Dieter Richter © Thilo Beu www.thilo-beu.de

Ein Leben für die Bühne
Eine Begegnung mit dem Kölner Bühnenbildner Dieter Richter

Der Vorhang lüftet sich. Das Publikum wirft einen ersten scheuen, hastigen, scannenden Blick über das Bühnenbild, bringt es mit dem Inhalt des Stücks, den Protagonisten und der Musik in Einklang oder stellt dieses zur inneren Diskussion und macht sich ein erstes Bild. Schaffen es der Regisseur, die Schauspieler, die Musiker und natürlich der Bühnenbildner den Wörtern, Figuren, Gefühlen, Gedanken und Bildern einen halbwegs festen Ort einzurichten, in dem sich der Zuschauer wieder findet, sich treiben lassen kann. Am Anfang war wie bei jedem Stück die leere Bühne. So auch bei Lohengrin an der Deutschen Oper am Rhein in einer Inszenierung von Sabine Hartmannshenn, für die der freischaffende Bühnenbildner Dieter Richter aus Köln das Bühnenbild gemacht hat.

© Helmuth Scham | www.schampus.com

Es ist spät geworden gestern. Wir treffen uns erstmals im Foyer der Deutschen Oper am Rhein. Ein Tag vor der Premiere von Lohengrin von Richard Wagner. Nicht sein erstes Bühnenbild in Düsseldorf und sicher nicht sein letztes. Dieter Richter ist gefragt als Bühnenbildner. Othello in Nürnberg und Bordeaux. Lohengrin in Düsseldorf und Aida in Bonn. Weitere Projekte in Planung. Die Anspannung ist ihm nicht anzumerken. Die Generalprobe ist gut gelaufen mit ihren Abläufen, dem Licht und seinem Bühnenbild, das er mir am Schluss unseres Gesprächs mit Leidenschaft zeigt, erklärt und mit Musik und Leben erfüllt. Die Kritik an der Inszenierung ist ein paar Tage später wieder mal gespalten, da steckt Dieter Richter bereits tief in seiner Bonner Aida, die er mit Dietrich Hilsdorf in Szene setzt. Ihre Wege haben sich vor mehr als 30 Jahren in Ulm gekreuzt, wo Hilsdorf Oberspielleiter am Ulmer Theater war und Dieter Richter ein Theater-infizierter Schüler und Zuschauer war. Schon früh wusste er, was er machen, mit was er sich beschäftigen, dass er gestalten, in Szene setzen will. An Spannung hat es nie verloren, das Theater, die Bühne und das Bauen von Räumen und Illusionen auf Zeit.

Wie war die Premiere von Lohengrin?

Vor einer viereinhalb Stunden dauernden Oper ist die Anspannung hinter der Bühne für alle Beteiligten natürlich extrem hoch, eine fast fiebrige Konzentration vor dem Moment, in dem man sich mit seiner Interpretation des Werkes dem Publikum stellt. Ich bin bei meinen Premieren nie im Zuschauerraum, höre dann erst nach der Vorstellung, wie reagiert wurde. Bei Lohengrin, so wurde mir erzählt, haben sich die Zuschauer mit hoher Konzentration auf die Inszenierung eingelassen, und am Ende, als wir nach diesem Mammut-Werk auf der Bühne standen, gab es viel Beifall, aber auch Buhs. Nicht jeder hat unsere Deutung akzeptiert. Aber bei einem Stück, das das Frageverbot zum Leitmotiv erklärt, dürfen und müssen auch Fragen im Raum stehen bleiben können.

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Wie wichtig ist Ihnen Kritik im Feuilleton?

Gute Kritiken höre ich lieber als schlechte... Vor allem am Tag nach der Premiere, wenn man noch etwas dünnhäutig ist. Aber mal im Ernst: Wer sich künstlerisch öffentlich äußert, macht sich angreifbar. Das Theater ist kein Streichelzoo. Da es ja um eine persönliche Auseinandersetzung mit einem schon bestehenden Kunstwerk geht, die man dem Publikum in der gewählten Interpretation so nah wie möglich bringen möchte, ist natürlich jede Kritik, in der man sich verstanden fühlt, etwas Schönes, Starkes. Aber da es zu ein und derselben Inszenierung oft völlig konträre Kritiken gibt, Hymnen und Verrisse, hat es ja auch etwas mit der Subjektivität von Rezipienten bzw. Kritikern zu tun. Natürlich tut eine schlechte Kritik auch weh, aber wenn man sieht, dass der Kritiker sich ernsthaft und fair mit dem Abend auseinandergesetzt hat und seine negative Kritik fundiert ist, kann man damit konstruktiv umgehen, vielleicht sogar selbst nochmal die eine oder andere Idee hinterfragen. Übel wird es dann, wenn die Kritik plakativ schlecht oder nur reißerisch und in der Hauptsache rein destruktiv ist. Manchmal kommt es sogar vor, dass ein Kritiker etwas deutet, was ich so ursprünglich gar nicht beabsichtigt hatte. Dann freut es mich, dass Assoziationsketten in Gang gesetzt wurden.

Während der Premieren gehen Sie schwimmen? Warum?

Banal gesagt: Um während der Aufführung meinem Sitznachbarn nicht ständig in den Arm zu beißen: Wenn man wochenlang um die Optimierung von technischen Abläufen gekämpft und jede einzelne Lichtstimmung festgelegt hat, weiß man, was alles schief gehen kann. Das eventuell während der Premiere erleben zu müssen (oft geht es um Kleinigkeiten, die dem Publikum meist gar nicht bewusst auffallen, wie Wände, die sich nicht punktgenau mit der Musik schließen), halte ich nicht entspannt aus. Auch hinter der Bühne wäre ich nicht wirklich Ruhe stiftend, denn dort bekommt man den Stress noch unmittelbarer mit. Und ich möchte meinem Technik-Team dann auch vertrauen können. Wenn es die Stücklänge erlaubt, entferne ich mich daher gerne vom Theater sobald die ersten Takte erklungen sind, und streife mit dem Schwimmen einen Teil der Anspannung ab. Zum Schlussapplaus bin ich dann selbstverständlich wieder da, um mich dem Publikum mit seinen Reaktionen zu stellen.

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Bühnenbildner Ihr Traumberuf? Was war die Initialzündung für den Beruf?

Ich empfinde die Arbeit als Bühnenbildner als ein großes Privileg, da sie so facettenreich ist und so viele verschiedene Bereiche vereint: theoretische, abstrakte Bereiche wie Kunst, Sprache, Musik mit den konkreten Bereichen wie die enge Zusammenarbeit mit den Theaterwerkstätten, in denen meine Bühnenbild-Ideen, meine Modellvorgaben, meine Zeichnungen umgesetzt werden. Ich liebe die Zeit, die man bei der Entwicklung des Bühnenbildes mit Büchern, Sekundärliteratur, Filmen und langen Diskussionen mit dem Regisseur verbringt. Aber ich schätze auch den Kontakt mit den Mitarbeitern der Werkstätten, den Theatermalern, Schreinern, Schlossern, Bildhauern. Mir ist wichtig, auch sie in die tieferen Schichten der Bühnenbildkonzeption mitzunehmen. Ich habe schon als Schüler in einer Theatergruppe mitgespielt und meine große Leidenschaft für das Schauspiel entdeckt. Außerdem habe ich gezeichnet, gemalt, photographiert und mit Skulpturen experimentiert. „Bühnenbild“ schien mir dann eine schöne Symbiose zwischen darstellender Kunst und bildender Kunst zu sein.

Wie wird man Bühnenbildner?

Meistens studiert man Bühnenbild an einer Kunstakademie. Ich habe neun Semester Bühnenund Kostümbild an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst MOZARTEUM in Salzburg studiert. Seinen eigenen Stil zu entwickeln, die eigene Professionalisierung findet dann mit Assistenzen bei praktizierenden Bühnenbildnern statt. Es ist dann aber durchaus sinnvoll, auch eine Zeitlang (nicht zu lange) an einem kleineren oder mittleren Haus als fester Bühnenbildner zu arbeiten, die Abläufe in einem Theater hautnah mitzubekommen, sich an den unterschiedlichsten Genres auszuprobieren, nicht selten unter hohem Zeitdruck und mit heftigen Arbeitszeiten (von 9 Uhr morgens in den Werkstätten bis 23 Uhr abends nach Probenende). Dann sollte man aber den richtigen Zeitpunkt finden, um sich auf die freie Wildbahn zu begeben.

Was hat sich in den letzten 20 Jahren im Berufsbild

Bühnenbildner, in der handwerklichen Tätigkeit in den technischen Möglichkeiten verändert? Die eigentliche Entwurfsarbeit hat sich für mich durch neue Technologien nicht wirklich verändert, auch wenn ich früher tatsächlich noch viel am klassischen Zeichenbrett stand, was heute undenkbar geworden ist. Ich entwerfe nach wie vor mit Stift und Skizzenblock und baue Modelle. Die Konstrukteure an den Theatern setzen dies inzwischen natürlich in 3D-Modelle um, nach denen die Werkstätten arbeiten können. Vermutlich werden meine jüngeren Kollegen auch schon in der Entwurfsphase am Rechner sitzen und vielleicht schon anhand von 3D-Animationen entwerfen.

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Wie wichtig ist das Bühnenbild für eine Inszenierung, für den Erfolg einer Inszenierung?

Die Entwicklung des Bühnenbildes entsteht ja immer in enger Zusammenarbeit mit dem Regisseur. Auch für ihn ist die Auseinandersetzung mit dem Bühnenraum, die lange vor Probenbeginn erfolgen muss, oft der Beginn der intensiven Arbeit am Stück. Deswegen ist die richtige Partnerwahl hier entscheidend. Man inspiriert und befruchtet sich gegenseitig. Das Bühnenbild stellt dann auch Weichen für die spätere Inszenierung. Am Ende muss ein Gesamtkunstwerk entstehen, das auf allen Ebenen wirken soll. Der Bühnenraum muss, ebenso wie die Kostüme, dramaturgisch, psychologisch und nicht zuletzt, zumindest in der Oper, auch akustisch funktionieren.

Wie entsteht ein Bühnenbild *? Wie ist das Herantasten, das Hineinhören, Hineinleben und Ideen, Bilder entwickeln?

Ein Bühnenbild entsteht durch das intensive Kennenlernen des Stückes. Im Musiktheater durch das immer wieder neue Anhören der Oper, durch das genaue Lesen des Librettos und seiner Originalvorlage (Shakespeares Stücke bei Verdi, etc.). Ich arbeite seit vielen Jahren mit Dietrich Hilsdorf zusammen, dessen Schauspielinszenierungen mich schon in jungen Jahren geprägt haben, und wir verbringen oft Nächte damit, die Musik zu hören und uns die Original-Theaterstücke laut vorzulesen. Dadurch entstehen für mich die ersten Assoziationsketten und visuellen Konzepte. Dann arbeite ich mich in die Sekundärliteratur ein, die mich zum Beispiel die Entstehungszeit des Stückes, die gesellschaftliche Situation und die Vita des Komponisten erschließen lässt. In dieser Phase finden dann auch immer wieder Treffen mit Regie, Dirigat, Dramaturgie und Kostüm statt. Ein immer wieder neues „brainstorming“. Dann folgen erste Skizzen und Modellentwürfe, die wir gemeinsam diskutieren, bis dann der fertige Entwurf steht.

Woher nehmen Sie die Inspiration, Ideen und Visionen?

Ich versuche mit großen, offenen Augen durch die Welt zu gehen, lasse mich von alltäglichen, visuell spannenden Situationen inspirieren, beobachte, wie Menschen sich in Räumen verhalten, wie Kunst, Architektur und Fotografie wirken. Hoch aufgeladene Räume wie Kirchen, Klöster, Industriebrachen üben oft einen ganz besonderen Reiz auf mich aus. Der Zerfall, das Provisorium, die völlig neue Nutzung alter Gebäude finde ich immer wieder hochspannend. Eine Kirche in Südfrankreich, die nach der französischen Revolution zum Weinkeller umfunktioniert wurde, eine Maschinenhalle, die zum Ausstellungsraum für moderne Photographie geworden ist...

Gibt es Bilder im Kopf, die sich nicht bauen lassen?  Werke, die man nicht umgesetzt bekommt, Inszenierungen, die an der Chemie zwischen Regisseur und Bühnenbildern krampfen. Gibt es ein Scheitern? Gehört dies dazu?

Natürlich möchte die Phantasie oft mehr als die Statik erlaubt. Ich muss mich sehr früh in der Entwurfsphase auch mit den realen Möglichkeiten des jeweiligen Theaters auseinandersetzen. Wenn eine Bühne in einem Opernhaus keine oder nur eine kleine oder voll gestellte Hinter- oder Seitenbühne hat, kann ich bestimmte Verwandlungen einfach nicht verlangen. Ich bin allerdings inzwischen schon dafür bekannt, dass ich Häuser manchmal an ihre Grenzen bringe. Wenn sich das gut begründen lässt und ein Haus zu Hochleistungen motiviert, sind aber am Ende alle glücklich, auch die Bühnentechniker, die Großes geleistet haben. Ich habe inzwischen über 100 Bühnenbilder entworfen, mit zum Teil sehr unterschiedlichen Regieteams. Natürlich gibt es neben dream teams auch Partnerschaften, die suboptimal verlaufen oder bei denen man feststellt, dass man ästhetisch auf Dauer nicht zusammenbleiben kann. Wenn die ersten Treffen konstruktiv sind und man sich schätzt, ist es aber immer einen Versuch wert. Da wir ja immer „Einzelstücke“ produzieren und gemeinsam ein Risiko eingehen, für das es nie eine Erfolgsgarantie gibt, kann auch das Scheitern nie hundertprozentig ausgeschlossen werden.

Was haben Sie noch nicht gemacht, was, wie und wo möchten Sie noch unbedingt etwas realisieren?

Es gibt natürlich Theaterstücke und Opern, für die ich gerne noch Bühnenräume entwickeln würde. Mir hat auch die Auseinandersetzung mit Opern, die in Deutschland noch nie oder selten aufgeführt wurden, wie Peter Eötvös’ LOVE AND OTHER DEMONS, Azio Corghis SENJA, Manfred Trojahns LA GRANDE MAGIA oder Hans Werner Henzes PHAEDRA viel Spaß gemacht, weil man selbst, aber auch die Zuschauer, Neuland betritt, ohne den Ballast der Voreingenommenheit. Und ich fände es spannend, immer mal wieder auch im Ausland zu arbeiten. Das Schöne am Opernbetrieb ist ja auch seine Internationalität. Dieses Jahr habe ich die Bühne für eine Koproduktion zwischen Nürnberg und Bordeaux entworfen. Das Bühnenbild wurde in Frankreich gebaut und ich habe die Zusammenarbeit mit den französischen Teamkollegen und Werkstätten sehr genossen. Jedes Land hat ja auch wieder seine eigene kulturelle Prägung, die ich als sehr bereichernd empfinde. Vielleicht kommt im nächsten Jahr noch ein weiteres schönes französisches Opernhaus dazu...

Das Gespräch fand im Frühjahr 2014, zwei Tage nach der Premiere von Lohengrin statt.
Die Fragen stellte Kai Geiger.

Bühnenbild AIDA

Bühnenbild DER FLIEGENDE HOLLÄNDER

Bühnenbild LA GRANDE MAGIA

Bühnenbild OTELLO, Bonn

Bühnenbild OTELLO, Nürnberg

Bühnenbild PEER GYNT, Bonn

Bühnenbild PIQUE DAME, Gelsenkirchen

Bühnenbild RUSALKA