ON AIR. Der Klang des Materials in der Kunst der 1950er bis 1970er Jahre, Kunstmuseen Krefeld / Kaiser Wilhelm Museum, 2022 (Installationsansicht) © Dirk Rose / Kunstmuseen Krefeld

Sound in der Kunst

Die Kunstmuseen Krefeld sind seit 120 Jahren Ort der Präsentation aktueller Kunst.  An drei Spielstätten, dem Kaiser Wilhelm Museum in der Krefelder Innenstadt und den modernen Villen Haus Lange und Haus Esters im Wohngebiet Bockum bieten sie ein ideales Forum für ein Programm, in dem bildende und angewandte Kunst aufeinandertreffen.

Vom 25.11.2022 bis 26.3.2023 widmete sich das Museum dem unsichtbaren Material Sound in der Kunst der 1950er bis 1970er Jahre eine Ausstellung unter dem Titel On Air. In dieser experimentierfreudigen Zeit werden Grenzen in der Kunst gesprengt und Werkstoffe von Künstler*innen verarbeitet, die bislang im Kunstkontext keine Rolle spielten. Auch Klänge, Töne, Geräusche, Signale und Stimmen werden zum 'handfesten' bildhauerischen Material. Das Hören bereichert nun die sinnliche Wahrnehmung. Ausgehend von der Maschinenplastik, fließt der Sound in Gattungen wie Performance, Installation und Neue Medien ein, die gerade erst Gestalt annehmen. Im Fokus stehen Soundobjekte von Künstler wie Yaakov Agam, Joseph Beuys, Hermann Goepfert, Jannis Kounellis, Bruce Nauman, Robert Rauschenberg, Jean Tinguely, David Tudor, Timm Ulrichs und andere.

Wir sprachen mit der stellvertretenden Dire Kuratorin und stellvertretenden Direktorin und Kuratorin der Ausstellung Frau Dr. Sylvia Martin

Dr. Sylvia Martin, Stadt Krefeld, Presse und Kommunikation

Wie klingt Krefeld und welchen Klang, welcher Klang-Ort Ihrer Stadt ist für Sie ein Kunstwerk?

Der Sound der Stadt Krefeld ist quirlig, in einem angenehmen Klangbereich, manchmal auch ein bisschen erdenschwer. Die Stille in den Gärten von Haus Lange und Haus Esters, der zwei Villen von Ludwig Mies van der Rohe, die wir seit 1955 beziehungsweise seit 1981 als Ausstellungsorte nutzen, ist für mich ein Kunstwerk. Mies van der Rohe hat ja nicht nur die Häuser Ende der 1920er gebaut, sondern auch den Garten gestaltet. Neben Skulpturen von Thomas Schütte oder auch Richard Serra befindet sich seit letztem Jahr auch eine Installation von der amerikanischen Künstlerin Andrea Zittel, die wunderbar zum Verweilen und Zuhören einlädt.

Erstmalig wurde die beeindruckende Sammlung an Soundarbeiten Ihres Hauses in der Ausstellung „ON Air“ einer Öffentlichkeit präsentiert. Sie hatten die Idee. Wie kam es dazu?

Die Idee zur Ausstellung hat sich aus zwei herausragenden Sound-Objekten entwickelt: Einmal eine Soundarbeit von Hermann Goepfert aus den Jahren 1961/62 und eine Arbeit von Takis aus dem Jahr 1966. Der niederländische Künstler Jan Dibbets hatte 1969/70 eine Einzelausstellung im Haus Lange mit dem Titel Audio-Visuelle Dokumentationen. Der Blick auf die eigene Sammlung hatte sich bei mir fokussiert, und es fanden sich immer mehr Werke zur frühen Soundart. Seit 2016, nach der Generalsanierung des Kaiser Wilhelm Museums und unter der Leitung von Katia Baudin arbeiten wir verstärkt mit unseren Sammlungsbeständen und der eigenen Geschichte. Und da wir mittlerweile über 120 Jahre alt sind, kommen da viele unterschiedliche Werke und eine überaus spannende Geschichte zusammen.

Katia Baudin, Sylvia Martin, Thomas Janzen, Magdalena Holzhey, Juliane Duft (v.l.n.r.) © Dirk Jochmann, Stadt Krefeld Presse + Kommunikation

Was ist Klangkunst und wie erklärungsbedürftig ist diese Kunstform?

Klangkunst ist ein sehr allgemeiner Begriff, unter dem sich viele unterschiedliche Formen von Kunst, die mit Sound in Verbindung stehen, verbinden lassen. Man sollte klingenden Kunstwerken mit wachen Augen und Ohren begegnen, denn das, was sie auszeichnet, ist eine Verfeinerung der Wahrnehmung. Im Alltag ist unsere akustische Wahrnehmung stets der visuellen nachgeordnet. Bei einem Soundobjekt wird beides gleichzeitig herausgefordert – das macht es zu einer besonderen Erfahrung.

Es ist in diesem Zusammenhang auch immer vom Museum als Resonanzraum die Rede? Was versteht man darunter und wie haben Sie diesen gefüllt?

Der Resonanzraum im Rahmen der Ausstellung ON AIR bedeutete einen Widerhall aus dem Bereich der Musik. Gerade die Neue Musik, angefangen mit John Cage, hat die Bildende Kunst seit den 1950er Jahren wesentlich geprägt und Impulse gesetzt. So sollte aus der Perspektive der Musik das Räumliche und das Plastische von Tönen, Klängen und Geräuschen die Werke der Bildenden Kunst ergänzen. Die unglaublich lebendige Atmosphäre, das sich gegenseitige Inspirieren und das Miteinander von Musiker:innen und Künstler:innen ist ein zentrales Merkmal der damaligen Kunstszene. Für diesen Resonanzraum haben wir ein Netzwerk an Kooperationen gesponnen. Wir haben mit den Niederrheinischen Sinfonikern ebenso zusammengearbeitet wie mit dem Theater am Marienplatz Krefeld, der Mediothek in Krefeld und dem Musikwissenschaftlichen Institut der Universität Köln. Es war schön zu erleben, wie begeistert alle mitgemacht haben

Portalansicht Kaiser-Wilhelm-Museum

Was setzen Sie der Formulierung und Kunstkritik „Klangkunst legitimiert nicht selten im Namen der Kunstfreiheit Lärm zu machen“ entgegen?

Was ist gegen Lärm zu sagen? Lärm kann ebenso sensibilisieren wie die Stille.

 

Sie präsentieren die Klangkunst der 1950er bis 1970er Jahre in Ihrer Ausstellung? Was war der Stellenwert von Klangkunst in dieser Zeit, was ist seither in dieser Kunstform passiert und welchen Stellenwert hat Klangkunst heute?

Heute ist Sound ein selbstverständlicher Teil in der Kunst von vielen Künstler:innen. Tatsächlich hat die Ausstellung ON AIR, die sich auf dieses spezielle Zeitfenster in der Geschichte der Kunst des 20. Jahrhundert fokussiert hat, gezeigt, dass Sound damals als Material verstanden wurde. Es war die Zeit, als der Kunstbegriff sich enorm ausdehnte und viele Materialien – Luft, Feuer, Asche, Fett – die zuvor nicht im Kunstkontext existierten, zum Werkstoff wurden. Künstler:innen wie auch Musiker:innen entdeckten den Sound der Dinge, die Klänge, die man mit elektronischen Geräten produzieren und reproduzieren kann, und die Geräusche von Maschinen wurden inhaltlich Teil der Arbeiten. Es war eine Zeit des Experimentierens, des Entdeckens, der Überraschungen und der gemeinsamen Arbeit.

Welche neuen Chancen und Räume öffnen die digitalen Welten der Klangkunst und der Präsentation und Vermittlung dieser?

In der Zeit der 1950er bis 1970er Jahre spielt die Digitalisierung natürlich noch keine Rolle. Allerdings ist sie für die Erhaltung von Werken der frühen Soundart und der Präsentation dieser nun mittlerweile über ein halbes Jahrhundert alten Objekte überaus wichtig. Analoge Formate, ob Tonband oder Videoband, werden heute in der Form digitalisiert, dass die Arbeiten überhaupt wieder für die Besucher:innen zugänglich gemacht werden können. Durch die Digitalisierung werden sie erhalten für die Zukunft und auch so aufgearbeitet, dass man sie in einer Ausstellung zeigen kann.

Haus Lange Krefeld Westansicht © Volker Döhne

Klangkunst verursacht Energiekosten. Gab es Diskussionen, ähnlich wie bei der Lichtkunst, die Ausstellung aus Kostengründen und einer gesellschaftlichen Verantwortung nicht zu machen?

Wir haben tatsächlich auch darüber nachgedacht. Jedoch ist der Verbrauch an Strom bei den frühen Soundobjekten eher gering. Zudem sind nur wenige Arbeiten im Dauerbetrieb. Vielmehr aktivieren Besucher:innen zahlreiche Arbeiten selbst, und es entsteht entsprechend nur ein temporärer Stromverbraucht. Kunstwerke, die Strom verbrauchen, gar nicht mehr zu zeigen, wäre ein enormer Verlust. Ein verantwortungsbewusster Umgang sollte jedoch selbstverständlich sein.

Dr. Sylvia Martin – ist seit 2005 stellvertretende Direktorin und Kuratorin an den Kunstmuseen Krefeld. Sie promovierte in Kunstgeschichte an der Universität Köln, absolvierte ein Volontariat am Kunstmuseum Düsseldorf und arbeitete als Kuratorin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am museum kunst palast in Düsseldorf sowie als freie Kuratorin. Zahlreiche Ausstellungen und Publikationen zur zeitgenössischen Kunst sowie Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts, u. a. ON AIR (2022/23), Lehmbruck Kolbe Mies van der Rohe. Künstliche Biotope (2021), Marcel Odenbach (2020), Christian Falsnaes. Force (2018), Ludger Gerdes (2016/2017), Anonyme Skulpturen. Video und Form in der zeitgenössischen Kunst(2010), Allora & Calzadilla (2009), Der große Wurf. Faltungen in der Gegenwartskunst (2008), Video-Art (2006).

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