Vinschgerl vom Fass
In Südtirol gibt es jetzt die erste Whisky-Brennerei Italiens. Denn die Globalisierung auf dem Spirituosenmarkt ist nicht einmal von den Grappa-Herstellern aufzuhalten
Vor gut fünf Jahren, im April 2011, rückten also die Schotten in der kleinen Stadt Glurns im Vinschgau an. Sie kamen mit Badehosen und T-Shirts, denn der Auftrag hieß, der ersten Whisky-Destillerie Italiens auf die Beine zu helfen. Da greift man schnell zur Badehose, weil Italien schließlich das Land ist, wo die Zitronen blühen und wo das Leben ansonsten dermaßen süß ist, dass es nur aus Strandurlaub und lauen Sommerabenden besteht. Im Zitronenland angekommen, staunten die Badehosen-Schotten dann nicht schlecht. „Bei uns lag ja noch Schnee“, sagt Jonas Ebensperger. Er weiß das genau, denn seine Familie hatte die Schotten nach Glurns geholt.
Auf den ersten Blick passt Whisky nicht so recht nach Italien. Wein und Grappa ja, vielleicht noch Limoncello, eine Art Alkopop aus dem Südwesten des Landes für all jene, die aus dem Alkopop-Alter raus sind. Doch das Vinschgau ist ein merkwürdiges Tal, das schon allein deshalb nicht so recht nach Italien passt, weil es in Südtirol liegt. Die Sonne ist zwar ein verlässlicher Gast und zeigt sich hier häufiger als in manch südlicher gelegenen Orten, aber statt der Zitronen blühen vor allem Äpfel und Aprikosen; besonders gut gedeiht auch der Roggen. Das Vinschgau ist außerdem das Tal Der Kastanien und Schlösser und –wie das so bei Tälern manchmal der Fall ist – der Berge. Deshalb sagt Ebensperger: „Wir sind die Highlands Italiens.“
Gut, die Gipfel sind hier bis um das Vierfache höher als das schottische Gebirge, im Falle des Ortlers enden sie erst auf knapp 4000 Metern; aber es geht ja nicht nur um reine Höhenangaben, sondern um ein gemeinsames Gefühl. Schottland erinnert Ebensperger generell an Südtirol – oder auch andersrum, und er meint damit das Fremdeln in einem Staat, zu dem man irgendwie nur zu 55 Prozent gehören will, und wahrscheinlich auch die gelegentlich bis häufig auftretende Bockigkeit als bestimmender Charakterzug der Bewohner.
Jonas Ebensperger entspricht allerdings nicht dem Klischee des Südtirolers – und auch nicht dem des Whisky-Brenners. Er hat nach dem Studium Musik in Deutschland gemacht, ziemlich spezielle Musik, wie er selber sagt, eher am Rechner als instrumental. Er sagt: „Ich bin von der brotlosen Kunst dazu übergewechselt, aus Brot Kunst zu machen.“ Dann zögert er kurz und schiebt nach: „Gut, das war jetzt a bisserl pathetisch.“ Als er eines Tages nach Südtirol zu Besuch kam, habe sein Vater Albrecht jedenfalls in einer Art „Alchimistenkeller“ gesessen. Der Senior hat als Kunsthistoriker nicht nur ein Händchen für alte Gebäude – unter anderem sanierte der Baumeister das Messner- Museum Sigmundskron in Bozen –, sondern auch einen Sinn für das Geschäft und als Sommelier eine Vorliebe für gute Getränke. „Von ihm Kam die Idee, aus dem einheimischen Roggen etwas zu machen“, meint sein Sohn.
Dabei war man früher eigentlich der Meinung, dass guter Whisky meist aus Gerste herstellt wurde, und zwar dort, wo Die Menschen den Whisky noch wie Whisky aussprechen: in Schottland oder Irland oder vielleicht gerade noch in Kentucky, wobei sich die Amerikaner meistens mit Mais behelfen. Inzwischen räumen die Japaner reihenweise Preise für ihre Whisky- Kreationen ab, und in Deutschlandwerden selbst für junge Single Malts von oberbayerischen Seen horrende Preise verlangt – und bezahlt. Der letzte Beweis, wie unglaublich trendy Whisky mittlerweile sein soll, ist wohl der, dass er angeblich schon wieder von anderen Trendgetränken wie dem Gin abgelöst wurde, wie trendsettende Autoren von Lifestyle-Postillen meinen beobachtet zu haben.
Der Familie Ebensperger war die Whisky- Nachfrage jedenfalls Grund genug, etwas zu wagen. Sicherlich ist es kein Zufall, dass die erste Whisky-Brennerei Italiens von einem eher fachfremden Schlösser- Restaurator und seiner generell noch fachfremderen Familie aus einer reinen Liebhaberei heraus gegründet wurde. Aus dem Trentino habe Ebensperger Junior beispielsweise von einem der Grappa-Brenner, die sich eigentlich auf Hochprozentiges verstehen, gehört: „Whisky hat hier nichts verloren.“
Nur lässt sich die Globalisierung der Whisky-Welt nicht aufhalten, nicht einmal von Grappa-Brennern aus dem Trentino. „Wir haben uns bewusst dazu entschieden, den schottischen Weg zu gehen“, sagt Ebensperger. Eine mehr als 100 Jahre alte Getreidemühle wurde für viel Geld von der Insel ausgelöst. „Da hätten wir uns auch zwei Porsches dafür kaufen können.“ Auch die Brennblasen lieferte eine schottische Firma, Forsyths, wobei diese gewissermaßen der Porsche unter den Brennblasen- Produzenten ist. Unbezahlbar war der Gedankenaustauschmit den schottischen Besuchern.
Andererseits geht es in der globalen Whisky-Welt nicht ohne eine lokale Note, ob man diese nun als südtirolerisch, italienisch oderkontinentaleuropäisch bezeichnet. Gelagert wird das Destillat in Marsalafässern aus Sizilien. Die Gerste kommt aus Bayern, aber ein Großteil des Weizens und natürlich vor allem der komplette Roggen wurde im Vinschgau geerntet. „Nach Roggenbrot ist Whisky das Beste, was man aus dem Ge treide machen kann“, findet Ebensperger. Roggenlaiberl aus dem Vinschgau Kommen als Vinschgerl, fladenförmige Miniaturbrote mit Kümmel, auf den Tisch und sind mittlerweile ein eigener Markenname. Das flüssige Vinschgerl des Familienunternehmens aus Glurns heißt Puni und leitet sich aus dem Namen eines naheliegenden Baches ab.
Und dann ist da die Destillerie selbst, ein 13 Meter hoher Kubus aus 5500 roten Betonziegeln, der eher an eine überdimensionale Obstkiste erinnert als an eine schottische Destillerie. Sie liegt in einem Industriegebiet, das so aussieht wie alle Industriegebiete zwischen Schottland und Sizilien, immerhin aber mit Ausblick auf ein paar Apfelbäume, den Ortler und die Kirche der historischen Innenstadt. Die dort zu findenden Scheunenfenster aus Ziegeln hätten Pate bei der Architektur des Glurnser Brennkubus gestanden, nicht Obstkisten. Außerdem sagt Jonas Ebensperger natürlich diesen Satz, den jeder Whisky-Hersteller im Repertoire führt: „Ohne unser Klima ließe sich unser Whisky so nicht herstellen.“Durch die eisigen Winter und die heißen Sommerreife das Destillat schneller. Dabei liegt ein Teil der Fässer in drei angemieteten Militäranlagen mit vier bis sechs Meter dicken Betonwänden. Selten war Alkohol so gut gebunkert.
Ob sich all das gelohnt hat, wird das nächste Jahr zeigen. Dann kommt der erste Puni-Whisky auf dem Markt, der sich nach dreijähriger Reifezeit auch wirklich so nennen darf. Bislang gibt es nur Vorläuferprodukte von der Coffee Cream bis zum Aquavite di Cereali. 30 000 bis 50 000 Flaschen werden es dann sein, eine recht überschaubare Menge. Schonjetzt meint Ebensperger: „Wenn die Amerikaner hören, dass es einen Whisky aus Italien gibt, müssen wir wohl Kontingente vergeben.“ Manche sind nämlich der Meinung, dass Whisky noch vor dem Brot das Beste ist, was man aus Getreide machen kann.
Übernahme SZ-Artikel "Vinschgerl vom Fass", Dominik Prantl, SZ vom 25.9.2014