Loreen Sima | © Vincent Sima

Der Bass ist weiblich
Loreen Sima, Bassistin, Komponistin und Sängerin


Die aus Calw stammende Loreen Sima gehört zu den jungen Musiker:innen, die der Zukunft des Jazz ein Gesicht und eine Stimme und dem männlich dominierten Bassspiel eine eigene weibliche Note geben. Als Tochter von zwei Berufsmusikern wurde ihr die Musik in die Wiege gelegt, und sie kam schon früh mit Klassik und Jazz in Berührung. Sie lernte klassische Querflöte, bevor sie ihre Leidenschaft für Jazz, Funk und Fusion entdeckte und mit 13 Jahren begann, E-Bass zu lernen, an dem sie noch während ihrer Schulzeit den ersten Bundespreis bei „Jugend musiziert“ erhielt. Sie studierte an den Musikhochschulen in Stuttgart, Dresden und der Academy of Music in Oslo. Sie hat 2021 als Feature Guest bei der SWR Big Band produziert und war eine der 15 Teilnehmer:innen der ersten „Elbphilharmonie Jazz Academy“. Sie ist eine gefragte Sidewoman und ist auf deutschen und internationalen Bühnen zu Hause. Mit ihrem neuen Projekt „Loreen Sima Trio“ begeistert sie gerade das Publikum und die Presse. Sie entführt ihr Publikum in ihre eigene wunderbare musikalische Welt und setzt ganz eigene Klangakzente. Zusammen mit dem Schlagzeuger Heinrich Eißmann und dem Pianisten Victor Möhmel vereint sie ihre tiefen, runden Basstöne mit ihrer charismatischen Stimme und zieht ihr Publikum in den Bann. Die Südwestpresse schrieb jüngst: „Am Bass swingt und bebopt sie sich durch Jazz-Klassiker und legt sich mit zarter Stimme mitten in sie hinein, um wenig später der Pop-Liebe zu frönen und mächtig funky in Richtung Fusion zu fetzen.“

Loreen Sima | © Vincent Sima

Als Namenspatronin unserer diesjährigen Ausgabe, deren Gesicht Loreen Sima ist, steht die Grand Dame des Basses und ein absolutes Phänomen am Bass, die amerikanische Bassistin Carol Kaye Patin, die am 24. März 90 Jahre alt geworden ist. Auch sie hat zuerst ein anderes Instrument erlernt, die Gitarre, um mit dem Bass große Erfolge zu feiern. Sie steht bis heute auf der Bühne, war und ist eine der gefragtesten Studiomusikerinnen und hat mit ihren eingängigen Basslinien unzähligen Popklassikern ihren Stempel, von A wie Animals bis Z wie Zappa, aufgedrückt.

Wir sprachen mit Loreen Sima

Loreen Sima | © Vincent Sima

Wie kamen Sie zum Bass? Was ist das Besondere am Bass und warum passt er so gut zu Ihnen?

Loreen Sima: Zunächst suchte ich mir mit sieben Jahren die Querflöte aus, die etwa neun Jahre mein Hauptinstrument war. Mein großer Bruder spielte in seiner Schulzeit in einer Jazzband, die mein Vater leitete. Ich fand das damals unglaublich cool und wollte unbedingt selbst in einer solchen Band mitspielen. Da die Querflöte in diesem Kontext eher unüblich war, begann ich, mich nach einem anderen Instrument umzusehen. So kam mir plötzlich die Idee, E-Bass zu lernen.

Ein großer Vorteil war für mich, dass ich beim Spielen gleichzeitig singen konnte – etwas, das ich schon immer geliebt habe. Ein Schlüsselmoment war eine Autofahrt, während der ich „Just The Two Of Us“ mit Marcus Miller am Bass hörte. Ich stellte mir vor, dieses Stück einmal auf einer Bühne zu spielen – und ab da gab es für mich kein Zurück mehr.

Was mich am Bass besonders fasziniert, ist seine Funktion innerhalb der Musik. Er bildet das rhythmische und harmonische Fundament, gibt Struktur, unterstützt die Solisten und ermöglicht es mir, mich vollkommen im Groove zu verlieren. Es ist ein Instrument, das verbindet und trägt, ohne sich unbedingt in den Vordergrund zu drängen – und genau das liebe ich daran.

Was konnten die Querflöte und die Klassik nicht, die sie ursprünglich gelernt haben, und warum war dieser Weg der genau richtige für Sie?

Loreen Sima: Die Klassik und die Querflöte haben mein Leben unglaublich bereichert. Als ich den Jazz und die damit verbundene Herangehensweise an Musik entdeckte, fühlte ich mich darin sofort zu Hause.

Die Besonderheit der improvisierten Musik ist die große Freiheit und die spontane Kommunikation zwischen Musikern und Publikum, die sie ermöglicht.

Das Schönste für mich ist, meine eigene Musik mit Menschen zu teilen und mit ihnen in Austausch zu kommen. Dennoch schätze ich die klassische Musik nach wie vor sehr und spiele gelegentlich klassische Projekte – mittlerweile allerdings nicht mehr auf der Querflöte, sondern am Kontrabass. Besonders die impressionistische Musik fasziniert mich und inspiriert mich auch für meine eigenen Kompositionen.

Loreen Sima | © Vincent Sima

In welchen Musikstilen sind Sie zu Hause und in welchen Formationen unterwegs?

Loreen Sima: Meine musikalische Reise am E-Bass begann mit einer großen Begeisterung für Fusion und Funk – und bis heute spüre ich eine besondere Verbindung zu dieser Musik. Mit meinem Kontrabass-Studium rückte der traditionelle Jazz immer mehr in meinen Fokus. Doch meine musikalischen Interessen sind breit gefächert, und ich liebe es, in unterschiedlichen Projekten mit verschiedenen Stilrichtungen zu arbeiten. Ich schätze die Vielfalt und die Herausforderung, mich in neue Klangwelten einzufühlen.

Wer und was inspiriert Sie?

Loreen Sima: Reisen sind für mich eine große Inspirationsquelle. Oft komme ich von einer Reise mit neuen Ideen und voller Tatendrang zurück. Auch Spaziergänge in der Natur oder Gespräche mit engen Freunden und meiner Familie geben mir viel. Natürlich spielt auch Musik selbst eine große Rolle. Ich finde Inspiration sowohl in klassischer Literatur als auch bei den unterschiedlichsten Live-Konzerten – oft kommen mir dort neue Ideen für eigene Projekte oder für das, woran ich als Nächstes arbeiten möchte.

Loreen Sima | © Vincent Sima

Bei der Suche nach der diesjährigen Namenspatronin, die wir in aller Regel mit einer bereits verstorbenen Künstlerin besetzen, haben wir uns sehr schwergetan. Es gibt nicht so viele weibliche Bassisten, heute vielleicht mehr als früher. Woran liegt es?

Loreen Sima: Diese Frage stelle ich mir selbst oft, und eine einfache Antwort gibt es wohl nicht. Sicherlich spielen viele Faktoren eine Rolle. Auch in klassischen Orchestern waren lange Zeit kaum Frauen am Kontrabass vertreten – schlicht, weil Orchester früher oft ausschließlich Männern vorbehalten waren. Vielleicht wurde der Bass in der Jazz- und Fusion-Welt erst richtig populär, als er durch Musiker wie Scott La Faro oder Jaco Pastorius als virtuoses Soloinstrument in den Vordergrund rückte. Dann kamen Bassistinnen wie Esperanza Spalding, Ida Nielsen oder später Kinga Głyk als Frontfrauen in die Öffentlichkeit, die sicherlich heutzutage jungen Bassistinnen als Vorbilder dienen. Auch das Publikum hat je nach Musikrichtung eine unterschiedliche Zusammensetzung. Manche Genres sprechen eher Männer an, andere mehr Frauen – das könnte ebenfalls eine Rolle spielen. Bei der Recherche genau nach dieser Frage im Netz kam ich auf merkwürdige und krude, hauptsächlich von Männern formulierte, unpassende Machogedanken zum Thema Frauen und Bass. Ist dem so? Ist es ein ständiger Kampf um Akzeptanz und Respekt? Ich empfinde es nicht als ständigen Kampf, aber natürlich erlebe ich, dass ich als Frau am Bass anders wahrgenommen werde. Mit den Musikern, mit denen ich bisher gespielt habe, habe ich fast ausschließlich nur positive Erfahrungen gemacht – bis auf eine Ausnahme, als ein Musiker mich nicht in seiner Band haben wollte, nur weil ich eine Frau bin. Aus dem Publikum höre ich immer wieder Sätze wie: „Schön, eine Frau am Bass zu sehen.“ Das zeigt mir, dass es für viele Menschen noch ungewohnt ist. Ich selbst habe das Gefühl, dass es in meiner Generation schon etwas Gewöhnliches ist.

Wie wichtig sind Ihnen eine starke weibliche Solidarität unter Musikerinnen, Projekte von Frauen wie Sisters in Jazz, SOFIA (Support Of Female Improvising Artists) oder Festivals wie Women in Jazz?

Loreen Sima: Mir ist es wichtig, dass Frauen in der Musik nicht unterrepräsentiert sind und ihr künstlerisches Schaffen die gleiche Anerkennung erhält wie das männlicher Musiker. Projekte, die sich ausschließlich auf ein Geschlecht konzentrieren, finde ich weniger spannend, weil es für mich gerade auf eine vielfältige Mischung ankommt – ohne bewusst ein Geschlecht auszuschließen. Am Ende zählt die Qualität der Kunst.

Neben der Bassistin und Komponistin Loreen Sima sind Sie auch Sängerin. Im Jahr der Stimme bitte ich Sie um ein leidenschaftliches Plädoyer für die Stimme.

Loreen Sima: Die Stimme ist etwas Besonderes, da sie so direkt fast schon intim ist und man sich vor nichts verstecken kann. Ein Instrument ist eine Art Erweiterung der Stimme. Wenn ich singe, habe ich das Gefühl, mich von meiner verletzlichsten Seite zu zeigen.

Sie kommen aus einer musikalischen Familie. Ihr Vater Libor Sima ist Saxophonist, Komponist und Arrangeur und seit 2001 Solofagottist des SWR-Symphonieorchesters, mit dem Sie auch immer wieder zusammen auftreten. Er spielt mal in Ihren Formationen mit und Sie bei seinen Kompositionen, wie zuletzt „Eine Weihnachtsgeschichte“ von Charles Dickens am Badischen Staatstheater. Nicht in allen Familien geht das gut. Was haben Ihre Eltern alles richtig gemacht und wie ist Ihr Verhältnis zu Ihrem Vater?

Loreen Sima: In unserer Familie haben wir schon früh gemeinsam musiziert. Als ich mit sieben Jahren meine erste Querflöte bekam, komponierte mein Vater für mich Die 4 Pferde – vier kleine Stücke, bei denen ich mit nur einem bis vier Tönen die Hauptmelodie spielte. Meine Mutter, die mich anfangs im Querflötenspiel unterrichtete, spielte mit, mein Vater auf dem Fagott, mein großer Bruder am Schlagzeug und mein kleiner Bruder spielte Bongos dazu. So habe ich schon früh positive Erfahrungen sammeln dürfen und seit Beginn liebevolle Unterstützung auf meinem musikalischen Weg erhalten. Von meinem Vater habe ich gelernt, dass es im Musikbusiness nicht nur darauf ankommt, sein Instrument zu beherrschen. Zuverlässigkeit, Vorbereitung und ein Gespür für musikalische Details sind ebenso entscheidend. Mit meinem Umzug zum Studium nach Dresden habe ich Abstand gewonnen und vieles mit neuen Augen gesehen. Heute weiß ich noch mehr zu schätzen, wie wertvoll es ist, Eltern zu haben, die nicht nur loben, sondern auch ehrliches Feedback geben. Gerade im Bereich der Komposition arbeite ich gerne im Teamwork mit meinem Vater. Mit ihm gemeinsam auf der Bühne zu stehen, ist ein Geschenk, das ich sehr genieße.

Loreen Sima | © Vincent Sima

Eine weitere Leidenschaft ist das Schauspiel. Sie sind Mitglied des freien, nicht subventionierten Schauspiel-Ensembles „sagas“. Wie kam es dazu und welchen Part spielen Sie dort?

Loreen Sima: Das sagas-Ensemble ist für mich ein besonderer Ort, dem ich seit etwa drei Jahren angehöre. Hier trete ich auch in die Fußstapfen meines Vaters, der Musik für einige Stücke komponiert hat und seit der ersten Produktion Teil des Ensembles ist. Martin Mühleis, der Produzent der Theaterstücke, erzählt Geschichten mit starkem aktuellem Bezug, die oft so berührend sind, dass ich selbst beim Spielen manchmal Tränen in den Augen habe. Er hat ein beeindruckendes Team aus Schauspielern und Musikern zusammengestellt. In der Produktion „Eine Weihnachtsgeschichte“ nach Charles Dickens spiele ich in einem Streichquintett und springe regelmäßig als Bassistin für das Stück „Chocolat“ ein.

Von Musik allein als freischaffende Musikerin zu leben, ist in heutiger Zeit eine große Herausforderung und nur wenigen vergönnt. Die kulturpolitischen Veränderungen, gespickt mit Etatkürzungen überall und in allen Bereichen, sind hierbei nicht hilfreich als Zukunftsperspektive. Wie gehen Sie damit um und was fehlt aus Ihrer Sicht in der Unterstützung von jungen Musiker:innen?

Loreen Sima: Das ist ein wirklich spannendes und zugleich herausforderndes Thema, das mich zurzeit viel beschäftigt. Die aktuellen Entwicklungen, insbesondere auch im Hinblick auf Künstliche Intelligenz, sind teils erschreckend. Mir gibt es Mut, ein Konzert zu spielen oder an einer kulturellen Veranstaltung teilzunehmen und dieses Gefühl von Gemeinschaft sowie das Eintauchen in eine andere Welt zu erleben. Es berührt mich jedes Mal aufs Neue. Was jedoch aus meiner Sicht fehlt – gerade in der Ausbildung junger Musiker:innen – ist ein stärkerer Fokus auf die Realität des Berufslebens. Ich würde mir wünschen, dass an Hochschulen ein Pflichtfach wie „Musikbusiness“ eingeführt wird. Darin könnten Studierende lernen, wie man sich selbst vermarktet, finanzielle Angelegenheiten regelt und langfristig als Selbständige:r erfolgreich bleibt. Auch die Fördermöglichkeiten sind ein entscheidender Faktor. Es gibt zwar Wettbewerbe und Programme, aber das Angebot variiert stark je nach Bundesland. Je mehr solcher Initiativen es gibt, desto besser – denn sie können jungen Musiker:innen wichtige Chancen eröffnen.

Dazu passend und fasst ein Dauerbrenner der Fragen in diesem Zusammenhang: Was wäre Loreen Sima heute, wenn Sie keine Musikerin geworden wäre?

Loreen Sima: Vermutlich würde ich im kulturellen Bereich und/oder mit Kindern arbeiten.

Was steht für 2025 auf Ihrer Agenda und auf welches Projekt freuen Sie sich besonders in diesem Jahr?

Loreen Sima: In diesem Jahr werde ich meine erste EP aufnehmen, mit Klaviertrio, Streichquartett, Gesang und Solisten. Ich freue mich riesig darauf, meine Kompositionen mit großartigen Musiker:innen auf Band zu bringen und dieses Herzensprojekt umzusetzen.

Was ist noch offen im Leben von Loreen Sima, was unbedingt und irgendwann passieren muss und wird?

Loreen Sima: Ein Traum von mir ist es, einen Ort zu erschaffen, an dem Künstler verschiedener Bereiche zusammenkommen und gemeinsam Konzerte, Sessions, kleine Ausstellungen, Lesungen und mehr veranstalten können.