Laura Totenhagen | © Susann Jehnichen

Leipzig (D)

47. Leipziger Jazztage
14. – 21.10.2023
Ein Festival zwischen Tradition und Innovation, für lokale Held*innen und internationale Szene

Leipzig ist eine Stadt historischer Zäsuren und Wendepunkte. Als Messe- und Buchstadt war und ist sie ein Ort des Wissenstransfers und der liberalen Bürgerlichkeit. So ist es auch nicht verwunderlich, dass hier bereits während des dritten Reichs Figuren wie Rolf Kühn und Jutta Hipp in geheimen Clubs ihre ersten Schritte ta- ten oder zu DDR-Zeiten im Zeichen kultureller Freiheit und internationaler Offenheit sich eine Gruppe von Jazz-Enthusiast*innen zu einem Verein zusammenschloss. Genau 50 Jahre ist es nun her, dass sich der Jazz- club Leipzig e.V. gründete. Wenig später wurden die Leipziger Jazztage geboren – ein Festival, dass sich von Beginn an der Präsentation internationaler Künstler*innen des zeitgenössischen Jazz verschrieb und bereits in seinen Anfangsjahren Bands aus Ost- und Westeuropa wie auch aus den USA auf die Bühne brachte.

Maria Reich | © Susann Jehnichen

Seitdem ist viel passiert: Leipzig behielt sich als Ort der friedlichen Revolution auch wäh- rend des DDR-Regimes eine Bevölkerung, die Wandel zuließ und initiierte. Die Nachwen- dejahre brachten Abwanderung und Leer- stand mit sich, wovon sich die Stadt aber vergleichsweise rasch erholte. Eine Mentalität der Aufgeschlossenheit, Bildungsinstittionen mit gutem Ruf, eine starke Kulturtradition und vielleicht nicht zuletzt auch die Nähe zu Berlin schufen ein Umfeld, in dem sich kreative Szenen Stadtviertel für Stadt- viertel erschließen konnten und Leipzig damit eine enorme Lebensqualität schenkten.

For Jaimie – Dave Gisler Trio ft. David Murray | © Susann Jehnichen

Die Stadt genoss einen starken Zuzug von vielen, überwiegend jungen Menschen aus dem ganzen Bundesgebiet – ihre Bevölkerung ist in den letzten 20 Jahren um mehr als 100.000 Einwohner*innen gewachsen. Waren es zunächst vor allem Studierende, die kamen und die preisgünstigen Lebensbedingungen genossen, nach ihrem Abschluss aber wegzogen, um sich woanders Arbeit zu suchen, zeichnet sich inzwischen ein neuer Trend ab: Es bleiben nicht nur die jungen Menschen nach ihrer Ausbildung in Leipzig, sondern gerade auch etablierte Kunst- und Kulturschaffende ziehen aus anderen Städten dorthin, um das inspirierende Umfeld zu genießen und sich in der vielfältigen, urbanen Kulturlandschaft auszuleben.

In diesem Prozess wandelte sich auch die Leipziger Jazzszene und ebenso ihr größtes und renommiertestes Festival. Die Leipziger Jazztage wuchsen in den letzten dreißig Jahren zu einem Spektakel heran, das über eine Woche dichtes Programm mit über 100 Musiker*innen bietet und sich über das ganze Stadtgebiet erstreckt. Neben traditionellen Spielorten wie der Kongresshalle am Zoo und der Oper Leipzig finden sich ebenso historische Veranstaltungsorte wie das UT Connewitz, das Alte Stadtbad und die Schaubühne Lindenfels, die als Heimat der ‚Freien Szene‘ die Lebendigkeit dieser zugleich so traditionsreichen und sich erneuernden, jungen Stadtbevölkerung erfahrbar machen. Darüber hinaus erschließen die Festivalmacher*innen unterschiedlichste Räume wie Kirchen, soziokulturelle Zentren, kleine Galerien und Ladenlokale und regen dazu an, die Stadt im- mer wieder neu kennenzulernen.

Jazztage2022 | © LukasDiller

Die Programmgestaltung der vergleichsweise jung und weiblich besetzten Festivalleitung überzeugt durch innovative und stilistisch undogmatische Konzepte, die bei allem vor- handenen Geschichtsbewusstsein doch deutlich an der Neuerungskraft des Genres orien- tiert sind. Mit einem jährlich wechselnden thematischen Fokus, durch Open Calls und internationale Festivalkooperationen, durch die Kuration von Neubegegnungen und die Entwicklung von Eigenproduktionen ent- steht ein abwechslungsreiches Programm, in welchem experimentelle Ansätze und Nachwuchsförderung genauso ihren Platz finden wie Koryphäen der internationalen Jazzwelt. Das neugierige Publikum vereint Gründungsmitglieder der ersten Stunde mit überregionalem Fachpublikum, interessierte Bürger*innen mit Musikstudierenden und einem für Leipzig so typischen ‚hippen‘ Pu- blikum, das sich aus der diversen Clubszene speist – alles in allem eine spannende Gemengelage, die zu interessanten Zusammenkünften führt und nicht umsonst 2021 mit dem 1. Deutschen Jazzpreis als ‚Festival des Jahres‘ ausgezeichnet wurde.

Wenn man davon ausgeht, dass ‚Jazz‘ seine Lebendigkeit daraus gewinnt, dass sich die Musik mit ihrem gesellschaftlichen Umfeld verbindet und ihre Inspiration aus sozialen Innovationen zieht, erweist sich Leipzig als ein sehr guter Ort, um sich dieser Musik in ihren zeitgenössischen Formen zu widmen – und sollte definitiv eine Reise wert sein.