Kolumna Köln, Außenansicht © Kai Geiger

Interview mit den Vorständen der Buchkinder Leipzig, Birgit Schulze Wehninck und Sven Riemer, Jana Leipnitz, Pädagogische Leiterin des Buchkinder Kindergartens, und Susanne Tenzler-Heussler, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Buchkinder Leipzig, sowie Dr. Marc Steinmann, leitender Kurator am KOLUMBA Köln

Wie ist Kolumba auf die Künstlerbücher der Buchkinder Leipzig aufmerksam geworden?

Dr. Marc Steinmann
: Den Anstoß gab meine damalige Kollegin Katharina Winneks. Sie hatte von den Buchkindern gehört und eines der Bücher gesehen. Da ich wegen familiärer Kontakte häufiger in Sachsen bin, hatte sie angeregt, dass ich bei Gelegenheit Kontakt aufnehmen sollte. So fand ich mich dann Anfang der 2000er-Jahre in einem ziemlich desolaten Leipziger Haus und bin in eine große Wohnung geraten, wo eine sehr kontemplative, freudige Emsigkeit herrschte. Einige Kinder arbeiteten konzentriert mit Papier und Farben. Dies war schon die erste Begegnung mit Birgit, die versuchte, die Fäden zusammenzuhalten und wir sind schnell ins Gespräch gekommen. Seitdem sammelt Kolumba möglichst alle Bücher der Buchkinder Leipzig, wobei ich mir nicht sicher bin, ob wir wirklich alle haben?

Birgit Schulze Wehninck: Wer weiß das schon? Wir sind uns da auch nicht sicher, ob wir alle haben. Es gab da einmal eine schöne Begebenheit bei euch im Kolumba, die du einmal erzählt hast, als zum ersten Mal ein großes Paket aus Leipzig ankam – ein großer Pappkarton – und alle die Köpfe darüber zusammengesteckt haben, Bücher rausgezogen haben und dann eben tausend Fragen zu den Büchern hatten. Da war das Interesse, welcher Prozess hinter den Büchern steckt und welcher Zusammenhang zwischen dem erwachsenen Begleiter und dem kindlichen Autor besteht.

Dr. Marc Steinman: Die Kuratorinnen und Kuratoren im Kolumba sind Kunsthistoriker, die natürlich mit einem ganz eigenen Blick auf die Dinge schauen. Schnell stand etwa die Frage im Raum, wo kommen die Geschichten, Formen und Gestalten her? Welche Einflüsse liegen den Büchern zugrunde? Es war in der Tat fast wie Weihnachten. Auf unserem riesigen Bibliothekstisch stand die Kiste mit den vielen in Papier eingeschlagenen Büchern und wurde mit riesiger Freude geplündert. Jeder hat in einem anderen Buch geblättert und versucht, die anderen an den spontanen Entdeckungen und der eigenen Begeisterung teilhaben zu lassen.

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Wie hat sich aus diesem ersten Treffen, dem ersten Abtasten, den Gesprächen eine Zusammenarbeit ergeben?

Dr. Marc Steinmann: Wir, die Erwachsenen, haben uns immer mal wieder gesehen. Ich weiß auch nicht, wer auf die Idee gekommen ist, dass die Vorschulkinder nach Köln kommen sollen.

Sven Riemer: Ihr habt ganz fleißig die Bücher gesammelt, und wir wurden uns irgendwann dessen bewusst, dass das Kunstmuseum Kolumba wirklich ein tolles Museum ist und dass das nicht selbstverständlich ist. Dann haben wir uns verabredet und darüber hinaus, dass ihr Interesse an den Entstehungsprozessen der Bücher hattet, einfach gemerkt, dass wir sehr viele inhaltliche Gemeinsamkeiten haben. So haben wir geplant, dass wir mit Kindern aus dem Verein bzw. aus unserem Kindergarten zu euch ins Museum kommen und da eine Kunsterfahrung machen können. Die erste wirklich tiefgreifende Begegnung war, als Birgit und ich bei euch oben in den tiefen Sesseln saßen und total beeindruckt waren, mit welcher Achtsamkeit und Achtung ihr uns begegnet seid.

Dr. Marc Steinmann: Das war, wenn ich mich richtig erinnere, im Zusammenhang mit einer Gesprächsreihe, die wir während der regulären Museumsöffnungszeit mit verschiedenen Gästen als Veranstaltungsreihe der Ausstellung „denken“ im Lesezimmer vom Kolumba gemacht hatten.

Sven Riemer: Ja, wir haben schnell gemerkt, dass wir inhaltlich übereinstimmen. Da gab es sehr viele Gemeinsamkeiten, z.B. in der Art, wie ihr die Menschen mit einbindet, wie ihr die Unternehmenskultur pflegt, welche Problemstellungen und ästhetischen Betrachtungsweisen ihr miteinander diskutiert.

Dr. Marc Steinmann: Ich bin mir nicht sicher, ob das jetzt, in Corona-Zeiten, möglich wäre. Es war gerade der persönliche Kontakt, durch den man sich über das eigentlich konkret zu Besprechende hinaus ausgetauscht hat und dann gemerkt hat, dass da ganz viele Dinge übereinstimmen. Die Herangehensweise an grundsätzliche Fragestellungen, Umgang mit Kunst, Haltungen zu Menschen und solche Dinge. Auch Probleme, die man vielleicht hat, waren und sind ähnlich. Wir haben als Kunstmuseum natürlich immer das Bestreben und den Wunsch, auch mit Kindern im Museum etwas zu machen. Kolumba ist eben ein kleines Museum, und daher sind wir natürlich auf Partner angewiesen, und das war damals eine Steilvorlage, als ihr dann die verrückte Idee hattet, mit den Vorschulkindern von Leipzig nach Köln zu kommen. Es ist ja von der Distanz her das Ungünstigste, was man in Deutschland machen kann, vielleicht abgesehen von Flensburg und München. Leipzig-Köln ist halt auch von den Möglichkeiten der öffentlichen Verkehrsmittel ein bisschen schwierig. Und dass das mit doch relativ jungen Kindern geht, finde ich schon sehr beachtenswert.

Birgit Schulze Wehninck: Was wir auch sehr schnell festgestellt hatten, war, dass bei euch im Kolumba der Dialog im Zentrum eurer Arbeit steht. Bei euch ist die Art und Weise, wie ihr Kunst präsentiert, darauf angelegt, über das Gesehene ins Gespräch zu kommen, es erfahrbar zu machen. Wir arbeiten eben auch über den Dialog mit den Kindern. So entstehen natürlich nicht die Bilder, aber so vertieft sich die Geschichte und der Prozess des Schöpferischen, und diese Parallele zwischen Kolumba und uns war uns sehr schnell klar. Auch wenn wir in andere Bereiche geschaut haben. Die Entstehungsgeschichte, die Teamentwicklung, die Erweiterungen usw., da gab es verschiedene Berührungspunkte.

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Was war das konkrete Interesse der Buchkinder an Kolumba? Was war die Idee dahinter, den Kontakt zu intensivieren, in Bezug auf die Idee der Buchkinder?

Sven Riemer: Es war auf keinen Fall ein pragmatischer Ansatz, nach dem Motto, wir machen mal ein Netzwerk und wer könnte da passen, sondern das kam aus diesem gegenseitigen inhaltlichen Interesse heraus. Wir haben gemerkt, dass Kolumba mit seiner Tätigkeit auf einer ähnlichen Suche ist. Und dann haben wir uns gefragt: Was passiert, wenn wir diesen Impuls des Kolumbas aufnehmen? Was passiert mit den Kindern, wenn sie so ein Museum betreten und dort in der Art und Weise begleitet werden, wie wir es hier bei uns in den Kursen machen? Welche Erweiterung durch majestätische Erfahrungen könnte da passieren? Wir hatten das erst aufgeteilt in Verein und Kindergarten und haben dann bemerkt, dass uns das überfordert. Das Kolumba hat uns auch finanziell unterstützt, sonst wäre das gar nicht möglich gewesen, mit so vielen Kindern die Reise zu machen. Die nachhaltige Perspektive sahen wir dann eher im Kindergarten, weil wir es da im Jahresrhythmus mit den Vorschulkindern machen könnten. Dann lagert sich auch eine Substanz im Kindergarten ab und die Vorfreude ist begleitet von vielen Nebeneffekten des Loslassens: Die Eltern lassen von den Kindern los, die Kinder lassen von den Eltern los, sie kommen anders zurück. Da sind ganz viele Faktoren dazugekommen, die diesen Nachteil der räumlichen Entfernung, den Marc eben eingebracht hat, eigentlich in einen Vorteil gewandelt haben. Deshalb sind wir mit den Vorschülern des Kindergartens gefahren.

Birgit Schulze Wehninck: Es gibt auch noch den Punkt der Sichtbarkeit. Dass wir die Gedanken und Bilder der Kinder sichtbar machen möchten, ist ein großes Interesse und eine Zielstellung in unserer Arbeit. Die Kinder präsentieren ihre Werke zum Beispiel bei Lesungen auf den Buchmessen in Frankfurt und Leipzig und erfahren so auch die Wirkung ihrer Ideen, und umgekehrt gibt es auch Berührungsflächen der Erwachsenen zur Buchkinderarbeit hin. Es entsteht ein wirklicher Austausch. Das Museum ist eben ein Ort, der eher das Bild ins Zentrum stellt und so diese Arbeit auf eine andere Art und Weise sichtbar macht.

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Es war also die Ähnlichkeit der inhaltlichen Arbeit, der Dialog, der die Buchkinder zum Kolumba nach Köln gebracht hat. Wäre nicht alternativ auch eine Kooperation mit einem lokalen Leipziger Museum denkbar gewesen?

Birgit Schulze Wehninck: Da gibt es eben gar kein Museum, das so arbeitet. Es gab da ein Schlüsselerlebnis: In der Jahresausstellung im Kolumba lag irgendwann ein Buchkinderbuch in einer Vitrine, neben einem Andy Warhol. Dazu musste man allerdings wissen, dass es ein Andy Warhol ist und dass es ein Kinderbuch ist. Denn es steht an den Vitrinen im Kolumba nicht dran, was für ein Werk man gerade betrachtet. Und das war einfach so ein elektrisierender Moment, wo deutlich wurde, dass hier weniger die Autorenschaft als die Ausdruckskraft der Kunst und die Wirkung, die sie beim Betrachter hat, eine zentrale Rolle spielen. Eine bessere Sichtbarkeit und eine Augenhöhe für die Arbeiten von Kindern kann man sich an dieser Stelle, glaube ich, gar nicht wünschen.

Die Kooperation entstand auch einfach aus einer natürlichen Situation heraus: Kolumba kam auf uns zu, hat die Bücher erst einmal in seinen Sammelbestand aufgenommen und dann daraus immer wieder einzelne Bücher in den Ausstellungen gezeigt. Da war einfach eine gemeinsame Grundlage da, die man sich an anderer Stelle erst einmal hätte erarbeiten müssen. Es ist sehr organisch gewachsen aus einem gemeinsamen Interesse aneinander. Also etwas sehr, sehr Echtes.

Sven Riemer: Insofern ist es ein sehr kurzer Weg.


Und andererseits das Interesse des Kolumba an den Buchkindern?

Dr. Marc Steinmann: Das war und ist ein Prozess, eine Entwicklung, die ihre Zeitpunkte und -räume benötigt. Wir haben ja am Anfang noch nicht über eine Kooperation oder solche Dinge wie Reisen nachgedacht. Das war einfach eine Neugierde unsererseits. Wir sind immer auf der Suche nach Sammlungsgegenständen. Das Buch spielt bei uns im Museum eine wichtige Rolle. Über allem steht natürlich die Suche nach Kreativität, die sich in den Dingen materialisiert. Aufgrund unseres Sammlungskonzeptes ergab sich schnell die Überlegung, Kinderzeichnungen, Kinderkunst zu sammeln, und lief dann bei allen Begegnungen auch immer irgendwie mit. Eine grundsätzliche Neugierde und Offenheit war da. Man kommt ins Gespräch und dann entwickeln sich die Dinge eben sehr schön. Es sind ganz verschiedene Themen, die eine Rolle spielen. Wenn man dann noch feststellt, da ist eine Institution, die eben kein Museum ist, aber ähnlich arbeitet, ähnlich denkt, ähnliche Haltungen hat, dann ist das natürlich eine ganz faszinierende Geschichte. Es ist daher schon zwangsläufig intensiver miteinander zusammenzuarbeiten. Aus Sicht des Museums waren unsere Sammlungstätigkeit und die Leidenschaft für Objekte grundlegend. Kolumba weist noch eine Besonderheit auf: Wir sammeln in Schwerpunkten. Wir können nicht alles sammeln, sondern wir müssen uns irgendwo begrenzen und Schwerpunkte setzen. Wenn wir uns für eine Künstlerin oder einen Künstler entschieden haben, dann versuchen wir, diese auch über eine lange Zeit zu begleiten und das Werk möglichst umfänglich zu sammeln. Irgendwann gab es dann den Punkt, an dem wir gesagt haben, ja die Buchkinder sind auch spannend, nur wie wählt man denn in diesem Fall aus? Die Buchkinder sollten ein Sammlungsschwerpunkt werden, so wie wir da eigentlich immer vorgehen. Und das haben wir dann konsequent gemacht.

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Wie muss man sich die Kooperation vorstellen, die seit 2017 aktiv besteht? Was passiert da mit den Kindern, deren Eltern und den Besucherinnen und Besuchern im Museum?

Sven Riemer: Das Tolle ist ja, dass die Kinder da vollkommen unvoreingenommen oder uneitel sind. Wenn ein Museumsbesuch ansteht und die merken, das wird langweilig, dann drehen die der Sache den Rücken zu, und insofern ist es unsere Aufgabe, im Vorfeld wirklich in Kontakt zu treten mit den Kindern. Nach so einem ersten Mal ist es dann schon bekannt im Kindergarten und die Kinder erzählen sich gegenseitig ihre Erlebnisse. Es werden Dinge präsentiert und es hat einen Nachklang, und dann entsteht natürlich wieder eine Vorfreude. Wir versuchen, die Kinder darauf vorzubereiten, genauso die Eltern und das Team. Insofern ist es eingebettet in unseren Jahresrhythmus, wo der Höhepunkt dann eben dieser Besuch ist, die lange Zugfahrt, die Unterkunft und das Getrenntsein von Zuhause. Für die Kinder ist das, glaube ich, gar nicht so zentral nur dieser Museumsbesuch. Es sind ja drei Tage, an denen die Kinder unterwegs sind. Das ist ein Gesamterlebnis.

Dr. Marc Steinmann: Aus Kolumba-Sicht hat die Kooperation zwei Ebenen. Da ist einmal die Museumsarbeit. Wir gehen mit den Buchkinder-Büchern um wie mit allen anderen Sammlungsbeständen auch. Bei jeder neuen Ausstellungsplanung wird geschaut, ob es passt. Wenn ja, werden die Arbeiten in die Ausstellung integriert. Und wir arbeiten mit den Büchern so, wie wir das mit allen anderen Kunstwerken auch machen, d.h., sie liegen z.B. in einer Vitrine und können in der Regel nicht geblättert werden. Wie ein Andy Warhol, wie eine mittelalterliche Handschrift wird ein Buch der Kinder auf einer Seite aufgeschlagen, von der wir denken, dass sie zum Thema der Ausstellung, im Kontext der anderen Artefakte Sinn macht. Die Resonanz der Besucherinnen und Besucher ist in der Regel eine große Begeisterung. Es gibt vielfach sehr grundsätzliche Dinge zu entdecken und zu lesen. Von den Kindern kommen teilweise schon philosophische Sprüche. Die stellen wir besonders gerne aus. Starke Sprüche haben wir das mal genannt. Es gab die Überlegung, ob wir für eine Ausstellung etwas daraus machen können. Es gibt unter den Museumsgästen natürlich vielfach Großeltern und Eltern, die einen sehr persönlichen Zugang zu den Buchkinder-Arbeiten haben.

Die zweite Ebene ist der unmittelbare Kontakt, wenn die Leipziger kommen. Man würde diese als klassische Vermittlungsarbeit oder Museumspädagogik bezeichnen. Dieser Bereich ist für uns als Museum so ein bisschen die Krux. In der Regel kommen die Kinder, wie alle Besucher, einmal und nach 1 – 1 ½ Stunden sind sie wieder durch die Tür, und was dann passiert, kriegen wir als Museum nicht mit. Wenn wir Glück haben, erhalten wir ein Feedback von den Lehrerinnen und Lehrern. Das ist extrem selten der Fall. Jetzt haben wir mit den Buchkindern die Riesenchance, dass wir eben den langfristigen Kontakt haben, dass wir kontinuierlich im Gespräch sind. Sie fahren wieder nach Leipzig, und wir bekommen dann einen Bericht, was der Besuch des Museums ausgelöst hat. Dies war dann der Punkt, an dem wir gesagt haben, wir könnten mehr daraus machen. Und so hat sich dann das Projekt entwickelt. Es ist natürlich klar, dass das mit Kosten verbunden ist. Insofern sind wir sehr glücklich, dass die Kulturstiftung des Bundes und die Katharina und Uwe Winnekes-Stiftung gesagt haben, sie finden das Vorhaben toll und würden es unterstützen. Wir sind jetzt in der sehr komfortablen Situation, dass die Fahrt der Leipziger nun mit einem langen Köln-Aufenthalt, mit einem extrem günstigen Betreuungsschlüssel und einem parallelen Kursnachmittag sowie zusätzlichen Werkstattzeiten in Leipzig möglich ist. Wären die Einschränkungen der Corona-Pandemie nicht, so könnten wir unsere Zusammenarbeit unter Idealbedingungen weiterentwickeln.

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Wie führen Sie die Kinder an das Jahresthema des KOLUMBA heran? Wie begleiten Sie die Kinder in dem Prozess, Teil einer Ausstellung zu sein? Erhalten die Buchkinder Leipzig das Jahresthema, das lange im Voraus geplant wird, vorab und sie arbeiten dann in Leipzig an den thematischen Inhalten? Und Sie schauen dann, was zur entsprechenden Ausstellung passt oder in den Sammlungsbestand geht?

Dr. Marc Steinmann: Das spannende an unserem Projekt ist, dass die Vorschulkinder nach Köln kommen und die aktuelle Jahresausstellung kennenlernen. Dann fahren sie wieder nach Leipzig und dort entsteht vielleicht irgendetwas. Wir haben die Hoffnung, dass man mit dem, was die Kinder dann geschaffen haben, eine Intervention hier im Museum machen kann. Der Museumsbesuch, d.h. die laufende Ausstellung, beeinflusst tatsächlich das Tun der Kinder oder auch nicht, weil andere Dinge und Einflüsse nach der Reise wichtiger sind. Das wissen wir jetzt natürlich noch nicht. Auch wenn die Kinder ihr eigenes Ding machen, wollen wir sehen, ob dies im Kolumba sichtbar werden kann.

Museen sind im Moment im Umbruch. Dies ist ein Prozess, der schon ein bisschen länger läuft. Partizipation ist das große Stichwort. Es geht darum, möglichst unterschiedlichen Gruppen der Gesellschaft Teilhabe am und Sichtbarkeit im Museum zu ermöglichen. Das Projekt mit den Buchkindern ist ein sehr konkretes Beispiel, an dem wir das mit unseren Mitteln durchspielen können.

Das heißt, bei den Buchkindern ist der Besuch des Museums in Köln Bestandteil des Jahresprogramms, der bisher noch keine inhaltlichen Auswirkungen hat, in dem Sinne, dass man auf die Ausstellung hinarbeitet. Aber wie ist der Jahresbesuch dann in die reguläre Kindergartenarbeit eingebunden?

Birgit Schulze Wehninck: Für uns ist es ja auch immer die Frage, wie wir die Kinder erreichen. Es geht darum, Zugänge zu schaffen, und das hat ganz viel auch damit zu tun, Erfahrungs- und Begegnungsräume herzustellen. Es gibt entweder die Möglichkeit, dass Kinder selbst mit einem bestimmten Interesse auf uns zukommen. Das setzt aber voraus, dass sie schon eine Erfahrung gemacht haben. Die andere Möglichkeit ist, dass wir Impulse setzen. Beides passiert bei uns. Am Anfang war dieser Besuch im Kolumba ein klarer Impuls, wo wir gesagt haben: Das ist spannend, wir probieren das. Da gab es auch viel Widerstand in der Elternschaft, weil das natürlich eine besondere Situation ist, dass Kinder in diesem Alter so eine weite Fahrt auf sich nehmen, mit Übernachtung ohne die Eltern und so einen sehr starken, besonderen Ort aufsuchen. Das ist jetzt nicht unbedingt so, dass es üblich ist. Wir haben das einfach gewagt. Mittlerweile ist es so, dass es Eltern gibt, die sagen, es könnte auch eine Übernachtung mehr sein, dass es vielleicht zu wenig Zeit für die Kinder vor Ort ist. Die Kinder selbst haben das einfach auch in ihren Rhythmus aufgenommen, und es wird auch viel weitererzählt. Wir versuchen noch „besser“ darin zu werden, anschließend noch einmal Räume der Rückbetrachtung zu schaffen, sodass dieses Thema der Kinder dort vor Ort in Köln eben auch in den Kindergartenalltag hineinwirkt. Dafür gibt es im Kindergarten verschiedene Ansätze.

Jana Leipnitz: Vielleicht noch so eine Ergänzung dazu … Es ist eine Tradition bei uns im Kindergarten, dass die Vorschulkinder ihre eigene Ausstellung erarbeiten für die Kinder, die im Buchkindergarten bleiben. Sie machen also im Prinzip ganz vergleichbare Prozesse wie die Menschen im Kolumba. Sie machen sich Gedanken: Aha, die haben Arbeiten, wählen aus ihren Materialien und Arbeiten etwas aus, überlegen in der Gruppe zusammen, wie sie die in die Rahmen positionieren wollen, wie die im Gesamtensemble wirken und kuratieren ihre eigene Ausstellung. Das ist sozusagen auch die Brücke zum Kolumba. Da gibt es also Menschen in Köln, die kennen das Kolumba schon, die haben auch Marc schon auf dem Schirm und die machen sich vergleichbare Gedanken. Die haben Sachen von Menschen, die was aus sich heraus geschaffen haben, und die überlegen sich auch, wie sie das anderen Leuten wieder zugänglich machen können, die sich dann wieder mit den Werken auseinandersetzen.

Da ist also einerseits diese Verbindung und andererseits – wie Birgit schon gesagt hat – passiert die Verschränkung zu den anderen im Buchkindergarten ganz konkret in einem Zusammenkommen, wenn wir wieder zurück sind aus Köln. Dann haben wir meistens jede Menge Fotos, die Kinder haben ihre Notizhefte, in die sie während des Besuchs in Köln Sachen reinzeichnen; die Dinge, die für sie total spannend sind. Dann kommen wir alle zusammen, meistens in unserem Foyer und zeigen uns dann einfach Fotos über den Beamer, die Notizhefte sind da, und dann entsteht ein ganz unaufgeregter Dialog mit all den anderen Kindern, die Fragen stellen zu den Fotos, oder die Kinder erinnern sich an bestimmte Objekte oder Situationen, die sie im Museum erlebt haben. So beginnt dann ein gegenseitiger Austausch dazu.

© Kai Geiger

Nochmals: Es gibt noch keine inhaltliche Zusammenarbeit zwischen Kolumba und Buchkindern in Bezug auf die Jahresausstellung. Könnte dies mit der angedachten Intervention und den Projektgeldern umgesetzt werden?

Sven Riemer: Ich würde da gerne nochmals einhaken, weil das ein Unterschied ist, ob man ein inhaltliches Thema vorgibt oder ob man das macht, was wir im Prinzip immer machen. Das Tolle ist ja, dass die Kinder zum ganz überwiegenden Teil einfach den Wunsch haben, sich mitzuteilen. Und wir drehen genau diesen Spieß um, dass wir sagen, wir hören euch zu: Was macht ihr, was sind eure Gedanken zur Welt? Auf diese Weise kann eben das Schöpferische, das Eigenständige entstehen, ohne dass man ein Thema vorgibt. Das eigentliche Thema ist eher, dass wir zuhören. Um das vielleicht einmal konkret zu machen: Zum Beispiel ist es bei so einem Museumsbesuch ja sehr schwer, von so einer didaktischen Sichtweise wegzukommen. Weil es viele Exponate gibt, über die man logischerweise erst einmal aus Museumssicht erzählen kann. Wir haben das dann irgendwann umgedreht, weil wir gemerkt haben, wir wollen auch da eine Augenhöhe reinbringen und haben den Kindern gesagt: Ihr bekommt jeder einen Fotoapparat, ihr seid zu zweit, ein Erwachsener kommt mit, und ihr könnt euch frei im Museum bewegen. Bleibt dort stehen, wo ihr euch angezogen fühlt, dokumentiert das, macht Zeichnungen davon. Ihr bewegt euch aus eurem Interesse gesteuert zu den Werken hin, und dann sammeln wir die Fotos wieder ein und jeder kann über seine Erlebnisse berichten. Das ist wirklich ein Schlüsselmoment in der Art und Weise, wie Kinder ein Museum betreten. Manche haben z.B. ihre Hefte die Treppe heruntergeschmissen und sich über das Klangerlebnis gefreut, weil im Treppenhaus ein besonderer Hall war. Zwei andere Kinder haben sich an ein großes Bodenfenster gesetzt und haben Taxis gezählt, haben wirklich eine Strichliste gemacht mit 63 Taxis. Andere wiederum haben sich vor die Bilder gelegt und sind da eingestiegen. So hatte jedes Kind einen individuellen Bezug. Unsere Vorgehensweise war, den Kindern zuzuhören und daraus dann Entwicklungsimpulse abzuleiten für weiterführende Geschichten oder Bilder oder einfach Interesse für ästhetische Zugänge zu schaffen.

Was sind die Ziele und Erwartungen an das Forschungsprojekt? Was sind die Fragestellungen? Was wollen sie herausfinden und der zweite Teil der Frage: Was soll dann aus den Forschungsergebnissen entstehen? Ist es ein Interesse, dass Vorgehensweisen entwickelt werden, die auch von anderen Museen übernommen werden können?

Dr. Marc Steinmann: Wir sind ja doch eine Stufe weitergegangen. Bisher haben wir die Dinge gesammelt, die bei den Buchkindern ohne Kontakt zum Museum entstanden sind. Kolumba sammelt aber nicht nur „fertige“ Bilder, sondern auch das Material aus dem zugehörigen Entstehungsprozess. Wir haben natürlich irgendwann entdeckt, dass es zur Herstellung eines Buchkinderbuches eine ganze Reihe von Zeichnungen, Notizen oder sogar Gegenstände gibt, die spannend sind. Hochspannend für ein Kunstmuseum! Schnell kam die Idee auf, dieses Material in die Sammlung und die Ausstellungen vom Kolumba zu integrieren. So ergibt sich schnell ein umfangreicher Fragenkomplex. Wie findet man die Gegenstände? Wo liegen die Sachen? Wie werden sie gelagert? Wie werte ich sie aus? Was ist wichtig? Häufig haben Artefakte heute keine besondere Bedeutung, aber in fünf Jahren plane ich eine Ausstellung, da könnten sie dann ganz spannend werden. Das heißt, ich habe im Moment gar keine Kriterien, die ich benennen kann, wie ich auswähle. Gleiches gilt im Übrigen auch für „große“ Künstler mit Diplom und umfangreicher Ausstellungsliste. Wir haben einfach nicht die zehn Gebote, was ein Kunstwerk ist. Es gibt keine Liste, die wir abarbeiten können, sondern es ist immer wieder eine Befragung des Materials, ein Diskurs auch unter uns Kuratorinnen und Kuratoren. Es kam ja gerade ein bisschen durch. Sven sagte, er war ganz fasziniert, wie wir als Kunsthistoriker auf die Arbeiten der Kinder geschaut haben. Wir haben einen anderen Blick als jemand, der sich unter pädagogischen Gesichtspunkten mit den Dingen beschäftigt.

Da ist es für uns auch ganz spannend und wichtig, ins Gespräch zu kommen. Wir wollen erfahren und verstehen, was eigentlich eure Kriterien sind, die ihr an die Dinge, die da entstehen, anlegt. Dies ist ein Lernprozess und eine Horizonterweiterung.  Neben solchen Fragestellungen sind wir mit ganz pragmatischen Problemen konfrontiert. Es sind juristische Fragen abzuklären. Wem gehört eigentlich das, was da entsteht? Wer hat welche Rechte an den Werken? Das ist für das Museum schon der erste große Lernprozess. Kinder haben Rechte. In der Tat. Und sie haben Rechte an ihren Werken. Es ist nicht so, dass wir das Material einfach sammeln und bei uns in die Schubladen legen können. Man muss die Eltern auch juristisch mit ins Boot holen, und wenn die Kinder 18 sind, noch einmal die jungen Erwachsenen selbst. Für das Museum ist das Ganze ein gewaltiger Verwaltungsakt, der da stattfindet. Wir müssen die Kunstwerke quasi auf Wiedervorlage haben, denn mit dem Erreichen des 18. Lebensjahrs muss gemeinsam mit ihnen darüber diskutieren werden, wo die Sachen verbleiben. Es ist ein ganzer Katalog von Fragen abzuarbeiten und mit den verschiedenen Beteiligten zu klären. Wie bindet man die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Buchkinder-Vereins und des -Kindergartens in die Prozesse mit ein? Vielleicht gibt es Bedenken, wenn wir als Museum entscheiden, dass fünf Objekte nach Köln kommen und 100 andere Dinge bleiben in Leipzig. Diese externe Auswahl stört vielleicht den pädagogischen Prozess. Eltern könnten Vorbehalte haben, da Kinder manchmal sehr offen erzählen und so auch die heimische Situation widerspiegeln. An der Wand des Museums sind diese Zusammenhänge dann öffentlich. Wann müssen auch die Eltern und ihre Privatsphäre geschützt werden? Solche Fragen muss man sich bewusst machen und dann zu Ergebnissen kommen, die natürlich in erster Linie unser gemeinsames Tun fördern. Ich hätte aber die Hoffnung, dass unsere Erfahrungen auch für andere Museen, Kultureinrichtungen sowie Kinder- und Jugendeinrichtungen interessant sind.

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Und für die Buchkinder? Sind das ähnliche Themen, die auch für Sie wichtig sind zu klären, weil Sie bisher Ausstellungen, die juristischen Rechte der Kinder nicht so im Fokus hatten? Was steckt für Sie noch inhaltlich in dem Forschungsprojekt, was für die tägliche Arbeit wichtig ist?

Birgit Schulze Wehninck: Also ganz provokant gesagt, ist es erst einmal so, dass es uns jetzt mit der Bundeskulturstiftung gelungen ist, eine Förderung zu bekommen, die es uns ermöglicht, wirklich das zu tun, was wir ohnehin tun – aber durch die finanzielle Unterstützung mit anderen Vertiefungsmöglichkeiten. Rechtliche Fragestellungen im Zusammenspiel mit den Eltern z.B. spielen natürlich auch eine Rolle, weil das auch Verunsicherungen auslösen kann, wenn ein Kind ein Buch veröffentlicht. Wenn nun ein Kind ein Exponat in einem Museum zeigen kann und wir überlegen, wie man die rechtlichen Abläufe formalisieren kann, dann tauchen da wieder neue Fragen auf. Und dann kommt auch schnell die Frage auf, die Sie ja nachher in ihrem Katalog haben: „Was ist eigentlich Kunst? Und wie geht man mit dieser kindlichen Kunst auf Augenhöhe um, im Vergleich zu erwachsenen Künstlern. Gibt es da Geld? Und wie sind die urheberrechtlichen Fragestellungen?“ Diesbezüglich sehen wir wirklich eine Aufgabe darin, ins Gespräch zu gehen, diese verschiedenen Gedanken erst einmal anzuhören und dann eine Form zu finden, die nicht Problemstellungen schürt.

Das ist ja auch einerseits eine Absicherung, das, was man schon seit Jahren macht, juristisch abprüfen zu lassen und auf sichere Beine zu stellen, die Kinderrechte verbindlich klären zu wollen. Vor allem wenn die Idee ist, die Ergebnisse in die Welt zu tragen und vielleicht den Weg dafür zu bereiten, dass auch andere Museen Ausstellungen mit Kindern machen und Bilder in ihre Sammlungen aufnehmen?

Birgit Schulze Wehninck: Es ist ein sehr sensibler Bereich. Wir kennen dieses Thema, denn es gilt ja für die Veröffentlichung der Bücher auch. Es entsteht eben schnell der Gedanke: „Die verdienen ja Geld an uns“, oder: „Da braucht es ja eine finanzielle Beteiligung“. Dabei ist das in erster Linie Bildungsarbeit, was wir machen, und eine großartige Möglichkeit. Das sind eben alles erste Gehversuche. Gleichzeitig stimmt das ja auch, es ist eben Geld im Spiel in diesem Kunstmarkt. Jetzt ist eben die Frage, wie kommen wir hier zusammen? Und wie bekommen wir das auch gut kommuniziert? Das ist einfach ein ganz wichtiger Aspekt und da hilft uns natürlich auch die Zuhilfenahme von Rechtsmeinungen, also wirklich dann auch Vertragsvorlagen entwerfen zu können mithilfe von einer Rechtsanwältin, die auch in diese Urheberrechts-, Eigentums- und Nutzungsrechtsfragestellungen reingeht. Und das ist auf jeden Fall eine Zielstellung, dass wir am Ende eine vertragliche Grundlage haben.

Dr. Marc Steinmann: Eine Frage in dem Forschungsprojekt ist, was passiert mit Kinderkunst, wenn sie droht, kommerziell zu werden? Wir dürfen uns hinsichtlich des Kunstmarktes nichts in die Tasche lügen. Wir sind Teil des Marktes, auch wenn wir dies nicht wollen. Das heißt, wenn wir als Museum irgendetwas ausstellen, kriegt das einen neuen Wert, es findet eine Aufwertung statt und damit wird es auch als Ware sehr attraktiv. Wir wollen daher auch der Frage nachgehen, was passiert mit dieser von Kindern geschaffenen Kunst, wenn sie zur Ware wird. Werden die Kinder dann von den Eltern angehalten, in eine bestimmte Richtung zu produzieren? Jenseits der kommerziellen Eigenschaft wollen wir ergründen, was den Reiz dieser Kinderkunst ausmacht.

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Eine Chance wäre ja auch, wenn man diesen Aspekt mit einbezieht, was soll daraus entstehen? Hat man am Ende vielleicht als Ergebnis des Projekts eine Art Leitfaden dazu, wie mit Kunst von Kindern umgegangen werden muss?

Dr. Marc Steinmann: Ich hoffe, dass im Umgang die gleichen Kriterien wie bei der „erwachsenen“ Kunst gelten. Auch hier schafft der Markt ganz eigene Bedingungen, die nicht immer von Vorteil sein müssen.

Dass man einerseits ein Forum des Austauschs schaffen möchte, andererseits aber auch die ganzen kommerziellen Fragestellungen anspricht. Davor warnt, Hinweise gibt und über die pädagogischen Notwendigkeiten informiert – ist das auch das Interesse der Buchkinder, dass ihre Arbeit und langjährige Erfahrung als Basis für Standards angesetzt wird, alle Fragestellungen geklärt werden und die Ergebnisse dann auch anderen Museen und Einrichtungen zugänglich gemacht werden?

Sven Riemer: Also so eine Art Handlungsanleitung, die da jetzt im Raum schwebt, ist vielleicht erstmal noch ein Tick zu pragmatisch. Ich würde auch bei den ganzen rechtlichen Betrachtungen nochmal betonen: Uns ist sehr daran gelegen, uns in diesen Bildungsdiskurs mit einzubringen. Wie können wir Kinder so begleiten, dass Persönlichkeiten erwachsen, wie auch demokratische Teilhabeprozesse – aufgrund einer eigenen Meinung sich beteiligen zu können. Und die Frage „Was ist Kunst?“ ist gar nicht so banal und elitär, wie sie klingen mag. Sondern sie führt uns zu einer ganz grundphilosophischen Frage, was das menschliche Wesen ausmacht, welche Potenziale in ihm stecken. Und da sagen wir, die schriftliche und bildnerische Ausdrucksweise, das, was Kinder zutage bringen, gehört einfach in ein Museum. Das gehört in ein Buch, auf eine Postkarte, in einen Kalender, weil es unsere Welt um eine kreative Ausdrucksweise bereichert. Und das ist erst einmal unsere innere Motivation, das grundlegend voranzutreiben, weil wir merken, dass nicht nur die Kinder davon profitieren, sondern die Welt der Erwachsenen eben auch. So wie Marc eben sagte, da sind „starke Sprüche“, bei denen man als Erwachsener beim Besuch im Museum eine Resonanz auf eine Aussage spürt, die ein Mensch getroffen hat. Man fängt an, sich daran abzuarbeiten, zu reiben. Da ist es vollkommen irrelevant, ob das von einem Kind oder einem Erwachsenen kommt. Das durchbricht eine Absicherung, die üblicherweise in der Kunstwelt getroffen wird. Und insofern gehen wir auch in eine Entsicherung.

Susanne Tenzler-Heussler: Ich glaube schon, dass die Bundeskulturstiftung das Projekt natürlich nicht ganz uneigennützig unterstützt. Ich stelle mal in den Raum, dass sie sich irgendeine Form wünschen, vielleicht nicht Handlungsanweisungen, aber dass auf alle Fälle eine Art Ergebnis erzielt wird. Da es auf jeden Fall eine Art Pioniercharakter hat. Deshalb auch der große Wunsch nach Transparenz, sodass andere Museen und Einrichtungen natürlich drauf schauen und sehen können, so machen die das. Das wäre auch für uns ein Anreiz.

Sven Riemer: Das vergessen wir nicht. Das kommt. Es ist nicht die eigentliche Ausgangsmotivation, aber ein Nebenprodukt, das wir im Blick haben. Das ist schon wichtig, noch einmal zu sagen: Unser Interesse ist unabhängig von den Förderungen und Zielstellungen, den Kindern ein Gehör zu verschaffen, weil es auf vielen Ebenen eben nicht entsprechend gemacht wird. Und die andere Frage ist eben, wie gehen wir mit Kindern um? Welches Schulsystem verfolgen wir? Ist es wirklich sinnvoll, die Lerninhalte komplett durchzudeklinieren? Welche Entwicklungsmöglichkeiten bieten wir Kindern an? Da ist so eine Kooperation wie jetzt mit Kolumba einfach total umfänglich, sodass man in diese Themenfelder vorstoßen kann und das exemplarisch in diesem Feld erprobt, unabhängig von den Auswirkungen für die einzelnen Personen, die jetzt konkret daran beteiligt sind.

Birgit Schulze Wehninck: Es gibt ja auch das Ziel, so eine Art Abschlusspräsentation in Form eines Kolloquiums zu machen, mit der Idee, sich auszutauschen. Wir wehren uns schon ein bisschen dagegen. Es kann schon sein, dass es mit der Kulturstiftung noch eine Diskussion darüber geben wird, z.B. Handreichungen herauszugeben. Also das ist einfach ein ganz anderer Ansatz, den wir verfolgen. Natürlich gibt es bestimmte Punkte, die man herausarbeiten kann in der Zusammenarbeit mit Kindern. Begegnungsflächen zu schaffen, Kinder tatsächlich zu erreichen in ihren eigenen Interessen, ohne Gefahr zu laufen, ihnen ständig eigene Vorstellungen überzustülpen. Das ist ja eigentlich das, was im Moment so passiert in diesem Bildungssystem. Die Erfahrung der Kinder ist, dass sie sich ständig in die Gedankenwelt der Erwachsenen reinversetzen müssen, um der Aufgabenstellung, die selbstverständlich auch wieder von den Erwachsenen kommt, entsprechen zu können. Insofern ist das wirklich eine Haltungsfrage: Wie begegne ich Kindern und mit welchen Vorannahmen beobachte ich das kindliche Lernen? Als Erwachsener einfach nur noch die Impulse zu setzen, um etwas in Gang zu bringen, was dort sowieso schlummert oder schon im Fluss ist. Das wäre eine Zielstellung, auch dafür zu sensibilisieren.

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Ich denke, das lässt sich in dem Projekt gut darstellen und spiegeln, weil die Fragen geklärt werden, welchen Stellenwert hat die Kunst von Kindern im musealen Bereich, und was soll sich aus ihrer Sicht verändern. Das Ziel muss doch sein, wie muss man Kunst von Kindern im musealen Bereich betrachten, und welche rechtlichen Voraussetzungen für eine Ausstellung gibt es. Und die Aufgabe der Buchkinder sehe ich darin, aus den Erfahrungen ihrer Arbeit zu erläutern, was ist in dem Eins-zu-Eins mit den Kindern, in dem Kunsterleben, -erfahren und -begleiten wichtig, und was muss man in der Arbeit mit Kindern in dem Kontext beachten. Zusammengefügt ergibt es ein Bild, dass die Voraussetzungen, die juristischen, urheberrechtlichen erfasst und andererseits die pädagogischen Notwendigkeiten verdeutlicht werden, wie man den Prozess, bis die Kunst zur Ausstellung kommt, begleiten muss.

Sven Riemer: Unser Feld sind die Rahmenbedingungen, die geschaffen werden müssen, damit so eine „unverfälschte Kreativität“, wie Marx das mal nannte, entstehen kann. Das ist sowieso unsere Aufgabe, aber auch in diesem Projekt.

Dr. Marc Steinmann: Das spannende in dem Projekt ist, dass zwei Ebenen vorhanden sind. Wir haben einmal die Museumsebene, das Sammeln und Ausstellen. Dann gibt es die Ebene des Herstellens. Und wir können jetzt beides betrachten und Erfahrungen sammeln. Selbstverständlich können Dritte aus unseren Erfahrungen lernen. Ich bin jedoch immer skeptisch mit sehr konkreten Handreichungen, mit Listen, die man dann abarbeitet und die man auf seine eigene Situation eins zu eins überträgt. Haltung – ja, Erfahrung – ja, Anregung – ja. Aber es muss der eigenen Institution angepasst werden und ihre entsprechende Form entwickelt werden. Insbesondere da Kolumba einige Besonderheiten aufweist, die bei anderen Museen nicht gegeben sind. Genauso wie die Buchkinder ihre Besonderheiten haben. Das heißt, sogar innerhalb des Projektes können die beiden Partner bei aller vorhandenen Gemeinsamkeit und Sympathie die Dinge nicht einfach voneinander übernehmen. Aber prinzipielle Dinge, wie die Haltung zu den Kindern oder zu den Gästen des Museums, können übertragen werden. Wichtig sind vor allem die Impulse.

Vielleicht noch ein anderer Aspekt: Wir reden immer von Kinderkunst und wie muss man mit Kinderkunst umgehen. Eine These in dem Projekt – jedenfalls von unserer Seite – ist, dass sie sich nicht wesentlich von jeder anderen Kunst unterscheidet. Also Kinderkunst ist erst einmal nicht anders als Kunst von Erwachsenen. Wir gehen mit ihr erst einmal so um, wie wir das immer machen. Dann stellt man fest, es gibt vielleicht das ein oder andere Problem, z.B. juristischer Art. Aber auch hier gelten die gleichen Rechte wie bei den großen Künstlerinnen und Künstlern, nur dass die Eltern bis zum 18. Lebensjahr vorgeschaltet sind.

 

Ist auch ein Wunsch oder die Hoffnung aus dem Projekt, dass andere Museen für eine Kooperation auf die Buchkinder zukommen?

Sven Riemer: Eigentlich Marc, gibt es erste konkrete Beispiele, wo ihr praktische Sachen von den Buchkindern in euren Sammlungsbestand aufgenommen habt. Das von Frederic zum Beispiel.

Dr. Marc Steinmann: Das Bild „Ain Labyrinth“ von Frederic ## ist ein gutes Beispiel für die erweiterte Perspektive unserer Kooperation. Es ist kein klassisches Buchkinderprodukt. Ursprünglich sollten aus dem Bild unterschiedliche Buchcover für die Abschlussbücher der Vorschulkinder werden. Frederic hat dann entschieden, dass es sich um ein Bild handelt, das eben nicht in viele Einzelteile zerlegt werden soll. Das Bild hat sich dann wunderbar in unsere Jahresausstellung über die Aufbrüche integriert. Es korrespondierte mit Arbeiten von Michael Buthe und Michael Oppitz. Das Bild hätten wir nie entdeckt, wenn der persönliche Kontakt zu den Buchkindern nicht vorhanden wäre. Wir haben natürlich durch die enge Beziehung zu den Leipzigern die Möglichkeit, hinter die Kulissen zu schauen und auch auf Dinge zu stoßen, von denen die Buchkinder sagen, das sind eigentlich – ich will es mal despektierlich formulieren – Abfallprodukte. Solche vermeintlichen Nebensächlichkeiten werden dann mitunter sammlungsrelevant.

 

Ist Frederic ein Künstler der Buchkinder, bei dem man sich vorstellen kann, dass er mal eine künstlerische Laufbahn einschlägt? Oder gibt es andere Beispiele bei den Buchkindern, wo man sieht, dass aus einem ihrer Buchkinder ein galeriegeführter Künstler geworden ist?

Dr. Marc Steinmann: Das ist ein ganz wunder Punkt! Auch eine der Forschungsfragen. Sind die Buchkinder eine Art Kinderkünstlerschmiede? Und jetzt mit uns als Museum noch on Top: Werden jetzt lauter kleine Gerhard Richter produziert? Das ist sicherlich nicht unser Fokus und Interesse. Ich hoffe, dass die Buchkinder-Kinder ihre Kreativität bis ins hohe Erwachsenenalter beibehalten, ist sie doch ein wesentlicher Aspekt unseres Menschseins. Diesen Punkt reklamiert Sven zu Recht immer wieder. Vielleicht brauchen wir neue Komponenten oder Schwerpunkte in der Erziehung. Wir leben in einer Zeit, wo künstliche Intelligenz ein immer wichtigeres Thema ist. Immer mehr Abläufe, aber auch Entscheidungen werden durch den Computer übernommen. Es ist nicht klar, welche Berufe es in der Zukunft in welchem Umfang noch geben wird. Es heißt schon, dass wir weniger Juristen brauchen, weil die Rechner viel besser und schneller sind für den größten Teil der juristischen Routine. Was bleibt uns Menschen noch? Das ist nach bisherigem Erkenntnisstand der ganze Bereich der Kreativität, der damit auch gesellschaftlich immer wichtiger, immer bedeutender wird. Wir brauchen kreative Köpfe, die dann die vielen künstlichen Intelligenzen beaufsichtigen. Das wird die Menschheit weiterbringen. Plötzlich erhält eine Kooperation zwischen Buchkindern und Kolumba eine gesellschaftspolitische Dimension.

Sven Riemer: Grundsätzlich ist es unser Anliegen, die persönliche Entwicklung, den eigenen Weg des Kindes zu fördern. Wenn sich da natürlich ein Weg abzeichnet, der heißt „ich möchte gerne Schriftstellerin oder Schriftsteller werden oder Künstler im herkömmlichen Sinne werden“, dann würden wir uns niemals davor verschließen. Aber diesem Wunsch über das Kolumba-Projekt einfach auch noch einmal Gehör und Sichtbarkeit zu verschaffen, damit begeben wir uns natürlich auch in diese Grundwidersprüche, die auch im Kunstmarkt vorherrschen. Dem können wir uns nicht verschließen. Aber das ist Teil des Forschungscharakters: Was passiert, wenn wir Kindern die Möglichkeit geben, ihre Sachen dort auszustellen? Insofern das Museum es auch für sinnvoll erachtet, dass dieses Werk ausgestellt wird? Was passiert rückwirkend in der Gruppe? Im Sozialen? Was passiert mit dem einzelnen Kind? Wie gehen wir damit um? Ist da ein Kunstwerk von einem Kind, muss da auch finanziell vergütet werden? Oder welche anderen Aspekte kommen da dazu? Das sind die ganzen Fragestellungen, denen sich anzunähern und die zu beantworten uns das Forschungsprojekt ermöglicht.