Stuttgart
Das Ensemble Materialtheater
Amüsant.Politisch.Komisch.

Ein politischer Theateransatz, Humor, Ironie, Internationalität und die Lust zur Auseinandersetzung mit immer neuen ästhetischen Herausforderungen und künstlerischen Partnern zeichnen die Arbeiten des Ensemble Materialtheater aus, dessen Kern aus den Figuren- und Schauspielerinnen Sigrun Kilger und Annette Scheibler und dem Regisseur und Schauspieler Alberto García Sánchez besteht.

Wir trafen Sigrun Kilger im Theater Stadelhofen in Zürich zum Gespräch, wo das Ensemble Materialtheater mit den Stücken „Frauen lügen aus ihrem Leben“ und dem Kinderstück „Traumkreuzung“ zu Gast war.

Was bedeutet Figurentheater und wie kamen Sie dazu?

Eigentlich ist das Figurentheater mir zugefallen. Kurz nach der Schule hörte ich von der Gründung eines ‚Studiengang Figurentheater‘ an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart. Das war die Initialzündung. Dieser Studiengang versprach eine Theaterform, in der sich bildnerisches Gestalten und darstellendes Spiel miteinander verbinden und war genau das, was ich gesucht hatte – ein künstlerischer Beruf!

Gab es Inspirationsquellen für die Entscheidung diesen Berufsweg einzuschlagen, wie z.B. die Augsburger Puppenkiste, die »Helden unserer Jugend«?

Obwohl ich die ‚Augsburger Puppenkiste‘ als Kind geliebt habe und vielleicht auch das eine oder andere Kasperltheater gesehen hatte, habe ich ‚Figurentheater‘ nie mit diesen Kindheitserlebnissen in Verbindung gebracht. Was mich reizte war eine neue, sehr bildhafte Darstellungsform und die Suche nach Ausdrucksmitteln jenseits des Schauspiels, die vielleicht auch Motor des modernen Tanztheaters war.

Was ist die Faszination am Puppenspiel, am Figurentheater?

Was ist so faszinierend? Puppen oder Figuren sind Archetypen. Sie sind in allem extrem: sie sind unerschrocken, aufmüpfig, frech, feige und vor allem unsterblich auf der Bühne. Sie sind bildgewordenes Gefühl, sprechen Wahrheiten aus, die wir nicht so leicht über die Lippen bekommen und halten uns, wie alle guten Buffons den Spiegel vor. Das Puppenspiel oder Figurentheater ist eine große Herausforderung an meine darstellerischen Fähigkeiten. Zum einen bin ich selbst da als Spielerin, aber gleichzeitig ist da dieses Stück Materie, ein Ding, eine Puppe, die ein Eigenleben besitzt, das ich aus ihr herauslocken möchte. Puppen sind manchmal ganz schön widerspenstig, sie lassen sich nicht vergewaltigen. Sie fordern von mir als Spielerin, dass ich ihren Charakter, manche nennen es auch ihre „Seele“ respektiere und dann spielt die Puppe selbt und macht uns vergessen, dass sie nur tote Materie ist.

Sie haben Figurentheater studiert. Wie muss man sich das Studium vorstellen?

Unser Studium war ein Projektstudium. Wir waren die ersten 8 StudentInnnen des Studiengang Figurentheater und hatten das Glück, in einer fast leeren Fabrikhalle von 800 m², uns sehr frei dem künstlerischen Experiment widmen zu dürfen. Als Dozenten hatten wir sehr unterschiedliche, internationale Theaterleute, die uns mit ihrer Arbeit angeregt und herausgefordert haben. Vom traditionellen Handpuppenspiel bis hin zum politischen Straßentheater, bekamen wir einen Eindruck von der Bandbreite und Brisanz, dieser sich neu entwickelnden Theaterform.

Wie entstand das Materialtheater und wer und was ist das Materialtheater?

Wir waren fasziniert von der Möglichkeit, mit leblosen Dingen und Material Geschichten zu erzählen – daher der Name ‚Materialtheater‘. 1987 aus dem Studiengang Figurentheater hervorgegangen, waren wir am Anfang als Duo Sigrun Kilger und Hartmut Liebsch unterwegs. Von Beginn an, haben wir jedoch den Austausch mit anderen Künstlern und Kunstformen gesucht. Heute sind wir ein festes Ensemble, im Kern bestehend aus den Puppen- und Schauspielerinnen Sigrun Kilger, Annette Scheibler, dem Autor, Schauspieler und Regisseur Alberto García Sánchez, dem Musiker Daniel Kartmann und dem Bühnenbildner Luigi Consalvo. Mittlerweile arbeiten wir in einem Netzwerk von Künstlern aus verschiedenen Ländern und Kontinenten, in manchen Produktionen sind bis zu 13 Menschen auf der Bühne - ganz zu schweigen von den vielen Puppen!

Wie arbeitet das Materialtheater und was zeichnet Ihre Arbeit aus?

Wir sind Autoren unserer Stücke. Jede Produktion ist ein Wagnis, ein Forschungsprozess, in dem wir uns mit gesellschaftspolitisch relevanten Inhalten beschäftigen und dafür eine entsprechende starke Bildsprache suchen. Angesichts unserer Welt, die aus den Fugen gerät, ist es immer wieder das Clowneske, das Närrische, auf das wir zurückkommen. Humor als Überlebenselixier, als widerspenstiges, anarchisches Element, das sich dem Konformismus entgegensetzt. Unsere Figuren sind von daher eher Antihelden, Wiederaufstehmädchen und –männchen im Kampf mit der Tücke des Objektes als Ausdruck ihres persönlichen Kampfes gegen die „unfreundliche“ Welt.

Sie treten international auf. Sie gastieren auf Festivals in ganz Europa, waren in Afrika und Amerika und hatten im März 2015 einen begeisternden Auftritt bei den 9th Izmir International Puppet Days in Izmir auf Einladung des Goethe Instituts. Spricht Figurentheater eine internationale Sprache oder wie bereitet man sich vor, wenn man in Afrika auftritt?

Es gibt eine visuelle Sprache, die funktioniert international. Auch einen Humor, der ohne Worte auskommt und überall verstanden wird. In unseren letzten Produktionen spielt allerdings auch der Text und die Sprache eine wichtige Rolle. Deshalb gibt es einige unserer Inszenierungen in französischer, italienischer, spanischer, englischer (und türkischer!) Version. Das hat uns viele Türen geöffnet...

Sie arbeiten seit 28 Jahren als freie Figuren-Theatermacherin. Eine stolze Bilanz und sicher nicht immer einfach? Wie lebt es sich mit dem ständigen Kampf sich selbst, das Ensemble und die Projekte zu finanzieren?

Wenn man über dreißig Jahre künstlerisch tätig ist, besteht die große Herausforderung darin, sich nicht zu wiederholen, keine Schubladen aufzuziehen, an Altbewährtem kleben zu bleiben, sondern sich immer neu zu erfinden. Die freie Arbeit ist natürlich auch geprägt von Existenzsorgen und wir fragen uns, welchen Stellenwert unsere Kunstform in Zukunft haben wird. Bisher hat unsere Arbeit sehr viel Bestätigung erfahren. Nicht nur durch den Zuspruch von Publikum und Presse, sondern auch durch öffentliche Förderung. Ohne letztere allerdings ist ein Ensemble nicht zu halten.

Was treibt Sie um?

Die Zukunft unserer Gesellschaft, die Arbeit mit und für Kinder. Die Frage nach Gerechtigkeit in unserer Welt. Ich glaube daran, dass unser kapitalistisches System nicht ewig bestehen wird und ich würde die Anfänge einer neuen Zeit gerne noch erleben wollen.

Sie haben gerade erneut Konzeptionsförderung der Stadt Stuttgart und des Landes Baden-Württemberg für ein Projekt mit dem Titel „Heimweh nach der Zukunft“ erhalten. Was verbirgt sich dahinter?

‚Heimweh nach der Zukunft‘ ist ein Zyklus von vier Inszenierungen zum Thema Utopie und Aubruch zu unbekannten Inseln, den wir in den nächsten drei Jahren realisieren wollen: DER FRIEDHOF ist eine musikalische Parabel über unser Land, in dem die Toten besser leben als die Lebenden, eine Auftragsproduktion für das Festival Blickwechsel Magdeburg 2016*. KINO Im KOPF – Zehn Künstler aus unterschiedlichen kulturellen Umfeldern erzählen Geschichten von ihrem persönlichen „Heimweh nach der Zukunft“. In DON QUIJOTE machen sich zwei unzeitgemäße Damen auf die Suche nach dem „verrücktesten“ Idealisten und seinem Knappen. HOMO SPECTATOR portraitiert auf bissige Weise die neue Spezies Mensch als zuschauender Konsument eines virtuellen Daseins.

Träume? Was ist unerfüllt Sigrun Kilger?

Künstlerisches Schaffen ist viel weniger von den ganz großen Ambitionen und Visionen geprägt, als von den vielen kleinen Schritten, die man gehen muss, um sich weiter zu entwickeln. Merkwürdigerweise, so langsam dieser Prozess auch ist, es eröffnen sich immer neue Möglichkieten, von denen man nichts geahnt hatte und es erfüllen sich Träume, die man noch gar nicht kannte.

TERMINE

STUTTGART FITZ!, ZENTRUM FÜR FIGURENTHEATER
6.4. Georg in der Garage
16.4. Traumkreuzung
17.4. Traumkreuzung
19.4. Traumkreuzung
20.4. Traumkreuzung
22.4. Drei Affen
23.4. Frauen lügen aus ihrem Leben
24.4. Frauen lügen aus ihrem Leben
29.4. Frauen lügen aus ihrem Leben
30.4. Frauen lügen aus ihrem Leben
8.7. Frauen lügen aus ihrem Leben
9.7. Frauen lügen aus ihrem Leben
13.7. Traumkreuzung
14.7. Traumkreuzung
19.7. Das Mädchen im Löwenkäfig
20.7 Das Mädchen im Löwenkäfig
21.7. Das Mädchen im Löwenkäfig

WINTERTHUR (CH), FESTIVAL AUGENAUF
18.5. Drei Affen
19.5. Drei Affen

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www.materialtheater.de