Digitale Poesie: The Human Touch
Den Anfang macht der Komponist und Pianist Ralf Schmid, der bereits bei den vergangenen beiden Festivals mit seinem Programm PYANOOK zu Gast war und nun mit der Komposition eines Klavierkonzerts beauftragt wurde. Die Produktion „Digitale Poesie: The Human Touch“ knüpft an den Programmschwerpunkt der Vorjahre an, in denen auf dem Festival die Frage nach einer neuen Ästhetik des Digitalen diskutiert wurde. Interpret*innen von „The Human Touch“ sind neben Ralf Schmid selbst an Electronics und zwei Pianos das norwegische Vokalensemble Trondheim Voices und das schwedische o/modernt Kammerorkestar unter Leitung von Hugo Ticcitai als Ensembles in Residence.
Ralf Schmid hat eine einzigartige Art zu musizieren entwickelt: Er trägt Sensorhandschuhe, sogenannte „Wearables“, mit denen er musikalische Signale und Effekte scheinbar nur durch die Bewegung seiner Hände ansteuern kann. Auch die Trondheim Voices experimentieren seit einiger Zeit mit technologischen Entwicklungen, die es ihnen ermöglichen, sich frei im Raum zu bewegen und dabei ihre Stimmen selbst durch Effekte zu verfremden: die sogenannten „Maccatrols“ wurden von dem Sound Designer Asle Karstad speziell für die Sängerinnen des Vokalensembles entwickelt. Es sind drahtlose Effektgeräte, die sie an ihren Handgelenken tragen und die ihnen individuelle Kontrolle über ihre Stimmgestaltung geben.
Diese Entwicklungen markieren einen musikalischen Evolutionsschritt vom elektronischen zum digitalen Musizieren. Die elektronische Verstärkung von Musikinstrumenten und Stimme bedeutete zunächst eine stärkere Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Musiker*innen. Digitale Mittel können diese Gebundenheit wieder auflösen. Ein*e Pianist*in hingegen ist schon wegen der massiven Körperlichkeit seines/ihres Instruments auf einen Platz auf der Bühne festgelegt. Die Sensortechnologie ermöglicht nun auch das vollkommen berührungsfreie Spielen dieses Instruments.
Die Produktion „The Human Touch“ experimentiert mit der Befreiung des Klangs von seiner Klangquelle und der Befreiung der Interpretierenden vom Kontakt mit ihren Instrumenten. In der dreidimensionalen Klang-Raum-Installation „The Human Touch“ wandern Klänge wie auch Interpret*innen frei durch den Raum. Neben den Trondheim Voices und Ralf Schmid als Solist werden auch die Streicher*innen des o/modernt Kammerorkestars so auf eine Entdeckungsreise im Umgang mit ihren Instrumenten und Klängen geschickt, deren Ausgang ungewiss ist.
Dabei stellt sich unweigerlich die Frage nach der physischen Qualität, nach der schieren Körperlichkeit des Musizierens. Und danach, welche Rolle die Physis des Musikmachens bei der Rettung der Poesie im Digitalen spielt. „The Human Touch“ wird so auch zum Spiel mit den Kategorien Klang, Klangkörper, Bewegung – und zu einer Expedition zwischen den Polen Abstand und Nähe. Die Uraufführung eröffnet am 14. Januar 2022 im Theater WERK 7 das Festival Out Of The Box.
“Digitale Poesie: The Human Touch” ist eine Koproduktion mit dem Meta Theater.
Interview mit Ralf Schmid
Für das Out oft the Box Festival in München realisieren Sie eine Auftragskomposition, für welche Sie Ihre ganze Kreativität und Erfahrung als technikaffiner Musiker und Komponist in die Waagschale werfen. „Digitale Poesie: The Human Touch“ heißt das Werk. Erzählen Sie uns davon?
„The Human Touch“, eine Art Klavierkonzert für PYANOOK, Vokalensemble und Kammerorchester, experimentiert mit der Befreiung des Klangs von seiner Klangquelle und der Befreiung des Interpreten vom Kontakt mit dem Instrument. „The Human Touch“ ist eine dreidimensionale Klang-Raum-Installation, in der Klänge wie auch Interpret:innen frei durch den Raum wandern.
Sie arbeiten mit den Trondheim Voices aus Norwegen und dem o/modernt Kammerorkester aus Schweden zusammen. Wie sucht, findet und organisiert man sich für solch ein Projekt?
Die Ensembles hat die großartige Festival-Leiterin Martina Taubenberger ausgesucht und damit zwei innovationsaffine Klangkörper gefunden.
Ralf Schmid © Gregor Hohenberg
Die Aufgabenstellung an die Komposition ist, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie wir uns dennoch berühren können, wenn Nähe womöglich gefährlich wird, oder wie Trennungen zwar Abstand zwischen uns, aber auch neue Räumen schaffen, in die wir vordringen können. Wie sind Sie da rangegangen? Nähe und Abstand sind ganz individuelle Empfindungen, wie setzt man dies musikalisch um?
Nähe und Abstand werden durch Bewegung generiert und dynamisiert. Meine Komposition thematisiert Bewegung in vielen Dimensionen. Klänge werden durch (Hand-)Bewegungen durch den Raum bewegt, wir arbeiten mit einem mehrkanaligen immersiven Lautsprechersystem. Die Partitur ist teils strikt festgelegt, teils beweglich und flexibel. Und natürlich bietet „wireless technology“ den Akteur:innen Beweglichkeit im Raum, was wir im Werk 7 in München auch ausnutzen werden.
Sie hatten die Premiere schon vor Augen, als das Festival pandemiebedingt von Januar auf den Sommer verlegt wurde. Dann sind Sie selbst an Corona erkrankt und mussten in persönlicher Erfahrung und Erleben in Distanz sein. Inzwischen stecken wir inmitten des Ukraine-Krieges. Hat sich „The Human Touch“ dadurch nochmals verändert?
An der Partitur kann ich nichts mehr ändern, die ist seit November abgegeben (da ja im Januar die Premiere geplant war). Aber für die freieren Teile entwickeln sich ständig neue Ideen. Meine eigene Corona-Erfahrung spielt da ehrlich gesagt nicht rein. Ich bin trotzdem froh, dass ich es jetzt hatte, dann muss ich keine Bedenken haben, dass es mich in den nächsten Monaten erwischt, in denen so viele Konzerte und Aufnahmen stattfinden.
What is next Ralf Schmid?
Ein neues PYANOOK-Album für das Berliner Label Neue Meister, das im November erscheint. Dazulernen über Künstliche Intelligenz und Musik. Brote backen und meditieren.