Kinder lieben Geschichten …
… denken sich welche aus – und vergessen sie irgendwann.
Im Buchkinder Leipzig e.V. – einer Buch – und Schreibwerkstatt für Kinder und Jugendliche im Alter von 4-18 Jahren – entwickeln Jungen und Mädchen seit 2001 ihre Geschichten zu eigenen Büchern. Sie überlegen und diskutieren ihre Ideen, schreiben sie auf, illustrieren, setzen und drucken, bis die bunten Produkte ihrer Phantasie gebunden zwischen Buchdeckeln vorliegen. Die Erwachsenen stehen ihnen dabei als gleichberechtigte Partner unterstützend zur Seite, sie schreiben nichts vor und geben den Kindern Zeit und Raum. Die Besonderheit der Buchkinderarbeit besteht dabei neben dem freien und selbständigen Arbeiten in der Einbindung der Kinder und Jugendlichen in alle Prozesse des Büchermachens; vom ersten Linolschnitt, dem ersten Satz auf dem Papier bis hin zur Präsentation ihres eigenen Buches, welches in kleinen Auflagen in der vereinseigenen Buchmanufaktur hergestellt und zum Verkauf angeboten wird. Die Präsentation der fertigen Bücher, ob in der Öffentlichkeit auf der Leipziger und Frankfurter Buchmesse oder im geschützten Raum des Kurses, sind wichtige Ereignisse und Motivation für die Kinder und Jugendlichen.
Buchkinder wachsen mit ihren Büchern. Sie übernehmen Verantwortung und entwickeln neben Kreativität und kommunikativen Fähigkeiten auch soziale Kompetenz.
Wir trafen Birgit Schulze Wehninck und Sven Riemer, geschäftsführender Vorstand, Buchkinder Leipzig e.V. zu einem Gespräch.
Wie wichtig ist das Buch, das Lesen für Kinder und was macht es mit ihnen?
Das Buch ist seit Gutenberg mit seinen Verbreitungsmöglichkeiten eine der herausragenden kulturellen Errungenschaften der Menschen. Für Kinder spielen Bücher ganz allgemein eine enorm wichtige Rolle: sie lieben Geschichten und erschließen sich einen großen Teil der Welt über Geschichten. Das Herausbilden der eigenen Vorstellungskraft eines Kleinkindes wird maßgeblich über Leserituale gefördert. Das Fundament welches hier gelegt wird, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Das Konsumieren von fertigen Bildern, egal welche Ressource hier zugrunde liegt, ist damit in keiner Weise vergleichbar. Mit dem eigenständigen Lesen schafft sich das Kind den aktiven Zugang zu allem Weiteren.
Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist die Erlebbarkeit der Kraft des geschriebenen Wortes über das eigene Tätigsein. Die Kinder bringen druckend, zeichnend, schreibend ihre Ideen zu Papier. Das Buch hält Ergebnisse dieses schöpferischen Entwicklungsprozesses fest. Mit dem Präsentieren, ob im geschützten Raum ihres Umfeldes oder bei einer Lesung zur Buchmesse vor unbekannten Publikum erfahren die Kinder die Wirkung ihrer Arbeit sehr unmittelbar. Das Buch ist Resonanzraum und Übfeld der Kommunikation eigener Gedanken.
Wie entstand die Idee zu Buchkinder?
Genau genommen ist es eine Haltung zum Kind, die ja vom Kind selbst eingefordert wird: Höre mir zu und nehme mich ernst, mit dem was ich mitzuteilen habe. Erste deutliche Bestrebungen dem gerecht zu werden, sind sicherlich bei dem Reformpädagogen Célestin Freinet zu finden. Er hat in den 1920er Jahren Schülern ermöglicht, eigene Texte zu setzen, Klassenzeitungen und Bücher zu drucken. Er hat eine bis heute noch sehr aktuelle Schulform entwickelt, welche Selbstverantwortlichkeit des Kindes in den Mittelpunkt stellt. Die Buchkinder sind konkret mit den vielfältigen Möglichkeiten nach der Politischen Wende in Leipzig entstanden. In einem Wohnzimmer hat Ralf Uwe Lange 2001 angefangen mit Kindern zu arbeiten und mit weiteren Menschen den Verein gegründet. Der Buchkinder Leipzig e.V. kann somit auf 15 Jahre Erfahrung zurückgreifen.
Was ist das Ziel von Buchkinder und wie erreichen Sie Kinder und Jugendliche?
Vordergründig kann man sagen, dass wir uns die Aufgabe gestellt haben, Kindern und Jugendlichen zum eigenen Ausdruck zu ermutigen. Das fertige Buch ist dabei das sichtbare, vorzeigbare Ergebnis eines langen und vielschichtigen Prozesses. Wir möchten das Vertrauen der Kinder in die eigene Wahrnehmung ganz allgemein stärken. Wenn ein Kind nach mehreren Monaten sein eigenes Buch mit seiner eigenen Geschichte und eigenen Zeichnungen oder Linolschnitten in den Händen hält, stärkt dies in sehr vielseitiger Weise die persönliche Entwicklung des Kindes. Eine wirkliche demokratische Teilhabe ist nur möglich, wenn ich verantwortungsbewusst Sachverhalte innerlich abprüfen, einordnen und auch mit Selbstbewusstsein äußern kann. Hierfür möchten wir Grundlagen bei den Kindern bilden. Wir haben unter dem Dach des Vereins verschiedene Aufgabenfelder: die freie Kursarbeit, Schulkooperationen, wo wir Teil des Unterrichtes sind, Kursarbeit mit Kindern, die einen Migrationshintergrund haben, Arbeit mit Kindern, die aus ihren Heimatländern geflüchtet sind und den eigenen BuchKindergarten mit 120 Kindern. Der Zugang der Kinder und Jugendlichen zu unserer Arbeit kann also sehr unterschiedlich sein. Oftmals sind es Eltern, die denken, das wäre was für ihr Kind oder Kinder/ Jugendliche haben anderen von ihren Erfahrungen erzählt. Im Leipziger Osten, wo wir hauptsächlich mit Kindern mit Migrationshintergrund arbeiten, kommen diese meistens ganz selbständig zu uns in die Werkstatt. Die Aufnahme ist dann sehr formlos und die Eltern lernen wir meist erst bei der ersten Lesung der Kinder kennen. Wir haben in Leipzig mittlerweile sicherlich auch einen gewissen Bekanntheitsgrad und können nicht alle Kinder, die zu uns möchten aufnehmen. Es ist eine etwas widersprüchliche Situation. Je mehr Zuspruch wir durch die Kinder erhalten, desto mehr finanzielle Mittel müssen wir zur Schaffung der entsprechenden Rahmenbedingungen akquirieren.
Was passiert bei Buchkinder? Wie muss man sich Ihre Arbeit vorstellen?
Zu allererst sind wir Raumgeber und das in mehrfacher Hinsicht. Die Kinder betreten unsere Werkstatt und sollen das Gefühl haben, das ist mein Ort - hier kann ich meine Dinge tun, ohne dass ich Aufgabenstellungen im Außen gerecht werden muss. Es riecht hier nach Druckfarbe, es gibt viele alte Maschinen, Trockengestelle für die Linolschnitte, Holzregale für die Kisten eines jeden Kindes und ganz zentral einen großen, von vielen Linolschnittversuchen gezeichneter Holztisch. Auf diesem Tisch sind gespitzte Bunt- und Bleistifte, Filzstifte, Wachsmalkreide, Scheren, Klebestifte, Ritzmesser und unterschiedlich große Linoleumstücke vorbereitet. Jetzt müssen wir als erwachsene Begleiter nur noch zuhören. Die meisten Kinder haben ein sehr natürliches Bedürfnis sich anderen Menschen mitteilen zu wollen. Sie fangen ganz selbstverständlich an zu zeichnen oder erzählen von einer Begebenheit. Neben dem Zuhören sind die richtigen Fragestellungen der Kern unserer Arbeit, vorausgesetzt es besteht ein echtes, liebevolles Interesse an dem Kind und dem was es uns mitteilen möchte. Die richtigen, eher öffnenden Fragen sind wichtig, Die Haltung zum Kind spiegelt sich in der Art der Fragen wieder. Die Geschichte soll ja das Kind in sich weiterentwickeln und nicht durch reduzierte Ja-Nein-Fragen in eine bestimmte Richtung gelenkt werden. Kein Kind kommt mit einer fertigen eigene Geschichte, aber es hat eigene innere Bilder und Vorstellungen, Begebenheiten, bestimmte Ideen im Kopf. Diese gilt es aufzugreifen und durch eine wirkliche Neugierde des Begleiters weiter zu formen. Das ist ein sehr schmaler Grad, weil wir (die Erwachsenen) gegenüber Kindern meist denken, wir wissen es besser. Aber es geht nicht um richtig oder falsch, es geht um die Originalität und Einzigartigkeit der Aussagen eines jeden Kindes. Nur so können sie diese unglaubliche Kraft über Wort und Bild entwickeln.