Staten Island Ferry, Staten Island, NYC © Julienne Schaer/NYC Tourism + Conventions

Die Musik der Einwanderer
Von Travemünde nach New York


Strahlender Sonnenschein, die Stimmung ist ausgelassen, alle haben sich herausgeputzt und tragen Tracht. Es ist ein Fest der europäischen Kultur in Amerika. Es gibt Schnitzel, erstaunlich große Brezeln, Biere und andere deutsche Spezialitäten wie Haxen, Würstel mit Sauerkraut oder Schupfnudeln, Axt- und Sängerwettbewerbe, Umzüge, Schafskopfkartenspiele und natürlich Musik, die wie alles hier „German Gemütlichkeit“ versprüht. Es sind die 1980er-Jahre, als der Autor mit den Concord Singers aus New Ulm Minnesota, dem bis heute führenden deutschsprachigen Männerchor, auf dem German Fest in Milwaukee, dem größten seiner Art in Nordamerika, war. Bis heute wirken und vor allem klingen diese Eindrücke nach, ein Mischmasch und Singsang aller jemals nach Amerika eingewanderten deutschen und angrenzenden Dialekte. Aus Leibeskräften und stimmgewaltig wird das deutsche Liedgut mit großer Heimatverbundenheit, Stolz und Leidenschaft geschmettert, dem Autor ist die Melodie vertraut, der Text hat über die Jahre skurrile, eigene Formen und Textzeilen angenommen.

Es waren und sind die Lieder, die Geschichten erzählen. Das ist auch in den USA so. Im ethnischen und kulturellen Schmelztiegel Amerika sind die verschiedenen Musik-Stile, vom Ragtime über die Country-Musik bis zum Hip-Hop, besonders eng verbunden mit einer grundlegenden Antriebsfeder der vergleichsweisen jungen Nation: der Suche nach einer eigenen US-amerikanischen Identität. Eine Suche, die bis heute und nicht ganz konfliktfrei anhält.

Denn wenn man die Arbeit von Einwanderern, ob mit Papieren oder ohne, von der amerikanischen Musiklandschaft abzieht, bleibt ein ziemlich blutleerer Sound übrig. Jazz, Blues, Gospel, Ragtime, Spirituals, Märsche, Broadway-Showtunes, Hollywood-Filmmusiken: All das stammt von denjenigen und den Kindern derer, die nach Amerika kamen, manche mit Absicht, andere in Ketten.

Es waren damals in Milwaukee und New-Ulm Immigranten der zweiten und dritten Generation aus Europa, deren Eltern und Großeltern um 1900 in großer Anzahl in die USA ausgewandert waren. Hamburg war damals der bedeutendste Auswanderhafen. Allein in den Jahren 1820–1930 machten sich mehr als sechs Millionen Menschen auf den Weg nach Amerika und haben über die Jahre ihren Beitrag und Einfluss an der Entwicklung einer kulturellen Identität, Kunst- und Kulturformen wie Musikstilen aller Facetten geleistet.

Historisch gesehen sind die Vereinigten Staaten eine der kulturell vielfältigsten Nationen der Welt. Nahezu jede kulturelle und ethnische Gruppe hat ihre eigene Musik nach Amerika gebracht. Auch die Geschichte und die Geografie haben ihre Rolle in der Musik Amerikas gespielt. Beispiele dafür sind Arbeitslieder, Cowboy-Lieder, Lieder über die Depression, Kriegslieder, Gewerkschaftslieder, Eisenbahnlieder und Protestlieder.

Top of the Rock, Manhattan, NYC © NYC & Comapny

Die ersten Europäer, die in der Neuen Welt ankamen, brachten die Erinnerungen und Lieder ihrer Heimatländer mit. Diese Lieder vermischten sich wiederum mit den Klängen der amerikanischen Indianer, auf die die Kolonisten trafen. Puritaner und Pilgerväter sangen bei Versammlungen und in der Kirche Hymnen und Psalmen ohne Instrumente. Der englische und schottisch-irische Adel erinnerte sich an Balladen von den britischen Inseln, und die Sklaven, die mit Sklavenschiffen nach Amerika gebracht wurden, brachten die Gesänge und Rhythmen Afrikas mit.

Die Verflechtung europäischer und afrikanischer Musikstile ist vielleicht der wichtigste Faktor in der Geschichte der amerikanischen Musik. Vor allem im Süden traf die Musik schwarzer und weißer Arbeiter aufeinander, wurde neu gemischt und vermischt. Die versklavten Menschen und ihre Nachkommen fügten den europäischen Liedern und Instrumenten einen flüssigen und ausdrucksstarken Gesangsstil und ein hoch entwickeltes Rhythmusgefühl hinzu. Auf diese Weise entstand eine neue afroamerikanische Musik.

Durch die Sklaverei kamen mit den Arbeitern kraftvolle Rhythmen aus Afrika in den Süden von Nordamerika, die sich mit den Tonleitern der europäischen Musik vermischten und den Blues hervorbrachten. Dieser wurde von ihnen oft bei harter Arbeit gesungen. Diese Melodien entwickelten sich schließlich durch weitere unterschiedliche Einflüsse weiter. Musikerinnen und Musiker mit unterschiedlicher Herkunft, wie zum Beispiel ein armer Bluesgitarrist vom Land, ein Geiger aus der kreolischen Mittelschicht und ein Trompeter aus einer der vielen Marching Bands, trafen sich spontan und spielten in den zahlreichen Tanz- und Vergnügungslokalen zum Tanzen auf. Die afroamerikanische Kultur hat einige der reichhaltigsten Musikgenres in den Vereinigten Staaten hervorgebracht: Gospel, Blues, R&B, Soul, Funk und Zydeco. Kombiniert mit anderen Elementen entstanden daraus auch Rock’n’Roll und Rock.

Taxi, Manhattan, NYC © Julienne Schaer/NYC Tourism + Conventions

Und natürlich der Jazz. Er zeichnet sich durch einen starken Rhythmus, blaue Noten und Improvisation aus. Im Laufe der Jahrzehnte hat sich der Jazz in verschiedene Richtungen entwickelt und zahlreiche Unterkategorien wie Bebop, Cool Jazz, Fusion, Latin Jazz, Smooth Jazz usw. hervorgebracht. Er hat sich auch internationalisiert und neue Jazzstile hervorgebracht, die sich von den amerikanischen Jazzwurzeln unterscheiden. Der Jazz entstand um die Jahrhundertwende in New Orleans, einem Kreuzungspunkt der Musikkultur. Der Jazz hatte seine Grundlage in den religiösen Rufen, Tänzen, Arbeitsliedern und dem Blues der Afroamerikaner. Die unterschiedlichen und farbenfrohen Musikstile schufen eine Vielzahl von Volks- und Unterhaltungsmusik. Sie trugen zur Entwicklung des Jazz bei und beeinflussten auch die Arbeit amerikanischer klassischer Komponisten.

Zu den einflussreichen Jazzmusikern gehören Miles Davis, John Coltrane, Louis Armstrong, Charles Mingus, Duke Ellington, Charlie Parker, Dizzy Gillespie, Bud Powell, Max Roach, Roy Hargrove, Pat Metheny, Marcus Miller, Herbie Hancock, Wayne Shorter, Bill Evans, Ornette Coleman, Theolonious Monk und Sonny Rollins.

Einige von Ihnen werden Sie während des CLASSICAL BEAT Festivals in vielerlei Facetten hören. Jazz in seiner klassischen, wohl bekannten reinen Form und in Form von Neuinterpretationen der jungen Talente, in einer musikalischen Verschmelzung von Klassik und Jazz, was heute zum guten Ton und der Ausbildung von Musiker:innen gehört. Lang vorbei der handfeste Skandal aus dem Jahr 1959, als der französische Pianist, Komponist und Arrangeur Jacques Loussier (1934-2019) die Musik von Johann Sebastian Bach neu arrangierte und sie in ein Gewand aus jazzigen Klängen und Rhythmen setzte. Loussier, der damals als 24-Jähriger der erste Musiker war, der konsequent klassische Musik mit Jazz verband, ist heute Bestandteil jedes Musikstudiums, unzähliger Workshops und Crossover-Projekte, die unsere Musiklandschaft und auch das Programm des CLASSICAL BEAT Festivals so spannend und abwechslungsreich machen.

Midtown, Manhattan, NYC © Julienne Schaer/NYC Tourism + Conventions