Joo Kraus - We Are Doing Well (album)
released by o-tone music
We Are doing well. Das ist erst mal ein ziemlich breitschultriges Statement – speziell in diesen Zeiten. Aber wie immer kommt es auf den Kontext und den Absender an. Und der ist hier eben Joo Kraus. Ein Musiker, der am liebsten Genregrenzen und Stiletiketten auflöst und Musik so macht, wie er lebt: frei und fühlend. Gut möglich also, dass das Album ein paar Extra-Dimensionen birgt. (Spoiler: Ja, tut es.)
Vier Jahre ist es her, seit Joo Kraus mit dem Album JooJazz anklingen ließ, wohin er musikalisch unterwegs ist: Von seinem Heimatplaneten Jazz aus geht er auf immer ausgedehntere Entdeckungsreisen, um jenseits jeder Crossover-Orthodoxie mit Sternschnuppen aus anderen Galaxien zu spielen – heißen sie nun Soul, Funk, Pop, Latin oder Elektro. Die Musik, die Joo von diesen Reisen mitbrachte, war schon auf JooJazz ein ohrenöffnendes Ereignis. Doch We Are doing well öffnet den Horizont noch weiter: In den 10 Songs lässt er einfach alle Kategorieleinen los, überlässt sich dem Flow – und findet dabei vielleicht eine neue Heimat, weil er sie nicht gesucht hat: grenzenlos spielfreudig, virtuos vogelfreiwild und absichtslos tiefsinnig. Willkommen in Jootopia.
We Are doing well kommt aufs erste Reinhören ganz schön gut gelaunt daher – ja, es geht uns verdammt gut hier: mit diesen oldschooligen funky Beats und Riffs, dieser federleicht intonierenden Trompete, die so virtuos ist, dass sie es nicht mehr beweisen braucht, mit diesen freestyligen, halb gerappten und halb gesungenen Vocals, und mit Arrangements, die zwischen freier Assoziation, Experimentierlabor und musikhistorischem Fundus klingen, als seien sie einfach so passiert.
Das alles ist eindeutig und entschieden unkommerziell – doch zugleich immens unterhaltsam und eingängig. Wie das möglich ist? „Große Freiheit“, sagt Joo einfach. Und ergänzt: „Die Songs sind diesmal noch freier geworden, weil wir uns noch weniger drum scheren, ob das in irgendeinem Radio gespielt wird oder sonst in kein Format passt.“
Wir – das sind wie immer seine Mitmusiker seit 16 Jahren und zugleich beste Freunde: Schlagzeuger Torsten Krill, der auch für Produktion, Recording, Mixing und Mastering (mit)verantwortlich zeichnet, Kontrabassist Veit Hübner und Pianist Ralf Schmid. Den größten Hut hat Joo Kraus selbst auf – Trompete und Gesang gehen ebenso auf seine Kappe wie Gitarren- und einige Keyboard-Parts sowie Text und Komposition. Wobei hier auch die Band erheblich mit im Boot war: „Bei manchen Stücken hatte ich zunächst nur ein paar Töne, und dann entstand im Studio oldschool-bandmäßig der Song. Wenn wir so zusammen spielen, wird’s richtig elektrisch, und es passiert etwas, das über uns vier hinausgeht“, erzählt Joo.
Das, was darüber hinausgeht, ist es vielleicht auch, was We Are doing well über die gut gelaunte
Frontseite hinaushebt: Jeder Song hat seine eigene Dynamik, weckt Imaginationen und führt an durchaus seltsame Orte. Bei „Count to 4“ geht’s mit Vollgas ins Hippie-Speedjazz-Wah-Wah-Wonderland – mit Frank Zappa als Beifahrer und 70er-Progrock im Radio. „Elvis in Paris“ dagegen gleicht einer Spazierfahrt durch Toontown – die Häuser schief, die Straßen krumm, das Leben bunt und ziemlich schräg. Und das ist erst der Anfang der Sightseeing-Tour durch Jootopia: Mit „Space Glider“ verlassen wir endgültig alles Feste und Gewisse. Orientfarbene Melodiefragmente fließen durch uns hindurch, vergessene Träume tauchen am Wegesrand auf, eventuell startet so eine Pilgerfahrt ins Unterbewusstsein … are we really doing well?
Hier und jetzt und das Album hörend: Aber ja! Nach dem urban-untergründig mäandernden „Jootopia“ gibt es ein tiefes, friedvolles Ausatmen mit „Love“ – warm und melancholisch interpretiert von Fola Dada.
Und schließlich der titelgebende Song: „We Are doing well“: Okay, das ist tatsächlich ein Statement – auch musikalisch. Startet cool, breitet sich dann überraschend aus und durchmisst in vier Minuten mehrere Jahrzehnte und Stimmungslagen. So mehrdeutig wie der Sound ist auch die Botschaft: „Klar, einerseits geht’s uns wirklich gut – aber viele Menschen, auch ich selbst, neigen auch dazu, sich in ihre heile kleine Welt zurückzuziehen, obwohl da draußen schon längst der Hurrikan tobt. Oder vielleicht auch nicht?“Joos Frage bleibt unbeantwortet im Raum. Sicher ist eh nichts. Außer vielleicht: Solange wir Musik wie die auf We Are doing welL hören dürfen, geht es uns in jedem Fall viel, viel besser.
„Love is“
Musical von Girard Rhodens und Joo Kraus
Kennen Sie die Wilsons? Eine amerikanische Familie, die durchschnittlicher nicht sein könnte. Eine Familie, die stolz, offenherzig und ehrlich ist. Naja – zumindest fast. Bis auf die ein oder anderen mehr oder minder großen Geheimnisse, die jeder so mit sich herumträgt. Aber von vorn. Ray, dem ganzen Stolz von Ron und Nora, wird eine goldene Zukunft als Foot- ballspieler prophezeit. Ray möchte aufs College. Am liebsten mit Theo, seinem besten Freund. Dass die beiden besten Foot- ballspieler ihrer jeweiligen Highschool-Mannschaften ineinander verliebt sind und seit einem Jahr ein Paar sind, ahnen Nora und Ron keineswegs!
Aber nicht nur Ray hat etwas zu verbergen. Nora steckt in ihrer ersten Midlife-Crisis und hat deshalb wieder mit dem Aerobic Training angefangen. Mit beinahe 40 möchte sie sich wieder in Form bringen und ganz als Frau fühlen. Ron hin- gegen möchte Nora eine Freude machen und organisiert deshalb eine große Überraschungsparty. Das große Verwirrspiel beginnt, als Ray und Theo bei einem ihrer geheimen Treffen von Nora überrascht werden und es nicht schaffen, alle „Be- weisstücke“ zu verstecken. Als Nora diese findet, verdächtigt sie ihren Mann, eine Affäre mit Mark dem Musiklehrer zu haben! Doch ihr Plan, ihn zu einem Coming Out zu bewegen, geht schief. Ron bekommt eine schreckliche Vermutung: Könnte seine Frau Nora lesbisch sein? Die besten Freunde der Familie – Jack und Emily – sind in diesem Verwirrspiel ebenfalls keine Hilfe. Nein – Emily streut sogar das Gerücht, Ray hätte ein Verhältnis mit seiner Französischlehrerin: Gloria!
Das ist die Ausgangssituation von Girard Rhodens Musical „Love is“. Zusammen mit dem Ulmer Trompeter Joo Kraus, dem Dramaturgen Max Rechsteiner, Kollegen des Theaters und einigen seiner Gesangsschüler hat Rhoden eine szenische konzertante Fassung erarbeitet, die begeistert am 1. Juli 2018 im Podium des Ulmer Theaters Premiere hatte. „Love is“ ist Bestandteil der „Herzstücke“-Reihe von dem Ausnahmetrompeter Joo Kraus, zu denen er Gäste ins Ulmer Café Animo einlädt. Jeder Abend ist ein ganz spezielles, einzigartiges Unikat. Für das Projekt „Love is“ war das Animo zu klein, sodass man ins Podium des Ulmer Theaters auswich.
Kennengelernt hatten sich Rhoden und der Jazzer vor knapp zwei Jahren bei den Proben zu „Spamalot“ am Ulmer Theater. Damals hatte Rhoden mit Freunden und Kollegen eine Demofassung seines Stoffs erarbeitet, die er der Intendanz vorstellen wollte. Dazu lud er auch Kraus ein. Und der war hin und weg: „Ein Hit nach dem anderen. Andere Leute würden aus der Fülle dieses Materials mindestens drei Musical-Produktionen machen. Ich dachte damals: Das muss auf die Bühne!
Das Projekt liegt Joo Kraus und Girard Rhodens sehr am Hezen, und sie möchten es gerne auch in anderen Städten auf- führen und die Geschichte von Ray und den Wilsons bekannt machen. Hierfür suchen sie Jazzfreunde, Chöre und Partner im deutschsprachigen Raum.
Kontakt:
Joo Kraus info@jookraus.de
www.jookraus.com
MONTY PYTHON’S SPAMALOT
Premiere am 1.12.2016
Musikalische Leitung Joo Kraus
Ein neues Musical liebevoll aus dem Film DIE RITTER DER KOKOSNUSS zusammengeklaut von Eric Idle (*1943) und John Du Prez (*1946) Die Heldenreise ist das wohl älteste Erzählgenre überhaupt. Und wenn man sich kurz hinter Odysseus nördlich hält, taucht in unserer europäischen Legendentradition gleich König Arthus mitsamt seinen Rittern der Tafelrunde auf. Fromme Krieger suchen hingebungsvoll nach dem Heiligen Gral – oder war das vielleicht doch alles ganz anders? Einen respektlosen und saukomischen Blick hat die britische Komikertruppe Monty Python mit ihrem Film DIE RITTER DER KOKOSNUSS auf die alte Erzählung geworfen. Davon inspiriert eroberte das Musical SPAMALOT den Broadway und gewann drei Tony Awards für die ideale Mischung aus schmissiger Musik und skurriler Story. Arthus und seine tapferen Ritter durchstreifen England und begegnen dabei u.a. schamlösön Fronzösön, dem tollkühnen Schwarzen Ritter und der bezaubernden Fee vom See. Die Suche nach dem Gral wird zur Suche nach der eigenen Bestimmung – sei es Singen oder Tanzen… Lachen Sie sich einen Abend lang schlapp über kuriose Helden und das gesamte Genre Musical, das hier liebevoll durch den Kakao gezogen wird!
Termine und Eintrittskarten unter
www.theater.ulm.de
PREMIERE 01.12.2016, 20 Uhr, Großes Haus
MUSIKALISCHE LEITUNG Joo Kraus
INSZENIERUNG Benjamin Künzel
BÜHNE Britta Lammers
KOSTÜME Katja Krannich
DRAMATURGIE Nilufar K. Münzing
JOO KRAUS
Zum 50. Geburstag zwei neue CD's des Ausnahmemusikers aus Ulm
Was, bitteschön, sollen wir uns unter "JooJazz" vorstellen? Geht’s nach Urbandictionary.com, dann steht das Wort, das ursprünglich in einem Dialog von Muskelprotz Popeye und seiner Geliebten Olive in der US-Zeichentrickserie "Popeye The Sailor Man" vorkam, für etwas Neues, Unbekanntes und Undefinierbares. Diese Begriffsbestimmung lässt sich mühelos auf das gleichnamige Album von Joo Kraus übertragen, ist es doch voll von neuen Sounds und bisher nicht gehörten Stilverbindungen, die nur schwer zu kategorisieren sind. Schubladeneinräumer und Kästchenankreuzer haben sich an dem deutschen Trompeter, Sänger und Komponisten ja schon immer die Zähne ausgebissen, diesmal werden sie aber auch noch den letzten Zahn verlieren, denn Kraus lässt sich weiterhin nicht auf eine Stilrichtung festnageln. Zugegeben, Jazz war und ist der Fixstern in seinem Musikuniversum, in dessen Gravitationsfeld ziehen jedoch die Planeten Soul, Funk, Pop und Latin ihre Bahnen, umkreist von den Monden HipHop und TripHop, regelmäßig besucht von Meteoritenschauern voller Elektronik-Einsprengsel.
Aber verlassen wir das kosmische Sprachbild und wenden wir uns konkret einzelnen Stücken auf "JooJazz" zu. Im angerockten "Almost Porn", dem gesungenen Popjazz-Ohrwurm "If You Wanna Get Down", der südländisch-heißen Latin-Nummer "The Working Week", dem heftig swingenden "1815" und der traumversunkenen Ballade "In My Dream" überschreitet Kraus erneut sämtliche Stilgrenzen. Der gebürtige Ulmer ist weißgott nicht puristisch, ohne Scheuklappen nimmt er all das wahr, was um ihn herum musikalisch passiert und lässt sich von den unterschiedlichsten Dingen inspirieren. Das Resultat ist ein stiloffener Jazz mit ganz eigener Färbung. Was liegt da näher, als ein eigenes Etikett dafür zu prägen: "JooJazz" eben.
Das jüngste Album enthält ausschließlich Eigenkompositionen, die auf Blitzeinfälle von Joo Kraus zurückgehen. Sobald dem Musikabenteurer etwas Interessantes in den Kopf kommt, das das Potenzial zum Weiterspinnen und Ausarbeiten hat, steckt er es für später in seine "Ideenbox" (O-Ton Joo Kraus). Eine Auswahl dieser Sound-Skizzen, eingängigen Melodiemotive und packenden Grooves hat er mit seiner Band zunächst in Basictracks festgehalten. Auf der Grundlage dieser Rohfassungen wurde dann viel ausprobiert, es herrschte das Versuchsklima eines Experimentallabors. "Wir haben soundmäßig wirklich alles ausgelotet", erinnert sich der Bandleader an die Tage im Aufnahmeraum. "Wie klingt diese, wie klingt jene Ecke im Studio? Schrei ich ins Mikro, hauch ich?" Bei der Produktion legte man großen Wert darauf, das authentische Gefühl und den Charakter der Urinspiration zu bewahren. Mit Keyboarder Ralf Schmid, Bassist Veit Hübner und Drummer Torsten Krill hatte Joo Kraus dafür genau die richtigen Leute um sich versammelt. Mit ihnen versteht er sich nach zwölf gemeinsamen Jahren quasi blind. Die Vier bestritten in dieser Zeit jede Menge Konzerte und haben jetzt ihr drittes Album in Quartettbesetzung eingespielt. Sie bilden nicht nur auf, sondern auch hinter der Bühne ein eingeschworenes Team. Aus den Berufskollegen sind längst dicke Freunde geworden, und diese Vertrautheit ist auf "JooJazz" in jeder Note zu spüren. Ebenso der Spaß, den die Musiker bei der Studioarbeit hatten. Man höre nur mal das heiter hüpfende "Hitback!", das teils gepfiffene (!) Fun-Stück "This Is How We Do It" oder auch den freudvollen Ausklang im titelgebenden "JooJazz"!
Der verkopfte Jazz für Akademiker war nie seine Sache, bei Joo Kraus stand das sinnliche Vergnügen schon immer im Vordergrund. Das gilt für seine Jahre als Mitglied von Kraan und dem international erfolgreichen Duoprojekt Tab Two mit Hellmut Hattler an seiner Seite genauso wie für seine Soloaufnahmen. "Public Jazz Lounge" (2003 im Verbund mit der SWR Big Band entstanden und im gleichen Jahr für den Grammy nominiert), "Basic Jazz Lounge - The Ride" (2006), der Afro-Cuban Jazz von "Sueño" (2007 in den legendären Egrem-Studios in Havanna mit einheimischen Größen wie Luis Frank realisiert), die Michael-Jackson- Hommage "Songs from Neverland" (2010) und das mit einem ECHO Jazz prämierte "Painting Pop" (2011) sprechen in dieser Hinsicht Bände.
Seit vielen Jahren zählt Joo Kraus nun schon völlig zu Recht zu den besten Jazztrompetern in unseren Breitengraden. Als Bandmitglied, Solist, vielgebuchter Sessionprofi (BAP, DePhazz, Jazzkantine, Soulounge) und Sideman namhafter Künstler (Pee Wee Ellis, Johannes Enders, Peter Fessler, Omar Sosa, Paula Morelenbaum) hat er gleichermaßen überzeugt. Mit seinem mal butterweichen, mal staccato-spitzen Trompetenton konnte er im In- und Ausland viele Freunde gewinnen.
Zum 50. Geburtstag des vielgereisten Schwaben erscheint im Herbst - neben "JooJazz" - eine Doppel-CD, die seine bewegte Laufbahn anhand ausgesuchter Highlights Revue passieren lässt. Joo Kraus höchstselbst zeichnet für die Zusammenstellung der "Until Now..." genannten Retrospektive verantwortlich. Angesichts dieses Karriereüberblicks in Form einer "Artist’s Choice" wird er sich vielleicht wundern, wie schnell die Zeit vergangen ist. Gut möglich, dass sich der Jubilar an seinem runden Geburtstag am 22. November verdutzt die Augen reibt und wie Reinhard Mey in der gleichen Situation ungläubig fragt: "50! Was, jetzt schon?"
JOO KRAUS
Joo Kraus, Jazz Trompeter aus Ulm, ist aus der deutschen Musikgeschichte der letzten beiden Jahrzehnte nicht wegzudenken.
Wir treffen uns im legendären Ulmer Jazzkeller Sauschdall, der 1963 von Studenten der Ingenieurschule (heute: Hochschule Ulm) gegründet wurde, in der Jazzgrößen wie die Dutch Swing College Band, Traditional Jazz Studio Prag, Albert Mangelsdorff, Wolfgang Dauner, John McLaughlin, Manfred Schoof, Joe Viera, die Indonesian All Stars, die Dave Pike Set, mit Volker Kriegel, Champion Jack Dupree, Jean-Luc Ponty und Dollar Brand und viele andere mehr gastierten. Der Sauschdall ist für viele Ulmer der Eintritt in den Jazzhimmel gewesen, so auch für Joo Kraus und mich.
Joo Kraus ist mir früh begegnet und doch haben wir uns erst 2012 im Rahmen des fünften RheinfallFestival in Schaffhausen persönlich kennen gelernt. Als Künstlerischer Leiter habe ich ihn für ein Konzert mit der wunderbaren Simone Kermes und dem Orchester Les Passion de l‘ Ame gewonnen, ein erstmaliges und leider bis heute einmaliges Zusammentreffen von zwei Ausnahmemusikern und ungewöhnlichen Menschen. Joo Kraus, wie Simone Kermes ließen sich auf dieses musikalische Experiment ein, dass zu einem unvergesslichen Konzerterlebnis wurde und bis heute Gänsehaut auslöst.
Joo ist gut gelaunt, entspannt nimmt er Platz, genießt die spezielle Atmosphäre in den alt ehrwürdigen Gemäuern, >> ich war schon so lange nicht mehr hier<<. Er kommt gerade aus Paris, wo er mit Omar Sosa ein Konzert im Rahmen des Jazz à la Vilette Festival gespielt hat, das von Arte live übertragen wurde. Mit Omar Sosa hat er gerade eine neue CD aufgenommen, mit ihm ist er viel und in wechselnden Formationen unterwegs. Wir unterhalten uns über Funk Unlimited, wo ich ihn musikalisch für mich entdeckt und lieben gelernt habe, über die Zeit mit Kraan, den Erfolg mit Tab Two, die schwere Zeit nach der Trennung von Helmut Hattler und dem Ende des Erfolgprojektes, über das Scheitern, neue Inspiration und die wirklich wichtigen Dinge im Leben, den Rückzug in die Familie, die Sehnsucht Zeit zu haben und Projekten, neuen Ideen nachzuhängen.
www.jookraus.com
Wir trafen Joo Kraus zum Gespräch
Du kommst gerade aus Paris von Jazz à la Villette, wo Du mit Omar Sosa & The Afric-Lectric Experience aufgetreten bist. Wie war’s?
Joo Kraus: Das war ein klasse Festival – 2.000 begeisterte Menschen, die uns Ihre Aufmerksamkeit geschenkt haben: Das allein ist echt ein Geschenk! Wir haben nur 50 Minuten Spielzeit gehabt... das ist für diese Band eigentlich zu wenig. Bei soviel Energie die wir da aufbauen. Bei so vielen Klasse Solisten in der Band.
Nach uns spielte dann James Carter sein Giant Steps Programm: Da wusste ich wieder, dass ich kein „JAZZER“ sein möchte. Mann, dieses Gefuddel kann echt nerven.
Ich habe das Konzert live auf ARTE concert gehört. Was hat diese Übertragung, die Nutzung des live stream, eine medienweite Übertragung für eine Bedeutung für Dich? Heute und in Zukunft?
Joo Kraus: Oh... was hat das für eine Bedeutung? Auf der einen Seite verlieren Livemitschnitte natürlich an Bedeutung, weil ja mittlerweile fast jedes Konzert mitgeschnitten wird: Jeder hat eine GoPro, eine Canon EOS oder was auch immer und stellt dann recht passable Mitschnitte ins Netz. Man hat alles, immer, für quasi nix. Früher dachte man noch:
Achtung – heute schneidet der NDR etc. mit – keine Fehler machen! Heute ist quasi jeder Ton den Du spielst im Netz noch mal zu hören: Schon komisch. Aber: ARTE hat sich ein so hohes Qualitätslevel behalten, dass DIESER Mitschnitt eben doch eine Bedeutung hat: „das hat Qualität, das hat einen Wert..“
Wie bist Du zur Trompete gekommen? Wann hast Du begonnen und gab es Vorbilder, Helden?
Joo Kraus: Also: Ich wollte immer Schlagzeuger werden! Meine Eltern meinten: Lern’ doch erstmal ein „Melodieinstrument“. Dann dachte ich: ok, Posaune! Dazu war mein Arm mit 9 aber noch zu kurz. Dann hieß es: Dann lern doch mal Trompete! Danach kannst Du ja umsatteln auf Posaune. So war das, mit Neun. So unrühmlich. Hauptsache war aber: Musikmachen.
Zu meiner Konfirmation hab ich mir dann aber ein Schlagzeug gekauft! Seit dem hatte ich immer eines. Und Congas und einen Haufen Perkussions... Vorbilder gab’s auch: Das waren Freddie Hubbard, Tom Browne, Nat Adderly. Später auch (viel später ) Miles Davis. Letzte Woche erst hab’ ich die in meiner kleinen Radioshow MUSIKFREIZEIT
vorgestellt!
Ich habe Dich bei und mit Funk Unlimited, Deiner ersten Band, kennengelernt. Das ist mehr als 30 Jahre her. Was sind die Meilensteine, die wegweisenden Momente in Deiner Musikerkarriere von damals Petrusplatz Neu-Ulm bis heute Paris, Istanbul, London, New York, Tokio.
Joo Kraus: Tja, die Meilensteine und wichtigen Momente standen bei mir oft eben NICHT an den „tollen“ Plätzen... Ich erinnere mich an die ersten Bigband Proben mit der Ulmer Jazz Bigband. Da fühlte ich: BOW was ist das denn? Oder eben meine erste Jazzrock Band „Kangaroo“. Vielleicht auch mal ne Trompetenstunde bei Benny Bailey. Nach TAB TWO war ein musikalisch energetisches Highlight dann auch eine Session in Stuttgart in Roger’s Kiste. Und auch mein erstes „Solo Album“ mit der SWR Bigband Public Jazz Lounge.
Konzerte mit Omar Sosa sind oft Highlights! Und auf jeden Fall die Konzerte und Alben mit meinen Freunden! Ralf Schmid, Veit Hübner und Torsten Krill!
Aber auch meine Arbeit/ Workshops mit Schüler Bigbands: Da passiert so viel, das glaubt man nicht!
Ende der 90er Jahre, gerade zu einer Zeit wo die ersten Zeitungen über Dich als den jungen Miles Davis schrieben, hattest Du einen »musikalischen Burnout«. Wie hat sich dieser bemerkbar gemacht und wie hast Du diese schwierige Krise gemeistert?
Joo Kraus: Also als jungen Miles Davis haben die ja schon 1992 geschrieben nach dem TAB TWO Album Space Case.
Mit Tab TWO haben wir dann bis Ende der 90er ca. 800 Konzerte gespielt. Und das in einer fast inzestuösen 2er Beziehung, der Hellmut Hattler und ich. Das waren für Körper und Geist auf die Dauer ungünstige Bedingungen. Und dann ginges schlagartig bergab mit meiner Gesundheit. Der körperlichen und emotionalen. Wenn man das nicht erlebt hat, kann man sich nicht vorstellen wie das ist! Jetzt ist es ja nix neues mehr. Und mit Burnout hat man auch eine „hip-klingende“ Diagnose. Gar nicht verkehrt.
Die Krise habe ich nach und nach gemeistert... das hat Zeit gebraucht. Und Veränderung!Tab Two haben wir aufgelöst. Ich habe wieder Trompetenunterricht genommen. Meinen Kopf aufgemacht und soviel neues entdeckt: Meine Frau. Neue Musik. Urlaub. Vor allem habe ich einen HAUFEN veraltete und beknackte Überzeugungen in mir entdeckt. Das ist wohl das mühsamste, die zu entdecken und durch andere zu ersetzen.
Du spielst immer wieder in neuen und wechselnden Formationen und Projekten. Worin besteht der Reiz, wie kommt es dazu und wie wichtig ist dies für die eigene musikalische Entwicklung?
Joo Kraus: Das war sicherlich nach dem TAB TWO Bruch extrem wichtig! Ach, und mir gefällt ja soooo vieles: brasilianische Musik, Barbara Streisand, Funk, Deephouse und und und … Ich bin da halt ein Hans Dampf. Der Reiz ist, dass mich’s reizt! Und ich versuche, z.B. auch zusammen mit Omar Sosa all die Farben und Geschmäcker in den musikalischen Topf zu werfen.
Zurzeit bist Du mit Omar Sosa als Omar Sosa & Joo Kraus Duo unterwegs. Erzähl uns von dem spannenden Projekt?
Joo Kraus: Das haben wir ja schon lange in unserem Kopf: Wir sind beide klassisch ausgebildet. Und haben gemeinsame Lieblingsbands wie Earth Wind and Fire und v.a.
Und – das ist das faszinierende – wir haben total verschieden Wurzeln!!! Europäisch und Afro- kubanisch. Sind aber eben gleich alt und deswegen tragen unsere musikalischen „Stammbäume“ halt auch viele gleiche Früchte.
Und das coole ist: Mit Omar geh ich auf die Bühne und alles kann passieren! Ich habe neulich angefangen wie ein Muezzin durch die Trompete zu singen... das aber über einen Housebeat. Spielwiese ist das!
Herzstücke ist ein weiteres Projekt und Format von Dir. Was hat es damit auf sich?
Joo Kraus: Ich bin ständig mit so tollen Leuten auf der Bühne und im Studio. Und wie ein kleines Kind seinen Eltern davon begeistert erzählt, so hatte ich das Bedürfnis, meinen Ulmer Bekannten und Interessierten das zu zeigen. Und so dachte ich mir: Mensch, wenn’s zeitlich passt, dann lade ich die Musiker noch nach unserem Gig nach Ulm und Laupheim ein. In kleine Venues, ins Wohnzimmer sozusagen. Und das ist so schön jedes Mal. Musiker und Zuhörer schätzen das so! Da wird auch geplaudert und ausprobiert. Und das funktioniert alles ohne Kultur Zuschuss!
Für mich ein magischer Moment. Das Abschlusskonzert vom Rheinfallfestival am 1. Juli 2012 in der Kirche St. Johann. Die Echo Preisträgerin Simone Kermes trifft auf den Echo Jazz Preisträger Joo Kraus. Ihr habt Euch am Mittag vor dem Konzert kennengelernt und saßt für 1 Stunde zusammen, habt gesprochen, abgestimmt und geprobt. Und dann dieses wahnsinnige Konzert, diese Intensität an Zusammenspielt, als würdet ihr schon seit Jahren befreundet und auf Tour sein. Wie ist sowas möglich?
Joo Kraus: Stimmt, das war magisch! Jeder von uns beiden kommt aus völlig unterschiedlichen Musikwelten. Und dann zum ersten Mal zusammen spielen... was geht da ab? Man hat die Ohren und das Herz EXTREM weit offen an so einem Abend, niemand weiß wohin der Weg führt. Man selber käme gar nicht auf die Idee einer solchen Kooperation! Gottseidank gibt es Veranstalter, die visionär genug für so was sind! Und dann, was am wichtigsten ist: Simone Kermes und ich, wir beide hören wohl alle Arten Musik und sind keine verkrusteten Puristen.
Keiner von uns sagt: Das ist bessere Musik, das ist wertiger, das ist U, das ist E...
Würdest Du nochmals mit Simone Kermes ein Konzert machen? Und wenn Ja, welches Programm würdest Du Ihr vorschlagen und mit welcher Formation?
Joo Kraus: Ach, ich hätte natürlich einen Haufen Ideen für ein Programm mit Simone: Michel Legrand Songs? Pop Stücke in akustik-Besetzung? Barbra Streisand? Ein „Liederabend“ mit akustischem Jazz Quartett – Schumann, Schubert, Strauss?
Welche musikalischen Projekte, Träume hat Joo Kraus für die Zukunft?
Joo Kraus: m nächsten Jahr kommt mein neues richtiges SOLOALBUM, da bin ich grade dran! Außerdem ein Live Album mit der SWR Bigband. Ich möchte gerne ein Album machen, auf dem ich alles selber spiele. Es wird auch ein Album und hoffentlich viele Konzerte mit Omar und mir geben. Und ich würde sehr gerne mal ein Solo Programm mit Orchester machen: Das ist schon lang in meinem Kopf!
Meine Tochter Emma (9 Jahre) spielt seit einem Jahr leidenschaftlich Trompete. Was kannst Du ihr mit auf den Weg geben?
Joo Kraus: Ach wie schön – vor allem: Leidenschaft! So muss es sein. Wenn’s zwischendurch mal nervt, trotzdem nicht aufgeben! Dann muss man sich auf’s nächste Vorspiel oder die nächste Probe freuen! Trompete ist allerdings auch ein doofes Instrument: Man muss es eigentlich jeden Tag üben... und ich geh’ jetzt mal los. Üben.