter und zum anderen viel komplexer und raffinierter. Man könnte sie fast schon ambivalent nennen, auch weil mit der Nikkei-Küche, der Küche der japani- schen Einwanderer in Peru, und der Chifa-Küche, dem chinesischen Pendant, zwei weitere kulinarische Mentalitäten dazugekommen sind. In Peru haben wir natürlich das Ceviche-Machen gelernt und auch die Rinderherzspieße Anticuchos de Corazon von der einfachen Garküche am Straßenrand verfolgen uns bis heute – das gab es erst vor Kurzem erst als Personalessen bei uns.

Um bei der Musik und dem CLASSICAL BEAT Festival zu bleiben, wo Künstler:innen aus Kuba, Brasilien und Argentinien auftreten werden: Wenn Ihr Euch in die Musik und die Rhythmen Lateinamerikas hinein fühlt, welches Gericht würdet Ihr zum Tango, zu Salsa und zum Latin-Pop auf die Speisekarte setzen?

Zum Tango einen Espresso Martini, zur Salsa passen Tacos de Carnitas mit Salsa Habanera und das Spritzgebäck Churros begleitet hervorragend den Latin-Pop.

Foto: Johannes „Jo“ Riffelmacher und Thomas „Cozy“ Kosikowski © Maximilian Probst

Cuba © Salt & Silver

Ihr nennt Euch Salt & Silver. Wofür steht das?

Cozy: Salt & Silver beschreibt in zwei einfachen Worten die Welt, in der wir uns bewegen: die Küche und das Meer. Salz findet sich in beiden und auch die Meeresoberfläche im Sonnenschein, die Haut von Fischen oder eine Edelstahlküche haben viel gemeinsam.

In welcher Reihenfolge und Priorität kommen Reisen, Surfen und Kochen heute bei Euch?page33image38118784Jo: Das entscheiden wir bei 60 Mit- arbeitenden schon lange nicht mehr selbst: Das Kochen steht vornean. Dahinter folgt das Reisen und wenn dann noch Zeit bleibt, das Surfen.

Torres del Paine, Chile © Salt & Silver

War das Surfen und Skaten eine Eintrittskarte in die Welt der Geschmäcker und zu kulinarisch inspirierten Menschen?

Cozy: Nicht unbedingt, Surfer und Skater sind nicht unbedingt berühmte Kulinariker. Was aber auf jeden Fall bei allen Aktivitäten mit anderen Menschen hilft, und das betrifft sowohl Surfen als auch Reisen und Kochen, ist Offenheit. Wenn man mit offenem Herzen und offenen Augen anderen Menschen begegnet, egal, ob man ihre Sprache spricht oder nicht, kommt man ziemlich weit. Das hat uns weit gebracht und für viele schöne Momente und Freundschaften gesorgt. Die kulinarische Welt hat sich uns schon früher eröffnet, unsere Familien haben viel frisch gekocht und gerne gegessen, vielleicht mehr als in anderen Familien.

Warum sind die Zufallsbekanntschaften und die Einladungen zum privaten Kochen, wie Ihr dies in Lateinamerika gesucht und erfahren habt, neben den Märkten, das beste Lehrbuch und wie haben Euch diese Begegnungen geprägt?

Jo: Man lernt viel mehr beim Zuhören als beim Reden, deswegen.

© Salt & Silver

Was waren die beeindruckendsten Lernmomente und Entdeckungen in Lateinamerika?

Cozy: Wir haben vor allem viel über uns selbst gelernt. Wie es ist, ein Jahr nicht zu Hause bei seinen Liebsten zu sein. Wie es ist, nicht immer Strom, Wasser und Internet zu haben. Wie es ist, wenn man kein Bargeld mehr hat und der nächste Geldautomat 50 Kilometer entfernt. All die tollen Menschen, die wir kennenlernen durften, hatten alle viel größere Sorgen als wir und waren am Ende des Tages trotzdem glücklicher. Das hört sich alles mittlerweile so abgedroschen an wie die meisten Lebensweisheiten, aber am Ende des Tages hat uns die Reise viel Demut, Empathie und Dankbarkeit beigebracht. Und wenn wir mal zu hoch fliegen oder vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sehen, dann rufen wir uns das gerne in Erinnerung. Und abgesehen davon ist der Kontinent natürlich unfassbar schön und wir haben unglaublich viel erlebt – man könnte ein Buch damit füllen. Oder zwei!

© Salt & Silver

Zwischen Hamburg und Havanna liegen mehr als 8000 Kilometer. Wie wichtig ist Euch Nachhaltigkeit und die lokale, kooperative Arbeit? Wo und wie kauft Ihr ein, um die „Ferne“ Eurer Küche so fair und frisch auf den Teller zu bringen?

Jo: Zugegeben, die Themen Nachhaltigkeit und Kulturelle Aneignung waren uns damals noch nicht so wichtig wie heute. Wir waren einfach nur zwei junge Menschen auf der Suche nach Abenteuer und leckeren Gerichten. Als wir dann im ersten Jahr im Restaurant 2,6 Tonnen Avocados übers Jahr verbraucht haben, sind wir sehr schnell viel bewusster an das Thema range-gangen. Seitdem versuchen wir, so nachhaltig wie möglich zu arbeiten: sozial, ökologisch und ökonomisch. Das erfordert viel Zeit und Geld, aber wir möchten das so und haben auch schon viel erreicht: Vor den Toren Hamburgs bauen wir bei der Gärtnerei Grünkorb Tomatillos, Epazote und Chillis selbst an und erntet seit vier Jahren bis zu 300 Kilogramm im Jahr. Die Guacamole machen wir nicht mehr mit Avocado, sondern mit grünen Bohnen. Wir beschäftigen uns sehr viel mit dem Wareneinkauf und kaufen viele Produkte direkt bei den Produzent:innen aus der Region. Wir versuchen also nicht, die absolut authentische lateinamerikanische Küche mit Zutaten aus Mexiko und Peru herzustellen, sondern haben mittlerweile unsere eigene kulinarische Sprache entwickelt – mit weiteren Elementen aus der levantinischen, portugiesischen, japanischen, koreanischen und deutschen Küche.

© Salt & Silver

Wer hat Euch die Freude und den Spaß am Kochen in die Wiege gelegt und welche Fähigkeiten und Gaben wurde Euch mit auf den Weg gegeben?

Cozy: Unsere Familien haben uns beigebracht, gutes Essen schätzen zu lernen. Das Kochen kam autodidaktisch. Gastronomisch zu kochen hat uns unser Küchenchef Simon Lindow beigebracht.

Ihr kommt beide aus Bayern, wo Ihr Euch kennengelernt, aus den Augen verloren und in Hamburg wiedergefunden habt. Wie viel Einfluss hatte Hamburg mit dem Hafen als „Tor zur Welt“ auf die Idee zur Weltreise? Oder wäre diese auch am Fuße der Ammergauer Alpen entstanden?

Jo: Hamburg ist natürlich eine superschöne Hafenstadt und ein toller Ort zum Leben. Zur Entstehungszeit von Salt & Silver habe ich allerdings in Barcelona gewohnt und dort auch so richtig Bock auf Lateinamerika bekommen. Ich würde generell sagen, dass wir keine großen Lokalpatrioten sind: „Home is, where your heart is“.

© Salt & Silver

Was verbindet und treibt Euch an, dass Ihr bis heute mit einem hohen Pensum an Arbeit und „Nähe“ als kreatives „Dream- Team“ funktioniert?

Cozy: Wir sind mittlerweile schon wie Brüder – wir haben so viel zusammen erlebt, so viel zusammen geschafft, uns beiden ging es von Anfang an um das große Ganze, das Gemeinsame und weniger um uns selbst. Das ist unser simples Geheimrezept. Wir vertrauen uns zu hundert Prozent. Uns ist aber auch klar, dass das sehr selten ist. Mittlerweile sind wir ja auch nicht mehr zu zweit. Unsere Partner Flo und Tobi sind seit vielen Jahren das notwendige Korrektiv zu unseren kreativen Chaosköpfen. Zu viert sind wir ein perfekter Mensch!

Gerade eben habt Ihr im legendären Pfahlbau von Böhl, in St. Peter-Ording, acht Meter über dem Strand, Euer drittes Restaurant eröffnet. Habt Ihr Euch damit den Traum eines Lokals am Strand mit unbegrenzten Möglichkeiten zum Surfen erfüllt?

Jo: So kann man das schon sagen. Aktuell sind wir wunschlos glücklich und langsam auch ein wenig ruhiger – nach fast zehn Jahren Unternehmertum lernt man Beständigkeit mehr zu schätzen als Wachstum. Bei uns ist das jedenfalls so.

Das Gespräch führte Kai Geiger.