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Eine schicksalhafte Leidenschaft für die Posaune

Die aus Jonsdorf stammende Antonia Hausmann ist mit Talent gesegnet und begann schon früh mit der Klarinette, bevor die schicksalhafte Begegnung mit einem Holzspalter ihre Idee von einer klassischen Orchestermusikerin jäh beendete. Doch das Schicksal hatte die Rechnung ohne ihre Leidenschaft für die Musik gemacht, die auch die Kommission der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber in Dresden er- kannte und ihr einen der dort sehr begehrten Studienplätze gab. Um so mehr eine Auszeichnung für die junge Antonia Hausmann, weil sie sich für die Posaune entschied, alles andere als ein Instrument für Frauen, da es bis dahin eine Männerdomäne war. Thomas Lindemann von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bezeichnete sie jüngst als Entdeckung und als neue Stimme im deutschen Jazz. Die Nominierung in der Kategorie Blechblasinstrumente zum Deutschen Jazzpreis 2023 bestätigt dies und spricht für sich.

Foto: © Antje Seifarth

Wir sind Antonia Hausmann anlässlich eines musikalisch-literarischen Zwiegesprächs mit dem Schauspieler Michael Mendl im Burgenlandkreis in Sachsen-Anhalt erstmals begegnet. Was für eine kulturelle Erscheinung. Der große Charakterdarsteller und die junge Musikerin, die sich davor nie begegnet waren, sich so wunderbar aufeinander einließen, sich die Worte und Töne zuwarfen, machten die literarische Reise durch Weingüter Dank der großen, facettenreichen und einzigartigen Musikalität von Antonia Hausmann und der unglaublichen Präsenz von Michael Mendl zu einem besonderen Erlebnis.

Antonia Hausmann fordert sich jeden Tag selbst heraus und arbeitet akribisch an ihrer musikalischen Entwicklung, die beeindruckend vielseitig ist. Mit Selbstverständnis ist sie in den Welten verschiedener Musikrichtungen zu Hause: Pop und Indie (Clueso, Karl die Große, Kat Frankie), Songwriter (Sarah Lesch), Elektronische Musik (Wooden Peak, Philipp Rumsch Ensemble) und Jazz (Trio Diktion, Volker Heuken Sextett). Außerdem trat sie als Solo-Posaunistin in musikalischen Lesungen mit Martin Beyer, Michael Mendl, Ewald Arenz oder Simone Lappert auf.

Wir sprachen mit Antonia Hausmann.

Foto: © Marco Sensche

Was für ein Jahr liegt hinter Ihnen?! Viele, viele Konzerte und Formate, u.a. die große Tournee mit Clueso, erste eigene CD, Würdigung Ihres Schaffens als neue Stimme im deutschen Jazz in der FAZ, zum ersten Mal eine Big Band dirigiert und jetzt die Nominierung zum Deutschen Jazzpreis in der Kategorie Blechblasinstrumente! Wie fühlt sich das für Sie an?

Antonia Hausmann: Ja, mir sind im vergangenen Jahr so viele wunderbare Dinge passiert, über die ich unendlich dankbar bin. Es gab viel Unerwartetes und manches, wovon ich schon länger geträumt habe und was nun tatsächllich in Erfüllung gegangen ist. Und jetzt kam auch noch die Nominierung zum Deutschen Jazzpreis hinzu, was für eine große Ehre! Wahrscheinlich hätte ich es nicht geglaubt, wenn mir jemand vor ein paar Jahren diesen Ausblick gegeben hätte.

Band-Collage

Wurde Ihnen die Musik in die Wiege gelegt oder was hat Sie dazu bewegt, das zu tun, was Sie heute tun?

Antonia Hausmann: Es war schon immer Musik um mich herum, neben den ersten gesungenen Einschlafliedern meiner Mutter und Oma gab es meinen Baritonsaxophon spielenden Vater sowie meinen Onkel, der als Trompeter, Lehrer und Big-Band-Leiter tätig war und die viel Einfluss auf mich hatten. Dann war da noch mein großer Cousin mit seiner Rockband. Das alles hat mich in meinen Kinderjahren alltäglich begleitet, geprägt und meinen eigenen Wunsch nach einem Leben mit Musik auf den Weg gebracht.

Was für Musik macht Antonia Hausmann?

Antonia Hausmann:
Meine Musik hat ihren Ursprung im Jazz, geformt durch das Heranwachsen in der Big Band meines Onkels, dann das Jazzstudium und die vielen verschiedenen Studi-Ensembles, in denen ich gespielt habe. Sie ist aber auch beeinflusst
Foto: © Marco Sensche

Was inspiriert Sie und was ist Ihnen an Ihrer Musik wichtig?


Antonia Hausmann:
Ich gehe sehr gern selbst auf Konzerte, um anderen Musikerinnen und Musikern zu lauschen. Ich lasse mich aber auch gerne von anderen Kunstrichtungen durch Theater-, Museums- oder Ausstellungsbesuche inspirieren. Sehr wichtiger Impulsgeber für meine Musik ist aber auch die Natur: Ich mag es sehr, durch Wälder oder durchs Gebirge zu laufen, innezuhalten, zu beobachten, in die Weite, aufs Wasser zu schauen, zu schwimmen, einfach im Fluss zu sein und auch hier immer wieder stehen zu bleiben, zu lauschen. Dabei sind Gedanken und Erlebtes in Bewegung und mir kommen kleine Melodien oder Rhythmen in den Sinn. Mir ist es wichtig, durch meine Musik etwas zu erzählen, etwas zu sagen zu haben und auch andere zu bewegen. Ich möchte etwas transportieren können, wodurch in dem Gegenüber etwas ausgelöst werden kann.

Foto: © Marco Sensche

Im Alter von 14 Jahren mussten Sie nach einem Unfall von Klarinette auf Posaune umsatteln, da eine Handverletzung das Spiel der Klarinette unmöglich gemacht hat. Aus heutiger Sicht: Was hat die Posaune Ihnen eröffnet, was der Klarinette womöglich verschlossen geblieben wäre?

Antonia Hausmann: Mein großer Traum war eigentlich, klassische Klarinettistin in einem Orchester zu werden. Durch den Unfall musste ich ganz neu denken. Da für mich zu diesem Zeitpunkt klar war, dass ich unbedingt Musikerin werden wollte, war nun die Überlegung, bei welchem Instrument die Finger nicht unbedingt gebraucht werden. So kam der Wechsel zur Posaune und damit natürlich ein neuer Klang und neue Möglichkeiten ins Spiel. Durch das Jazzposaunespielen in der Big Band meines Onkels und damit das verstärkte Hören und Kennenlernen unterschiedlicher Musikstile haben sich daraus ganz andere Wege aufgetan, die ich mit der Klarinette so wahrscheinlich nicht kennengelernt hätte.

Foto: © Marco Sensche

Nils Wogram, bei dem Sie von 2013 bis 2014 an der Musikhochschule Luzern studiert haben, ist eines Ihrer Vorbilder. Wie hat Sie die Zeit in Luzern und mit Nils Wogram geprägt?

Antonia Hausmann: Ich bin sehr sehr dankbar, dass ich dieses Erasmusjahr in der Schweiz verbringen durfte und die Möglichkeit hatte, bei Nils Wogram Posaunenunterricht zu bekommen. Außerdem konnte ich in der Hochschul-Big-Band unter der Leitung von Ed Partyka spielen und lernen (Bassposaune) und habe natürlich noch in vielen anderen tollen Ensembles Unterricht bekommen und wunderbare Menschen kennengelernt. Das ganze Jahr in dieser idyllischen Umgebung war ein einziges Geschenk für mich und eine große Bereicherung. Ich habe in Luzern viel geübt, gelernt, viele Wanderungen allein unternommen, Wertschätzung erfahren und immer einen tollen Austausch mit den anderen ca. zehn Posaunenstudenten gehabt. Da gab es keine Ellenbogen- oder Neid-Mentalität, sondern ein tolles miteinander und voneinander Lernen, wir waren alle auf Augenhöhe, sind respektvoll und mit Freude füreinander da gewesen. Nils ist ein wunderbarer Lehrer und Pädagoge, der mit Klarheit, Präzision und ehrlichem Interesse für sein Gegenüber unterrichtet, zuhört und sich Gedanken macht. Bis heute ist er menschlich wie musikalisch ein Kompass für mich.

Antonia Hausmann und Martin Beyer © Ullstein Verlag

Im Dezember haben Sie in Schwäbisch Hall erstmalig ein Orchester, die Big Band Schwäbisch Hall, dirigiert. Wie kam es dazu und wie war diese Erfahrung?

Antonia Hausmann: Das war eine großartige Erfahrung! Dazu kam auch noch, dass ich ein paar Solo-Features spielen und auch meine eigenen Stücke mitbringen durfte (arrangiert von Malte Schiller). Dazu habe ich das Konzert-Programm aus dem Repertoire der Band zusammenstellen dürfen und durch die beiden Konzertsets moderiert. Das Ganze gleich zwei Mal an einem Tag. Das war eine große Herausforderung für mich, getreu dem Motto einer Freundin und mir: „Immer einmal mutig sein am Tag.“ Zu dem Auftrag kam es überhaupt, weil ich seit dem Coronajahr eine Online-Schülerin in Schwäbisch Hall habe, die das Ganze eingefädelt hat.

Neben den Konzerten wirken Sie immer wieder auch in literarischen Projekten von Martin Beyer und Beat Toniolo mit. Was fasziniert Sie an der Literatur als Gegensatz oder im Zusammenspiel mit Ihrer Musik?

Antonia Hausmann: Mir bereitet es große Freude, mit dem Bamberger Autor Martin Beyer seit einigen Jahren auf musikalischer Lesereise sein zu können und bereits schon für zwei seiner Romane Musik geschrieben zu haben. Ich empfinde es nicht als Gegensatz, sondern als Zusammenspiel, Ergänzung und gegenseitige Inspiration auf der Bühne. Zu beobachten und zu lernen, durch welche Betonungen, Gesten, Lautstärken oder Stimmungen gelesen werden kann und wie ich Geschichten, Dialoge oder Texte musikalisch umsetze, unterstütze und Stücke dafür komponiere.

Suntje, Foto: © Marco Sensche

Bei der Vorbereitung auf unser Interview bin ich auf Suntje gestoßen. Wer oder was verbirgt sich hinter Suntje und wie wichtig ist Suntje für Sie?

Antonia Hausmann: Suntje ist genau genommen mein zweiter Vorname und dieses persönliche Projekt ist während des ersten Corona-Lockdowns entstanden. Plötzlich zu Hause, plötzlich länger als drei Tage im gleichen Bett schlafen, Routinen lernen, so eine Art Alltag, der auf der einen Seite Spaß, aber auch Lust auf etwas Neues gemacht hat. Zusam-men mit André Karius, abgeschottet in seinem Studio, haben wir uns auf eine neue Spielwiese gewagt, nur zu zweit rumprobieren, singen, Schlagzeug spielen, produzieren, eine neue Art des Musikmachens entdecken. Gleichzeitig hatte ich Lust auf eine optische Veränderung, mal eine andere Haarfarbe auszuprobieren, denn wenn man nicht mehr auf der Bühne steht und es doof aussieht, interessiert es sowieso keinen. Nach vielen Stunden des Ideen-Austauschs mit einem engen Freundeskreis und deren Hilfe, kamen wir dann auf die Videoidee zu „Puppet“ und wie man das alles während des Lockdowns allein umsetzen kann. Mit Suntje kann ich mich als Künstlerin ganz anders ausdrücken, kann gewohnte Pfade verlassen. Dieses Projekt, bei dem ich das erste Mal im Vordergrund und nicht als Teil einer Band agiert habe, hat mich auch darin bestärkt, meiner eigenen Musik mehr Aufmerksamkeit zu schenken, und so schließlich auch meinem Debut- Album „Teleidoscope“ den Weg geebnet. Ich wünsche mir, dass ich mich Suntje in diesem Jahr wieder etwas mehr widmen kann, auch ohne Lockdown.

Lotte und Antonia Hausmann

Zeit für ein flammendes Plädoyer für mehr Frauen an der Posaune! Die Posaune, heißt es ist immer noch, sei eine Männerdomäne, schlimm genug, dass man dies in der heutigen Zeit noch so formuliert. Sehen Sie sich als „Vorbildkämpferin“? Und was muss sich tun, verändern, damit Frauen zur Posaune greifen?

Antonia Hausmann: Ich sehe mich nicht als Kämpferin, sondern einfach als eine Posaunistin und Musikerin. Ich bin schon sehr regelmäßig mit den Fragen, Kommentaren und Sprüchen der genannten Denkmuster konfrontiert. Dann versuche ich ruhig und geduldig nach den Konzerten oder unterwegs in der Bahn darauf einzugehen und zu erklären und auf diese Art und Weise dazu beizutragen, dass sich in den Köpfen etwas ändert. Ich denke, es muss vor allem bei den Eltern beginnen, dass es keine „Männer- oder Fraueninstrumente“gibt, sondern jede und jeder alles spielen kann. Damit irgendwann keiner mehr sagt „Sie als Frau? Ihre Lunge ist doch nur halb so groß!“ oder „Was, Sie, als so kleines zierliches Persönchen können davon leben?“ oder hin und wieder anstößige Bemerkungen, wie zum Beispiel „Geil, bläst du mir auch mal einen?“ bei denen es schwer fällt gelassen zu reagieren.

Antonia Hausmann im Konzert mit Sarah Lesch © P.Runkewitz

„Es gibt keinen Erfolg ohne Frauen“, das wusste schon Kurt Tucholsky, aber wo bleibt die Teilhabe am Erfolg, wenn die Unvereinbarkeit von Beruf und Familie weiterhin im Raum steht? In einer Studie des Vereins „Bühnenmütter, Verein und Netzwerk für familienfreundliche Strukturen in Theaterberufen“ haben 45 Prozent der in der Studie befragten Musikerinnen diskriminierendes Verhalten aufgrund ihrer Mutterschafterlebt.Welche Geda ken und Hoffnungen treiben Sie dazu um?

Antonia Hausmann: Ich kenne mich mit dem Thema nicht so wahnsinnig gut aus und kann nur berichten, welche Beobachtungen ich bisher dazu machen konnte. Egal ob auf der Clueso-Tour mit einem fünf Monate alten Baby im Nightliner oder bei den Moop Mama Videodrehs draußen in Berlin mit Kinderwagen, Instrumentenkoffer und Stillzeiten zwischendurch, konnte ich nur staunen, wie die beiden Mütter das so gewuppt haben. Wie viel guten Support sie von den Menschen um uns herumbekommen haben und durchgeplante Tage mit Baby und Tagesmüttern organisiert haben. Das betrifft natürlich nur erstmal die vielleicht noch besser zu händelnde Anfangszeit. Ich denke, schwieriger wird es mit dem Eintritt in die Schule, regelmäßigem Alltag oder Erkrankungen des Kindes/der Kinder. Kann man dann noch länger auf Tour fahren? Sind immer Elternteile in der Nähe oder Freunde, welche kurzfristig einspringen? Macht der Partner auch Musik und sagt dann Konzerte ab oder hat er so einen Job, dass er das dann allein schafft und macht? Ich denke, da liegt eher das „Problem“ bzw. die Herausforderung. Eventuell auch, dass es bei Konzertabsagen aufgrund von erkranktem Kind keine Ausfallgagen oder Ähnliches gibt. Diese Gedanken treiben mich natürlich auch um. Dazu die Hoffnung, dass zumindest in all den verschiedenen Kunstformen gegenseitiges Verständnis und Unterstützung da sein sollte. Vielleicht gibt es ja irgendwann sogar ein vom Staat gefördertes Budget für genau solche Situationen: kurzfristige Absagen durch Krankheitsfälle usw., bereitgestellt direkt an die Veranstalter und Veranstalterinnen, welches sie dafür dann ausgeben könnten. Ich hoffe, dass sich hier auch strukturell etwas tut, damit man sich nicht entscheiden muss zwischen Musikerin und Mutter sein.

Suntje, Foto: © Marco Sensche

Nach dem Jahr, was jetzt hinter Ihnen liegt, was fehlt da noch zum Glück von Antonia Hausmann?

Antonia Hausmann: Hinter mir liegt ein sehr bereicherndes Jahr, viele ver- schiedene Bands, Projekte und damit verbundenen Aufgaben und Rollen. Ich habe ein so großes Glück und empfinde es als großes Privileg, umgeben von so vielen wunderbaren Menschen Musik machen zu können, hier in diesem Land zu leben, gesund zu sein und so viele Möglichkeiten zu haben. Eine Familie und einen engen Freundeskreis zu haben, die da sind, mir zuhören, mir ehrlich ihre Meinung sagen und den Rücken stärken, auch wenn ich nur selten und unbeständig da sein kann. Vielleicht klingt es kitschig, aber so empfinde ich. Ich werde jeden Tag so reich beschenkt und kann vom Musikmachen leben. Es wäre wunderbar, würde das so weitergehen und sich noch schlummernde Träume, Utopien oder langfristige Wünsche irgendwann erfüllen.