MK Musik Klima
Deutschlandweit beteiligen sich Schülerinnen und Schüler in großer Zahl an den Fridays-for-Future-Demonstrationen. Die nächste Generation rückt damit die wegweisende Zukunftsfrage unseres Umgangs mit der Klimakrise mit nachvollziehbarer Dringlichkeit ins Zentrum des öffentlichen Bewusstseins. Schule als Ort der Generationenbegegnung und -verantwortung kommt nicht mehr umhin, sich diesem Thema neu zu stellen – auch im Fach Musik. Für den schulischen Musikunterricht stellt sich die Frage, inwieweit dieses Thema einer ganzen Generation auch eine musikpädagogische Auseinandersetzung erfahren kann: Wie lässt sich angesichts dieser immensen Aufgabe Musikunterricht gestalten? Und wie kann gerade musikalisches Gestalten diese existenziellen Phänomene auf besondere Weise erfahrbar machen, darüber hinaus „Design Thinking“ als Gestaltungskompetenz fördern und damit durchaus ganz bewusst „Teil der Lösung“ sein? Welche konkreten Unterrichtsszenarien und/oder Projektarbeiten zum Thema sind denkbar?
Diese und weitere Fragen diskutieren die Initianten in einem hochschulübergreifenden Team. Inspiriert durch Lehrprojekte ist der Wunsch entstanden, die (bis dato) hochschulische Beschäftigung mit der Thematik auf eine größere Zielgruppe auszuweiten, Seminar- und Forschungsergebnisse zu teilen und auch außerhalb des Hochschulbiotops zu einem zukunftsweisenden Musikunterricht beizutragen.
Wir sprachen mit Silke Schmid, Linus Eusterbrock und Jonas Völker.
Wie ist die Idee zu „Musik & Klima“ entstanden, was sind die Ziele und die Vision der Initiative?
Die Idee zu „Musik & Klima“ ist parallel und spannenderweise zunächst unabhängig voneinander an zwei Standorten in Freiburg und Köln entstanden. Ausgangspunkt war jeweils die musikpädagogische Auseinandersetzung mit der Klimakrise im Rahmen von Hochschulseminaren. Dabei wurde uns bewusst, dass die Diskussion zum Thema in unserem Fach noch ganz am Anfang steht – obwohl u.a. die Leitperspektive „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ zentral in den Bildungs- und Lehrplänen der Länder verankert ist. Doch es fehlt einerseits an zentralen Anlaufstellen, um sich einen fachspezifischen Überblick zum Thema „Musik & Klima“ zu verschaffen, und andererseits an geeigneten Konzepten, um dieses Zukunftsthema dann auch tatsächlich in der Praxis umzusetzen. Deshalb möchten wir die lebendige Diskussion zu diesem Thema aufgreifen und u.a. Konzepte für den Musikunterricht entwickeln und erproben.
Wir haben uns angesichts der krisenhaften Dringlichkeit (siehe neuer IPCC-Bericht) gefragt, wie es gelingen kann, die hochschulische Beschäftigung mit der Thematik einer größeren Zielgruppe zur Verfügung zu stellen, Seminar- und Forschungsergebnisse zu teilen und auch außerhalb des Hochschul-Biotops zu einem zukunftsweisenden Musikleben beizutragen. Daraus ist die Idee erwachsen, ein Online-Themenportal zu entwickeln, das dazu einlädt, über Klimafragen in der Musik und im Speziellen im Musikunterricht nachzudenken. Unsere Vision ist, mit „Musik & Klima“ eine Plattform zu etablieren, auf der Überlegungen, Konzepte, Initiativen und Veranstaltungen geteilt werden sowie Austausch und Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Akteurinnen und Akteuren über geografische Grenzen hinweg möglich ist. Wir laden alle interessierten Leser:innen ein, mit uns in Kontakt zu treten und gemeinsam die musikbezogene Auseinandersetzung mit der Klimakrise mitzugestalten und voranzubringen.
Was kann ein Festival, eine Kultureinrichtung konkret tun? Was wären erste Schritte?
Der erste und einfachste Schritt ist, sich gleich bei Planungsbeginn eine Checkliste herunterzuladen, die einem die Planung ganz konkret erleichtert. Davon gibt es inzwischen einige – in einem unserer Seminare haben Studierende bspw. einen übersichtlichen Leitfaden für klimafreundliche Veranstaltungen im Schulkontext erarbeitet. Die aufgeführten Punkte reichen von Catering (lokal & vegan ist oft extrem lecker) und der Frage der Müllvermeidung bis zur Kooperation mit dem Nahverkehr – denn allein die Anreise ist ja (sowohl für die Musiker:innen als auch das Publikum) ein großes Thema. Immer mehr Festivals reflektieren das.
Entscheidend ist auch, sich bewusst zu sein, dass jede Kultureinrichtung Multiplikatorin und Sprachrohr einer nachhaltigen, zukunftsfähigen Philosophie ist. Die Klimakrise ist gerade auch eine kulturelle Krise! Das heißt, Kulturwandel findet an vorderster Front bei Kulturschaffenden statt. Den ökologischen Fußabdruck anzuschauen ist dabei gut, aber spannend ist auch das Konzept des ökologischen Handabdrucks: Da geht es viel stärker um Positivbeispiele.
Fest steht, dass die Kunst- und Kulturbranche besondere Potenziale hat: “Art can be seen as an activity that aims to critically observe and change our situation and fixed ideas about reality” (Teachers Climate Guide). Hier anzusetzen, den „Möglichkeitssinn“, dieses „was wäre, wenn“ bei Menschen zu stärken, ist eine Aufgabe gerade von Kultureinrichtungen.
Wie können schulischer Musikunterricht, musikpädagogische Angebote der Kulturveranstalter, Nachwuchsförderung und Workshops das Thema Klima aktiv einbinden?
Bislang fehlt es in der deutschsprachigen Musikpädagogik noch an Konzepten und Materialien, die das Thema „Musik & Klima“ wirklich gezielt in den Blick nehmen. Gleichzeitig beobachten wir, dass an verschiedensten Standorten Lehrveranstaltungen durchgeführt werden, die einen Umgang mit der Klimakrise auf vielfältige Art und Weise reflektieren. In Freiburg haben z. B. bereits zwei Seminare in einer Kooperation von Musikhochschule und Pädagogischer Hochschule stattgefunden, das eine davon war als Barcamp organisiert – Studierende sollten die Möglichkeit haben, ihre eigenen Themen zu setzen. Sie haben bspw. eigene Klimasongs geschrieben oder Smetanas Moldau umkomponiert, wo sich die heutige, zum Teil sogar versiegte Moldau dann im Projekt „Moldaufikation“ (leider) ganz anders anhört. An der Uni Köln haben zwei Seminare stattgefunden, in denen Studierende ebenfalls eigene klimabezogene Projekte entworfen und durchgeführt haben, vom feministischen Klima-Musical über Videocasts für die Kita zum Thema Recycling bis hin zur kollektiven Improvisation mit Singvögeln. Wichtig ist uns, die verschiedenen Initiativen und Erfahrungen zu vernetzen, um gemeinsam voneinander zu lernen und zu profitieren.
Denn es gibt bereits zahlreiche Anknüpfungspunkte zwischen „der“ Musik und Klimafragen. Dies zeigt uns nicht zuletzt die künstlerische Praxis. Allein die große Anzahl an Klimasongs oder die zentrale Rolle, die Musik z. B. bei der Fridays-for-Future-Bewegung einnimmt, machen deutlich, dass Musik einen einzigartigen Zugang für gesellschaftlich relevante Fragen bereithält. In einem pädagogischen Setting ließen sich bspw. eigene Protestsongs schreiben oder auch Klangumgebungen schaffen, die die aktuelle akustische Umwelt zunächst beschreiben und in einem nächsten Schritt das utopische Potenzial von Musik nutzen, um Zukunft aktiv (um-) zu gestalten: Wie sehen die Soundscapes der Zukunft aus? Da gibt es viele kreative Zugänge, von Soundwalks bis zu Klanginstallationen aller Art.
Ein künstlerisch und pädagogisch spannendes musikalisches Format bietet außerdem die Sonifikation: Sie macht Klimadaten als Klangereignisse hörbar. Diese unmittelbare, sinnliche Erfahrung von abstrakten Daten eröffnet definitiv neue Erfahrungshorizonte: Stell dir vor, du hast ein musikalisches Produkt und veränderst entscheidende Parameter wie Tempo, Tonhöhe oder Lautstärke abhängig von sich verändernden Klimadaten. Das ist eindrücklich und geht wohl in den meisten Fällen tiefer als das Ansehen von Schaubildern – die entsprechenden, warnenden Grafiken und Texte kennen wir seit Jahrzehnten, sie waren bislang jedoch wohl nicht eindrücklich genug. Musik geht auf eine andere Ebene und schärft die Wahrnehmung ebenso wie unser Bewusstsein für die kreative Gestaltungskraft des Menschen.
Was bietet „Musik & Klima“ konkret an und wie kann man sich mit Ihnen vernetzen?
Unsere Homepage bietet eine Sammlung an Überlegungen, Materialien und Links, u.a.
spannende, informative Texte, die das Thema adressieren, Konzepte und Materialien für den musikpädagogischen Umgang mit der Klimakrise, einen Überblick über musikalisch-künstlerische Aktivitäten und Auseinandersetzungen mit der Klimakrise und viele Links zu tollen Initiativen, Neuigkeiten und Veranstaltungen zum Thema. Zudem gibt es Vernetzungsmöglichkeiten mit unterschiedlichen Akteur:innen.
Wichtig ist uns, dass möglichst viele, die in dem Bereich aktiv sind, voneinander wissen und sich austauschen können. Viel zu oft arbeitet man nebeneinanderher und erfindet das Rad neu. Mit Blick darauf, dass die Zeit uns gerade davonläuft, sollten wir unsere Kräfte möglichst bündeln. Demnächst wird es daher die Möglichkeit geben, aktiv an der Diskussion mitzuwirken und eigene Ideen und Überlegungen auf unserem Blog zu teilen und zu kommentieren. Man kann aber auch ganz einfach via E-Mail mit uns in Verbindung treten, wir freuen uns über jede und jeden, die Ideen einbringen oder uns auf dem Laufenden halten.