beide Fotos: Ballett Vorpommern, Im Lichte, Coverbild © Peter van Heesen

Greifswald / Stralsund / Putbus

Im Lichte!
Uraufführung. Zwei zeitgenössische Choreographien zum Caspar-David-Friedrich-Jubiläum von Lucyna Zwolinska und Bryan Arias


„Die einzige wahre Quelle der Kunst ist unser Herz, die Sprache eines reinen kindlichen Gemütes. Ein Gebilde, nicht aus diesem Borne entsprungen, kann nur Künstelei sein.”
Caspar David Friedrich. Angesichts des Caspar-David-Friedrich-Jubiläums verwundert es nicht, dass die Gemälde, Schaffensweise und Orte, an denen der Künstler zeichnete, ein hohes Maß an Zulauf haben und viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Lucyna Zwolinska und Bryan Arias widmen sich gemeinsam mit den Tänzer*innen des BallettVorpommern dem Künstler auf ganz eigene Weise. Dabei werden sie in den jeweiligen Stücken die heutige Wirkung auf die Betrachtenden einfließen lassen.

Die Choreographin Lucyna Zwolinska spielt mit Ideen, die die menschliche und kulturelle Beziehung zur Natur und Landschaft ausmachen. Welchen Stellenwert hat der Mensch angesichts der monumentalen Landschaft, zur Kraft und Stärke der Natur als solcher?

Der Choreograph Bryan Arias, FAUSTPreisträger des Jahres 2020, kreiert das Stück als eine meditative Weise über die Endlosigkeit der Existenz und die Tiefe menschlicher Emotionen. Eine Einladung einzutauchen in die Tiefen der eigenen Seele, über die Geheimnisse des Lebens nachzudenken und Trost in der Schönheit der endlosen Reise zu finden, die vor jedem liegt, inspiriert durch das Schaffen und Wirken Caspar David Friedrichs. Bryan Arias arbeitet für seine Choreographie mit dem Orchestroniker Fabian Russ zusammen, der eigens für dieses Stück die Musik komponiert.

Mit Fabian Russ und Bryan Arias sind sich im letzten Jahr in Saarbrücken zwei Künstler begegnet, die sich für Neues, fürs Ausprobieren und für das über Grenzen schreiten interessieren und offen die Begegnung mit andersdenkenden und anders arbeitenden Kreativen suchen, um auszuloten welche neuen Spielfelder und Ebenen man zusammen entwickeln, Projekte zusammen gestalten und realisieren kann, oder es bei einem ersten Gespräch bleibt. Im Fall der Beiden ist daraus eine erste Zusammenarbeit für das Stück „Im Lichte“ für das Theater Vorpommern entstanden, wofür Bryan Arias die Choreografie gemacht hat, das Stück inszeniert und Fabian Russ die Musik geschrieben und produziert hat. Für beide steht schon vor der Premiere fest, dass man gerne weitere Stücke zusammen realisieren möchte. Wir sprachen mit den beiden Künstlern.

Fragen an Fabian Russ

Was fasziniert Sie am Tanz?

Fabian Russ: Mich hat Tanz schon immer sehr fasziniert, es ist eine Sprache, die so intuitiv ist, ebenso körperlich und sich so sehr unserem Verstand entzieht und damit auch (für mich) so schwer erklärbar bleibt. Tanz ist für mich damit so naheliegend mit Musik und der intuitiven Herangehensweise der Erschaffung an Tanz dran oder sagen wir dem Tanz ähnlich und doch so anders. Zugleich ist es für mich eine sehr dankbare Form der Kunst, weil die Musik eine so

tragende Rolle spielt. Sie ist abgesehen von z.B. inhaltlichen Vorgaben des Stückes für den Choreographen die Grundlage für das, was dann dort entsteht, motiviert Bewegungen, Abläufe, die Dramaturgie der Körperlichkeit, Grundlage für das Gefühl des Stückes und zugleich das Gefühl, was der Tanz und später das gesamte Stück transportieren und ausdrücken wird, wenn es vollständig ist. Tanz ist für mich eine besondere Form der Vertonung, in der meine Musik eine vordergründige Rolle spielt und sich zugleich vermählen darf mit einer anderen Kunst- und Ausdrucksform.

Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Bryan Arias?

Fabian Russ: Ich bin mit meiner Tochter in diesem Jahr in der zauberhaften Version des Kleinen Prinzen von Bryan gewesen auf Empfehlung meiner Nachbarin. Das Abschlussbild, rieselnder roter Sand, die Choreografie von Bryan und die Musik haben mich derart verzaubert, dass ich sofort den Entschluss gefasst habe, zu schauen, ob es eine Kontaktmöglichkeit zu Bryan gibt, denn meist ist so eine Verzauberung die beste Grundlage für eine Zusammenarbeit und so war es hier dann auch: Bryan hat sich sehr schnell zurückgemeldet, dann haben wir miteinander telefoniert, viele Gemeinsamkeiten festgestellt. Er lud mich zur Premiere seines neuen Stückes ein, was mir vor allem musikalisch meiner Handschrift sehr nahekommt und viele ästhetische Gemeinsamkeiten aufweist; das hat mir besonders gut gefallen und die geheimnisvolle Choreografie dazu ohnehin, ich liebe seine poetische Handschrift. Und letztlich haben wir so begonnen zu arbeiten, als er ziemlich zügig mit der Frage an mich herantrat, ob wir den Doppelabend hier in Greifswald miteinander machen wollen. Die Zusammenarbeit ist sehr leichtfüßig, sehr anregend für beide Seiten, sehr zugeneigt und die Handschrift des anderen liebend - einfach ein Geschenk für mich, wodurch dieser besondere Abend erst entstehen konnte.

Wie war Ihre Herangehensweise an die Musik zum Tanzstück, wo neben dem Tanz auch das Leben und Werk Caspar-David-Friedrichs eine Rolle spielte? Wie war der Input, gab es Vorgaben Seitens der Choreografie und wie haben Sie sich Caspar-David-Friedrich genähert?

Fabian Russ: Input sind vor allem die Malereien, bekanntere und unbekanntere gewesen für die ersten Schritte in Richtung Musik. Die Musik ist vollständig im Vorfeld der Proben entstanden, so war es der Wunsch von Bryan. Es gibt auch andere Herangehensweisen wie z.B. mein Beisein in Proben und die parallele Entwicklung von Musik und Choreografie vor Ort und/oder zugleich im Studio. Wir haben viel gesprochen und zugleich war aber auch vieles klar bei Beginn der Arbeit, wohin die Reise gehen sollte und dass es eine Reise werden würde. Wir sind da beide, glaube ich, Bryan und ich, sehr intuitiv und lassen uns stark von unserem Gefühl leiten und was die Bilder mit uns machen. Kontraste, Farbgebung, Motivik, oben und unten, Stimmungen, Melancholie, Ferne und Nähe, Einsamkeit, Transzendenz, Faszination und Farbenspiel, Verläufe und eher pastellige Töne, um so einen Einblick zu geben in das, wovon wir uns oder auch ich mich habe maßgeblich leiten lassen bei der Komposition der Musik.

Ich beginne immer mit einer großen Reihe von Entwürfen, die ich Bryan anbiete und dann schauen wir, welche Stücke ihn faszinieren, tragen, seine Begeisterung fangen und welche er davon behalten will. So entstehen Sortierungsprozesse und zugleich eine Gesprächsgrundlage für die weiteren Stücke, die dann aus dem Sammelsurium der „Erwählten“ heraus entstehen. Manche nehmen dann z.B. Bezug aufeinander, andere entstehen erst später neu und manche werden eingefügt, weil es hie und da noch Erzählstücke braucht, die bestimmten Aspekte der Choreografie bzw. Geschichte unterstützen, herausarbeiten, betonen, verlangsamen etc. Mit der Zeit entsteht dann ein Pool der Stücke, die wir später verwenden und bringen sie dann Stück für Stück in die finale Reihenfolge für den Ablauf des Abends.

Wann und wie fügt sich die Musik und der Tanz zusammen und gibt es zu diesem Zeitpunkt noch Raum für ein Fine-Tuning?

Fabian Russ: Die Musik, so der Wunsch von Bryan, sollte im Vorfeld der Proben weitestgehend fertig sein sowie auch ihre Reihenfolge und so haben wir es auch gemacht. Das Material stand circa eine Woche vor Beginn der Proben und Bryans Anreise vor Ort. Ich stehe immer zur Seite, wenn es noch Änderungen bedarf, aber der Prozess mit Bryan ist sehr leichtfüßig und liebevoll, weil er meiner Musik so zugeneigt ist und sich für vieles daran und darin liebt und schätzt und es oftmals nur noch kleiner Korrekturen bedarf. Wir haben den Arbeitsprozess dennoch so offengehalten, dass bis zum Ende Änderungen im Rahmen des Möglichen möglich sind, d.h. dass der Abschluss der Musik mit der Generalprobe und der Einrichtung vor Ort sein wird.

Welche Rolle sollen und werden Tanz & Musik zukünftig in Ihrer Arbeit spielen?

Fabian Russ: Sehr gerne wieder eine größere. Mein beruflicher Weg hat mit Tanz begonnen, damals mit einem Solostück im Radialsystem begleitet und mit vertanzt von der herausragenden Barockgeigerin Midori Seiler an der Seite von Renate Graziadei unter der Leitung meines Kollegen Folkert Uhde. Das waren meine ersten Schritte und ich habe es damals schon mit sehr großer Dankbarkeit empfunden, so arbeiten zu dürfen und die musikalische Grundlage des Abends zu schaffen. Ich habe dann eine Reihe von Tanzstücken mit einer tollen Kollegin Nicole Morel aus Fribourg, ehemals bei John Neumeier ausgebildet, gemacht, die alle sehr faszinierend waren für mich und musikalisch große Freiheiten innehatten. Tanz ist etwas, das ich sehr liebe und wofür ich gerne wieder mehr schreiben möchte in Zukunft. Sehr gerne sehr viel mehr!

Fabian Russ

Fabian Russ wurde 1985 in Braunschweig geboren. Mit seiner Familie lebt er aktuell in Leipzig und ist Orchestroniker. Der Schwerpunkt seiner Arbeit liegt auf dem Vermischen von Musikfolgen und der Verflechtung von Elektronik und klassischer Musik für Soloinstrumente, Kammerorchester bis hin zu großen Sinfonieorchestern, spezialisiert auf Live-3D-Audio-Hörräume oder für Kopfhörer in verschiedenen Formatkonstellationen. Er ist der Gründer der eingetragenen Marke Orchestronik (seit 2018) wird offiziell von dem Softwaremarktführer Ableton Live als ABLETON Artist geführt. Er arbeitet u.a. mit Carlo Grippa (FOH director Radialsystem), Folkert Uhde, Steven Walter, Christian Kellersmann (EDEL, Universal, EMI), Albrecht Mayer, Andreas Scholl, Midori Seiler, Robert Gwisdek (alias Käptn Peng), Frieder Weiss (Kylie Minogue), Moritz Puschke, Neue Meister (EDEL), Johanna Wokalek („Die Päpstin“), 3D- Audio Pionier Tom Ammermann (Grammy 2018), Lasse Järvi (Grammy 2018) zusammen. 2019 eröffnete er das Heinrich-Schütz-Musikfestival mit dem 32-kanaligen orchestralen Kuppelspecial und Botschafterprojekt „Kaleidoscope of Spaces“, einem 4-teiligen Zyklus hybrid-elektronischer Adaptionen einiger der wichtigsten Kompositionen von Heinrich Schütz in begehbarem 3D-Audio. Dieses Projekt endete mit der vierten Überarbeitung im Jahr 2022, zu Schütz‘ 350. Todestag, und ist der Beginn einer engen und exklusiven Zusammenarbeit mit dem Weltmarktführer für 3D-Audio L-Acoustics. Gemeinsam mit dem Programmierer Tobias Philipp hat Russ SWALK, eine App, die auf Geolokalisierung in Kombination mit 3D-Sounds basiert, gegründet, entwickelt und auf den Markt gebracht. SWALK ist seit 2019 ein fester Bestandteil des Heinrich-Schütz-Musikfestivals und wird ständig um neue Klangstationen in Mitteldeutschland erweitert. SWALK, unterstützt durch die Sparkasse Leipzig sowie dem Ostdeutschen Sparkassenverband, dem Schumann Haus Leipzig und der Stadt Leipzig, stellt ab Februar 2023 erstmals eine öffentlich zugängliche App zum musikalischen Erbe Leipzigs zur Verfügung. Sie enthält auch sechs exklusive binaurale Arrangements von Robert und Clara Schumanns Kompositionen. Partner sind Notenspur e.V., das Schumann-Haus, das Gewandhaus, das Bach-Archiv (perspektivisch der Thomanerchor und viele mehr) für die kommenden Jahre. Orchestronik ist auch verantwortlich für die Filmmusik im Projekt „step inside the circle“, das von Grammy-Gewinnerin Fritzi Horstman in Zusammenarbeit mit dem Oscar-nominierten Rodrigo Prieto verantwortet wird. Im Jahr 2022 veröffentlichte Russ sein erstes Album „Kaleidoskop der Räume“ bei Zweitausendeins Leipzig in Form von 4 CDs und einer Gesamtspielzeit von 2×2 Stunden, in Stereo und binaural.

Fabian Russ arbeitet sowohl als Komponist und Sounddesigner als auch in der Konzeption von Formaten und Sonderprojekten als Creative Director.

www.orchestronik.de